22. Juni
Lesung 4-6
Pontius Meropius Anicius Paulinus wurde im Jahre des Heiles 353 aus
einer hochberühmten, mit dem römischen Bürgerrecht ausgestatteten
Familie zu Bordeaux in Aquitanien geboren. Er besaß scharfen Verstand
und einen liebenswürdigen Charakter. Unter der Leitung des Ausonius
erwarb er sich hervorragende Kenntnisse in der Redekunst und in der
Dichtkunst. Da er hohem Adel entsprossen und sehr vermögend war,
eröffnete sich ihm eine glänzende Laufbahn; schon im jugendlichen Alter
erhielt er die Würde eines Senators. Dann ging er als Konsul nach
Italien und wählte, da ihm die Provinz Kampanien zur Verwaltung
übertragen wurde, Nola zu seinem Wohnsitz. Hier traf ihn angesichts der
glänzenden Wunder, die das Grab des heiligen Priesters und Martyrers
Felix verherrlichten, ein göttliches Licht, und er schloß sich mit
großem Eifer dem wahren christlichen Glauben an, mit dem er sich schon
seit längerer Zeit beschäftigt hatte. Daraufhin gab er auch das
Rutenbündel und das Beil wieder aus der Hand, ohne es jemals durch Blut
befleckt zu haben. Er kehrte nach Gallien zurück. Dort wurde er von
vielen schweren Heimsuchungen zu Lande und zu Wasser getroffen und
verlor das Augenlicht. Vom heiligen Bischof Martin von Tours wurde er
wieder geheilt und vom heiligen Bischof Delphinus von Bordeaux mit dem
reinigenden Wasser der Taufe abgewaschen. Er entsagte dem großen Reichtum, den er besaß, verkaufte seine Güter
und verteilte den Erlös unter die Armen; er trennte sich von seiner
Gattin Therasia, zerriß alle Bande des Fleisches, verließ sein
Heimatland und zog nach Spanien. Er wollte die verehrungswürdige Armut
üben, die ihm kostbarer schien als die ganze Welt. Als er zu Barcelona
am Feste der Geburt des Herrn andächtig dem heiligen Opfer beiwohnte,
wurde er plötzlich vom Volke, das staunend ihn beobachtete und in
Bewegung geriet, ergriffen und trotz seines Sträubens vom Bischof
Lampidius zum Priester geweiht. Dann kehrte er nach Italien zurück,
gründete zu Nola, wohin ihn seine große Verehrung zum heiligen Felix
trieb, an seinem Grabe ein Kloster und begann mit einigen Gefährten ein
klösterliches Leben. Der Mann, der vorher die Würde eines Senators und
Konsuls bekleidet hatte, umfing nun die Torheit des Kreuzes, hüllte sich
in ein ärmliches Gewand und versenkte sich unter Fasten und Nachtwachen
ganze Tage und Nächte in die Betrachtung der himmlischen Wahrheiten.
Fast die ganze Welt beobachtete es unter Staunen. Als der Ruf seiner
Heiligkeit sich immer weiter verbreitete, wurde er auf den Bischofsstuhl
von Nola erhoben. Bei der Verwaltung dieses Hirtenamtes hinterließ er
ein bewundernswertes Beispiel der Frömmigkeit, der Weisheit und vor
allem der Liebe. Dabei gab er mehrere weisheitsvolle Schriften über die Religion und
den Glauben heraus; er verlegte sich auch auf das Dichten, feierte in
kunstgerechten Liedern das Leben der Heiligen und erwarb sich so hohes
Lob als christlicher Dichter. Alle durch Heiligkeit und Gelehrssamkeit
hervorragenden Männer seiner Zeit wurden seine Freunde und Bewunderer.
Von allen Seiten kamen sie in Scharen zu ihm als dem Lehrer der
christlichen Vollkommenheit. Als die Goten Kampanien verwüsteten, gab er
sein ganzes Vermögen hin und behielt für sich nicht einmal das zum
Leben Notwendige, um den Armen Nahrung, den Gefangenen die Freiheit
geben zu können. Als später die Vandalen diese Gegend heimsuchten, bat
ihn eine Witwe, ihren von den Feinden gefangenen Sohn wieder
loszukaufen. Er hatte aber schon alles zu Werken der Liebe hergegeben.
Da ging er selbst an dessen Statt in die Sklaverei und wurde in Ketten
nach Afrika geschleppt. Nicht ohne sichtbare göttliche Hilfe erlangte er
wieder die Freiheit und konnte nach Nola zurückkehren; der gute Hirt
konnte seine geliebte Herde wiedersehen. Dort entschlief er im 78. Jahre
seines Lebens sanft im Herrn. Sein Leib wurde neben dem Grabe des
heiligen Felix beigesetzt; später, zur Zeit der Longobarden, wurde er
nach Benevent, unter Kaiser Otto III. nach Rom in die Basilika des
heiligen Bartholomäus auf der Tiberinsel übertragen. Papst Pius X.
jedoch ließ die heiligen Überreste des Paulinus nach Nola zurückbringen
und erhob sein Fest für die ganze Kirche zu einem Duplexfeste.
(aus dem Deutschen Brevier übersetzt von Dr. Johann Schenk 1937)
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