Matth. 22, 34-46
Auslegung des hl. Johannes Chrysostomus
Nachdem er die Saduzäer abgefertigt hatte, kamen die Pharisäer wieder zu
ihm. Sie hätten eigentlich ruhig sein sollen, doch sie wollten
unbedingt Streit anfangen. Sie schickten einen Gesetzeskundigen vor,
nicht um von ihm zu lernen, sondern um ihn auf die Probe zu stellen. So
fragten ihn also, welches das erste Gebot im Gesetze sei. Das erste
lautet bekanntlich: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben; sie
glaubten aber, er werde dieses Gebot abändern, vielleicht etwas
hinzufügen, weil er sich ja als Gott ausgab; darum stellten sie an ihn
diese Frage. Was tat nun Christus? Um ihnen zu zeigen, daß sie deshalb
auf diese Frage gekommen waren, weil sie keine Liebe hatten und vor Neid
vergingen, darum sagte er: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben;
das ist das erste und größte Gebot. Ein zweites aber ist diesem gleich:
du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Weshalb ist das zweite
dem ersten gleich? Weil es in ihm enthalten ist und von ihm getragen
wird. Denn wer böses tut, haßt das Licht und kommt nicht ans Licht.
Ferner: Nur der Tor spricht in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott. Dann
heißt es weiter: Verderbt sind sie; abscheulich ist ihr Treiben. Und
wiederum: Die Wurzel alles bösen ist die Habsucht; weil sich einige ihr
ergeben haben, sind sie vom Glauben abgefallen. Weiterhin: Wer mich
liebt, wird meine Gebote halten. Die Wurzel und der Mittelpunkt der
Gebote ist ja: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben und deinen
Nächsten wie dich selbst. Wenn also Gott lieben soviel ist wie deinen
Nächsten lieben - er sagt ja: Wenn du mich liebst, Petrus, weide meine
Schafe!- und wenn die Liebe zum Nächsten bewirkt, daß man die Gebote
hält, dann ist richtig, was er sagt, daß darauf das ganze Gesetz und die
Propheten ruhen. Und wie er vorher, als er über die Auferstehung
gefragt wurde, mehr sagte, als die Fragenden wollten, so hat er auch
hier, wiewohl er nur nach dem ersten Gebot gefragt worden war, ganz von
selbst das zweite dazu gesagt, das dem ersten nicht viel nachsteht. Denn
das zweite ist dem ersten gleich. So hat er ganz leise angedeutet, daß
sie nur aus Haß ihn gefragt hatten; denn die Liebe, heißt es, ist nicht
eifersüchtig.
(aus dem Deutschen Brevier übersetzt von Dr. Johann Schenk 1937)
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