Montag, 18. November 2013

Zweiter Sonntag im Advent (Predigt vom Hl. Thomas von Aquin)

(Aus dem Buch Des heiligen Thomas von Aquin, des englischen Lehrers, Predigten auf das ganze Kirchenjahr)

 

Zweite Rede 

Alles was geschrieben steht, ist zu unserer Belehrung geschrieben. Röm. 13, 4.

Nach dem, was wir oben gesagt haben, gibt es zwei Bücher, welche zu unserer Unterweisung geschrieben sind. Von dem Buche der Schöpfung haben wir schon gesprochen; nun wollen wir von dem Buche der heiligen Schrift sprechen, das uns Zweifaches lehrt, das Gute und das Böse; das Gute, damit wir es thun, das Böse, damit wir es unterlassen.

 In Bezug auf das Gute lehrt es uns dreierlei, nämlich Befehle, Räthe, Verheißungen, weil es ein dreifaches Gut gibt. Denn das Gute ist ehrbar, angenehm und nützlich. Die Befehle lehren das Gute, das Ehrbare, weil sie die Verehrung Eines Gottes und die Schönheit der Sitten und Tugenden, welche den Menschen ehrbar machen einschärfen. In den Räthen liegt das nützliche Gut. Denn der Herr sagt (Matth. 19.): "Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe Alles, was du hast, uud gib es den Armen, und du wirst einen Schatz im Himmel haben." In den Verheißungen liegt das erfreuliche oder angenehme Gut. Denn bei Johannes (Kap. 16.) sagt Christus: "Ich werde euch wieder sehen, und euer Herz wird sich freuen;" und wiederum heißt es (Deut. 4.): "Höre, Israel, die Worte des Lebens," und nachher: "Und ich will dir das Land geben das von Milch und Honig fließt."




In Bezug auf das Böse lehrt dieses Buch uns gleichfalls dreierlei, nämlich Warnungen; Mißräthe und Drohungen, und zwar gemäß einem dreifachen Uebel. Denn es ist dreifach das Böse, das der tödtlichen Schuld, das Böse der läßlichen Schuld und das Böse der ewigen Strafe. Die Warnungen gehen auf das Uebel der tödtlichen Schuld. So heißt es (Exod. 20.): "Du sollst nicht Unkeuschheit treiben," und dasselbe gilt von den andern Warnungen. Die Mißräthe gehen auf das Uebel der läßlichen Schuld; denn es heißt (Pred. 19.): "Wer das Mittelmäßige verachtet, fällt nach und nach völlig." Hast du Großes vermieden, so sehe zu, daß du im Sande nicht fallest. Die Drohungen gehen auf das Uebel der ewigen Strafe. Isaias sagt im legten Kapitel: "Ihr Wurm stirbt nicht."

 Es ist also wohl gesagt: Was geschrieben steht ist Alles zu unserer Unterweisung geschrieben. Bitten wir also den Herrn u.s.w.

Dritte Rede 

Es werden Zeichen an der Sonne an dem Monde und an den Sternen sein. Luc. 21, 25. (Der Text ist aus dem Evangelium vom ersten Sonntage im Advent )

Im vorhergehenden Evangelium war die Rede von der Ankunft der Erbarmung, im heutigen aber von der Ankunft der Gerechtigkeit. Denn zur Gerechtigkeit gehört es, die Bösen zu bestrafen und die Guten zu belohnen; darum wird hier von beiden gehandelt. Von dem ersten ist die Rede im ersten Theile des Evangeliums, indem es heißt: Es werden Zeichen sein; von dem andern im zweiten Theile, wo es heißt Erhebet euere Häupter.

 In Bezug auf die Strafe der Bösen zeigt er, daß der Schöpfer und das Geschöpf sich vereinigen, um die Bösen zu bestrafen, und zwar, daß eine dreifache Kreatur sich vereinigt, um die Bösen zu bestrafen, nämlich die geistige, die körperliche und die gemischte. Geistig ist der Engel, gemischt der Mensch; die körperliche aber ist doppelt, die höhere und die niedere; jenes sind die Himmelskörper, dieses die Elemente. Es zeigt also der Herr in diesem Evangelium, daß die Bösen von dem Herrn, von den Engeln, von den Himmelskörpern, von den Elementen und von sich selbst gestraft werden. Das erste ist in den Worten enthalten: Alsdann werden sie den Menschensohn sehe; das zweite in diesen: Sodann werden die Kräfte der Himmel erschüttert werden; das dritte in diesen: Es werden Zeichen an der Sonne an dem Monde und an den Sternen sein; das vierte in den Worten: Bei dem Gebrause des Meeres und der Fluthen; und das fünfte in diesen Worten: Indem die Menschen aus Furcht verschmachten.

 In Bezug auf das erste wird der Herr auf dreifache Weise die Bösen im Gerichte bestrafen, erstens durch Untersuchung, sodann durch Ueberführung, drittens durch Verurtheilung. Das erste ist enthalten in den Worten: Ich war nackt; das zweite: Was ihr nicht einem von meinen Geringsten gethan habt; das dritte: Weichet von mir, ihr Verfluchten (Matth. 25.). Der Engel wird die Bösen gleichfalls auf dreifache Weise bestrafen, zuerft indem er sie zum Gerichte führt; zweitens indem er sie von den Guten absondert; drittens indem er sie in das ewige Feuer wirft. Von diesem Dreifaches steht geschrieben (Ebend. 17.): "Die Engel werden ausgehen," um nämlich die Bösen vor das Gericht zu führen. Denn aus sich könnten sie (die Bösen) nicht so schnel kommen, da sie schwere Körper sind; dieß ist das erste; und sie werden die Bösen von den Gerechten absondern; dieß ist das zweite. Und sie werden sie in das ewige Feuer werfen; dieß ist das dritte. Die Himmelskörper werden gleichfalls die Bösen auf dreifache Weise bestrafen; zuerst indem sie dieselben durch die Zeichen erschrecken; zweitens indem sie Finsterniß herbeiführen; drittens indem sie ihre Schandthaten aufdecken. In Bezug auf das erste heißt es: "Es werden Zeichen an der Sonne an dem Monde und an den Sternen sein;" und wiederum (Joel. 2.): "Ich werde Zeichen an dem Himmel erscheinen lassen;" in Bezug auf das zweite: "Die Sonne wird verfinstert werden und der Mond wird kein Licht mehr geben;" in Bezug auf das dritte: "Die Himmel werden seine Missethat aufdecken." (Job. 20.) Bitten wir also den Herrn u.s.w.

Vierte Rede 


Fortsetzung 

Auf der Erde wird unter den Völkern Angst sein wegen des Rauschens des Meeres und der Fluthen. Luc. 21, 25.

 Früher sagten wir, wie die höhern Geschöpfe die Bösen bestrafen, und jetzt ist zu erörtern, wie die niederen Geschöpfe sie bestrafen, und es wird gezeigt wie sie von dem Feuer, von der Luft, von dem Wasser, von der Erde und von sich selbst gestraft werden. Das erste drücken die Worte aus: Indem die Menschen verschmachten; denn dieß entsteht aus der Vertrocknung des Feuchten, was das Feuer thut. Das zweite zeigen die Worte an: Von dem Rauschen der Fluthen; denn die Fluthen entstehen aus der Bewegung der Luft; das dritte diese: Von dem Rauschen des Meeres, und das vierte: Auf der Erde wird eine Angst unter den Völkern sein, das fünfte: Aus Furcht und Erwartung.

 Das Feuer straft auf dreifache Weise die Bösen; zuerst indem es das Licht verbirgt; zweitens indem es verbrennt; drittens indem es nicht zernichtet. Denn würde das Feuer sie vernichten, so würde es ihnen etwas Gutes erweisen, aber es verbrennt sie und vernichtet sie nicht. Vom ersten spricht der Psalmist (28.): "Die Stimme des Herrn, welcher die Feuerflamnte vernichtet." In der Flamme ist Wärme und Glanz enthalten; so wird der Herr die Feuerflamme vernichten, daß er den Glanz von der Wärme absondert, daß er die Bösen verbrennt und nicht erleuchtet. Vom zweiten handelt der Psalmist (96.): "Feuer wird vor ihm vorhergehen und anzünden;" vom dritten die Weisheit (15.) "Das Feuer vergaß seine Natur."

 Die Luft straft gleichfalls auf dreifache Weise die Bösen, nämlich durch Blitz, durch Hagel und Bewegung der Winde. Vom ersten lesen wir in der Weisheit (5.): "Es gehen geraden Weges Blitze aus, und vergehen gleichsam in einem wohlgebogenen Bogen der Wolken;" vom zweiten ebendaselbst: "Von den Wolken fahren zürnende Hagel aus," und vom dritten gleichfalls: "Gegen sie erhebt sich gewaltiger Wind, und gleichsam der Sturmwind."

 Das Wasser bestraft gleichfalls auf dreifache Weise die Bösen; indem es zuerst die Geschöpfe, welche der Mensch bedarf, tödtet, sodantn durch die Fluthen schreckt, drittens gegen die Sünder entbrennt. In Betreff des ersten Punktes heißt es (Offenb. 8.): "Jedes Geschöpf welches im Meere war ist getödtet;" in Betreff des zweiten heißt es hier: Vor Bestürzung über das Rauschen des Meeres und der Fluthen; und in Bezug des dritten Punktes steht geschrieben (Weish. 5.): "Es entbrennt gegen sie das Wasser des Meeres und die Flüsse toben wild gegeneinander."
 Die Erde straft gleichfalls die Bösen auf dreifache Weise; zuerst indem sie die Wohlthaten entzieht, so daß die Gottlosen Hunger leiden müssen; zweitens indem sie durch Erdbeben erschreckt; drittens indem sie verschlingt. Die Schrift sagt in Bezug auf das Erste (Matth. 24.); "Es wird Pest und Hungersnoth sein;" in Bezug auf das Zweite (24. Kap. Matth.): "Und es werden an allen Orten Erdbeben sein;" auf das Dritte (Ps. 105.): "Die Erde öffnete sich und verschlang Dathan."
 Von sich selbst erdulden die Bösen ein dreifaches Uebel; zuerst aus dem Mangel an allen Gütern; zweitens aus Furcht bei der Erinnerung an die Vergangenheit; drittens bei der Erwartung aller kommenden Uebel. In Betreff des ersten Punktes sagt die Schrift (Offenb. 11.): "Es beklagen sich über ihn alle Zünfte der Erde;" und in Betreff der zwei andern (Luc. 21.): "Indem die Menschen aus Furcht und Erwartung verschmachten." Hier sind drei Punkte enthalten, daß die Menschen verschmachten, daß fie vor Furcht verschmachten und daß sie vor Erwartung verschmachten. Es sind aber drei Gründe warum alle Geschöpfe gegen die Bösen so toben, zuerst weil sie ihre Wohlthaten schlecht benützt haben, zweitens weil sie ihre Schönheit durch ihre Verbrechen und unreinen Handlungen verwüstet haben, und drittens weil jedes Geschöpf von Natur aus einen Drang hat die Beleidigung des Schöpfers zu rächen. Vom ersten Grunde spricht Gregor der Große: "Alles was wir zum Gebrauche des Lebens empfangen haben, verkehren wir zur Schuld;" und nachher: "Mit Recht also straft uns Alles." Vom zweiten spricht der Psalmist (96.): "Die Erde erbebte bei ihren Thaten;" vom dritten die Weisheit (16.): "Die Kreatur, welche dem Schöpfer dient, entbrennt in den Qualen gegen die Ungerechten (dieß gilt den Bösen), den Guten aber wird die ewige Erlösung zu Theil." Darauf wollen wir uns vorbereiten u.s.w.