2. Juli
Als der Erlöser unseres Geschlechtes zu uns gekommen war, ging er
sogleich zu seinem Freunde Johannes, als dieser noch im Mutterschoße
verborgen war. Als nun Johannes vom Mutterschoße aus ihn im Mutterschoße
erblickte, durchbrach er die Grenzen der Natur und rief: Ich sehe den
Herrn, der der Natur Grenzen gezogen hat; ich warte die Zeit meiner
Geburt nicht ab. Eine Frist von neun Monaten ist hier nicht nötig für
mich; denn in mir ist der, der ewig ist. Ich will heraustreten aus
diesem dunklen Zelte, will kurz die wunderbaren Dinge künden. Ich bin
ein Zeichen und will die Ankunft Christi anzeigen. Ich bin eine Trompete
und will den Heilsplan des Gottessohnes im Fleische kundtun. Als
Trompete will ich rufen, will der Zunge meines Vaters Heil bringen und
sie dazu bringen, daß sie sprechen kann. Als Trompete will ich rufen und
den Schoß der Mutter beleben. Siehst Du, mein Lieber, wie neu und staunenswert dieses Geheimnis
ist. Noch ist Johannes nicht geboren, und schon redet er durch
Aufhüpfen; noch ist er nicht erschienen, und schon spricht er Drohungen
aus; noch darf er nicht rufen, und schon macht er sich durch Handlungen
vernehmbar; noch führt er kein eigenes Leben, und schon preist er Gott;
noch schaut er das Licht nicht, und schon weist er auf die Sonne hin;
noch ist er nicht geboren, und schon beeilt er sich, Vorläufer zu sein.
Er erträgt es nicht, in Gegenwart des Herrn eingeschlossen zu sein; er
erträgt es nicht, den Zeitpunkt der Natur abzuwarten, sondern sucht den
Kerker des Mutterschoßes zu durchbrechen und will den kommenden Erlöser
im voraus anzeigen. Erschienen ist, sagt er, der die Ketten löst; warum
soll ich da noch gefesselt bleiben und mich festhalten lassen und hier
weilen? Das Wort ist gekommen, um alles wiederherzustellen; und ich soll
mich noch zurückhalten lassen? Ich will heraus, will ihm vorauseilen
allen verkünden: Seht, das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der
Welt! Doch sag uns, Johannes, wie kannst du, da du noch im dunklen
Mutterschoße weilst, das alles schauen und hören? Wie kannst du die
göttlichen Dinge schauen, wie kannst du aufhüpfen und frohlocken? Er
spricht: Groß ist das Geheimnis, das da sich vollzieht; diese Tat
übersteigt die menschliche Fassungskraft. Mit Recht schaffe ich neue
Gesetze der Natur um dessentwillen, der neu schaffen will, was über der
Natur steht. Ich kann sehen, obwohl ich noch im Mutterschoße ruhe; denn
ich sehe, wie die Sonne der Gerechtigkeit im Schoße getragen wird. Ich
kann hören, weil ich als die Stimme des großen Wortes geboren werde. Ich
rufe laut, weil ich den eingeborenen Sohn des Vaters mit Fleisch
umhüllt schaue. Ich jauchze vor Freude, weil ich sehe, wie der Schöpfer
der Welt die menschliche Natur annimmt. Ich hüpfe auf, weil ich an den
fleischgewordenen Erlöser der Welt denke. Ich eile seiner Ankunft voraus
und gehe euch gewissermaßen im Bekenntnis voran. (aus dem Deutschen Brevier übersetzt von Dr. Johann Schenk 1937)
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