Freitag, 16. Mai 2014

Vierter Sonntag nach Ostern - Predigt vom hl. Thomas von Aquin

Jedermann sei schnell zum Hören, aber langsam zum Reden und zum Zorne. Jac. 1,19

 Der Apostel Jacobus ermahnt uns, daß wir schneller zum Hören als zum Reden sein sollen; dazu sollen uns drei Gründe bewegen. Zuerst die Lehre der Natur, zweitens der Schaden, und drittens der Nutzen. Die Natur lehrt uns auf dreifache Weise, daß wir mehr hören als reden. Zuerst, weil die Natur dem Menschen ein doppeltes Werkzeug zum Hören, aber nur eines zum Reden gab, wodurch hervorgeht, daß der Mensch doppelt so viel hören als reden muß. Zweitens weil die Natur den meisten Thieren ein Gehör aber die Sprache nur dem Menschen, dem vernünftigen Thiere gab, woraus erhellt, daß die Rede vernünftig sein muß. So sagt der Apostel (Col .4.): Euere Rede sei immer mit Salz gewürzt. Drittens, weil die Natur die Gehörorgane offen ließ, aber das Sehorgan unter zwei Schlössern oder Mauern verschloß. Denn der Mensch hat immer die Ohren offen, aber die Zunge unter den Lippen und Zähnen verschlossen. Denn die Zunge ist gleichsam eine schlechte Frau, und darum schloß sie Gott in mehr Schlösser ein. Und der Prophet (Mich. 7.) sagt: Bewahre die Schlösser deines Mundes.
 In Bezug auf den zweiten Punkt ist zu bemerken, daß ein dreifacher Schaden aus einer bösen Rede hervorgeht. Zuerst das Uebel der Schuld. Daher sagt der Prediger (10.): Bei dem vielen Reden fehlt es an der Sünde nicht. Zweitens das Uebel der Strafe. Die Schrift (Eccli. 20.) sagt: Wer viel redet belästigt seine Seele. Drittens das Uebel des bösen Rufes. Die Sprichwörter (18.) sagen: Wer antwortet ehe er hört zeigt sich thöricht und der Strafe würdig. Von diesen dreien sagt Jacobus (3.): Denn die Zunge ist eine Welt von Ungerechtigkeit (erster Punkt); das nimmer müde Uebel voll tödtlichen Giftes (zweiter Punkt); sie ist von solcher Art unter den Gliedern, daß sie den ganzen Leib befleckt (dritter Punkt) 
 In Bezug auf den dritten Punkt ist zu bemerken, daß der Mensch einen dreifachen Nutzen hat, welcher viel hört und wenig redet. Zuerst die Güter der Gunst. Die Schrift (Eccli. 32.) sagt: Höre schweigend zu, und für die Achtung erlangst du eine große Wohlgewogenheit. Zweitens die Güter der Weisheit, denn die Schrift (Eccli. 6.) sagt wiederum: Wenn du dein Ohr neigest  sammelst du Weisheit. Drittens die Freude und die Ruhe der Seele, wie die Sprüche (21.) sagen: Wer seinen Mund und seine Zunge bewacht, bewahrt seine Seele vor Betrübniß.

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