22. Juli
Maria Magdalena war in der Stadt als Sünderin bekannt. Durch ihre
Liebe zu dem, der die ewige Wahrheit ist, wusch sie mit ihren Tränen die
Makel ihres Laster ab. Das Wort der ewigen Wahrheit ging in Erfüllung:
Ihr werden viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat. Denn sie,
die früher als Sünderin kalt geblieben war, entbrannte nun in heißer
Liebe. So ging sie vom Grab des Herrn nicht weg, auch als die Jünger
sich entfernten; sie suchte den, den sie nicht finden konnte; sie
weinte, während sie suchte, und von heißer Liebesglut entzündet, brannte
sie vor Sehnsucht nach dem, den sie gestohlen glaubte. So kam es, daß
sie ihn damals ganz allein sehen durfte, weil sie auch allein
zurückgeblieben war, um ihn zu suchen; denn das Wichtigste bei jedem
guten Werk ist die Beharrlichkeit. Sie suchte also zuerst, fand ihn aber keineswegs; sie suchte weiter
und so durfte sie ihn finden. Ihre Sehnsucht, deren Erfüllung sich
verzögerte, wurde nur noch größer und die gesteigerte Sehnsucht fand und
erfaßte ihn. Darauf läßt sich der Ausspruch der Kirche als der Braut im
Hohenliede anwenden: Auf meinem Lager suchte ich in den Nächten den
Geliebten meiner Seele. Wir suchen diesen Geliebten auf der Lagerstatt,
wenn wir in der kurzbemessenen Ruhezeit dieses Lebens voll Sehnsucht
nach unserem Heiland aufseufzen. Und in der Nacht suchen wir ihn; denn
wenn auch unser Geist in ihm wach ist, so liegt doch noch Finsternis auf
unserm Auge. Wer aber seinen Geliebten nicht findet, muß aufstehen und die Stadt
durcheilen, d. h. die heilige Gemeinde der Auserwählten mit
Aufmerksamkeit beobachten und durchsuchen; er muß ihn auf den Plätzen
und Gassen suchen, d. h. auf jene schauen, welche auf schmalen und
breiten Pfaden wandeln; und wenn er bei ihnen etwas finden kann, muß er
deren Spur nachgehen. Denn es gibt auch manche unter den jetzt Lebenden,
die in ihrem Tugendwandel irgendwie nachahmungswürdig sind. Bei diesem
Suchen treffen uns die Wächter der Stadt; denn die heiligen Väter,
welche über die Ordnung in der Kirche wachen, kommen unserm guten
Streben entgegen und belehren uns durch Wort und Schrift. Wenn wir an
diesen ein wenig vorbeigegangen sind, finden wir unsern Geliebten; denn
obwohl unser Heiland aus Demut Mensch unter Menschen war, so stand er
auf Grund seiner Gottheit doch über den Menschen. (aus dem Deutschen Brevier übersetzt von Dr. Johann Schenk 1937)
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