Freitag, 11. Oktober 2013

Von den evangelischen Räthen - Hl. Petrus Canisius

Kurzer Inbegriff der christlichen Lehre oder Katechismus des ehrwürdigen Lehrers Petrus Canisius der Gesellschaft Jesu Theologen - Aus dem lateinischen Originalwerke in das Deutsche übersetzt - Dritte sehr verbesserte und um sieben Druck Bogen vermehrte Auflage  (1826)


Fünftes Hauptstück.

Von der Christlichen Gerechtigkeit



Von den evangelischen Räthen 


1. Welche heißt man die evangelischen Räthe?


Diejenigen (a) nämlich, welche, wenn sie um das ewige Heil zu erlangen, schon an und für sich nicht nothwendig sind, doch von Christus vorgelegt und gerathen werden, um desto leichter und ungehinderter die Seligkeit sich zu erwerben.

 Daher ist der Unterschied, welchen die Schrift zwischen den Gebothen und Räthen (b) macht, fleißig zu erhalten, damit wir erkennen, daß jene als nothwendig zu beobachten vorgeschrieben, diese aber, als welche die vollkommene Beobachtung der Gebothe befördern, gerathen und (c) freywillig angenommen werden. Daher der heilige Apostel, da er von dem ehelosen Stande lehren wollte, so spricht: (d) Wegen der Jungfrauen habe ich kein Geboth des Herrn: ich gebe aber einen Rath, als der ich von Gott Barmherzigkeit erlangt habe, daß ich treu sey. Hieher gehör, was St. Augustin klar gesagt hat: (e) Ein anderes ist der Rath, und ei anderes das Geboth. Rath ist es, daß man die Jungfrauschaft halte, daß man sich von Wein und Fleisch enthalte, daß man alles verkaufe und den Armen austheile; Geboth aber ist es, daß man die Gerechtigkeit bewahre, daß jeder Mensch das Böse meide und das Gute thue. Und wiederum spricht er: (f) Welcher den Rath gerne hört und thut, der wird eine größere Herrlichkeit haben. Welcher das Geboth nicht erfüllt, der kann, wenn ihm die Buße nicht zu Hilfe kommt, der Strafe nicht entgehen. Mit St. Augustin stimmt der heilige Ambrosius überein, da er so schreibt: (g) Es wird nicht gebothen, was über das Gesetz ist, sondern vielmehr durch gegebenen Rath empfohlen, und, was sicherer ist, gewiesen. Ferner: Der Rath lockt die Willigen; das Geboth aber verbindet auch die Unwilligen. Nicht anders denkt Hieronymus, wie diese seine Worte es beweisen: (h) Wo man einen Rath giebt, da ist freye Willkühr dessen, der sich ihn gefallen läßt; wo aber ein Geboch ist, da ist es Nothwendigkeit, sich zu ergeben. Aber größern Lohn hat das, spricht (i) er, wozu man nicht gezwungen wird, sondern freywillig sich ergiebt .

II. Wie viel giebt es evangelische Räthe?



Alle hier aufzuzählen, ist nicht nöthig. Der vornehmsten aber sind drey, von der Armuth, Keuschheit und dem Gehorsam, wie die Väter aus den heiligen Schriften es verstanden haben.
(a) Die Armuth gehört denjenigen an, welche einmal alles verlassen, und, nachdem Beyspiele Petri und der Apostel, Christum vollkommen nachfolgen. (b) Die Keuschheit ist Sache derjenigen, die wegen des Himmelreiches sich selbst verschnitten haben, und, wie Tertullian (c) gesagt hat, die als freiwillig Verschnittene sich beweisen. Den Gehorsam aber leisten diejenigen, welche, um sich selbst vollkommen (d) zu verläugnen, nicht nur allein der bösen Begierlichkeiten, sondern auch ihres eigenen Willens, dazu die Schrift ermahnt,
sich gänzlich entschlagen, indem sie sich ganz dem Willen desjenigen unterwerfen, den sie sich zum Oben an Christi statt erwählt haben.
 Diese Räthe hat Christus, das vollkommenste Muster evangelischer Vollkommenheit, nicht nur mit dem Worte gelehrt, wie wir bald zeigen werden, sondern auch mit dem Beyspiele seines heiligsten Lebens uns bekräftiget, der (f) da er reich war, unsertwegen arm geworden ist, und nicht (g) hatte, wo er sein Haupt hinlegte, der selbst eine Jungfrau, auch aus der Jungfrau (h) geboren, und ein Bräutigam (i) der heiligen Jungfrau allzeit bleibt, der endlich so eifrig war, Gehorsam zu beweisen, das er (k) seiner Mutter Maria, der Jungfrau und sogar dem Zimmermanns Joseph unterthan, und (l) bis zum Tode des Kreuzes gehorsam worden, und von sich selbst bezeugt: (m) Ich bin dem Himmelherabgestiegen, nicht, daß ich meinen Willen thue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.

 III. Wo lehrt Christus den Rath der evangelischen Armuth?

Er wird bey (a) Matthäus an jener Stelle gegeben, welche der Aufzählung der göttlichen Gebothe folgt, von welchen einem Jeden ohne Ausnahme gesagt ist: Wenn du willst zum Leben eingehen, so halte die Gebothe. Und hierauf giebt er den Rath freywilliger (b) Armuth und bedient sich einer besondern Redensart, die es der Willkühr desjenigen, der den Rath annehmen will, überläßt; denn der Herr spricht: (c) Wenn du willst vollkommen seyn, so gehe hin und verkaufe Alles was du hast, und gieb es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach. Der Herr giebt dort nicht nur eine solchen Rath, sondern auch gleichsam den Sporn, und damit er die Menschen desto williger mache, diesen Rath anzunehmen, so hält er ihnen die Größe der Belohnung vor, um sie zu locken und zu trösten. Denn er verheißt, daß derjenige, welcher um Christi willen Alles verlassen hat und arm ist, einen Schatz im Himmel haben, es (d) hundertfältig wieder empfangen und ewige Leben besitzen werde, dahin zu kommen es sonst den Reichen (e) sehr schwer ist.
(f) Liebhaber und (g) Lehrer dieser Armuth waren die Apostel, in welcher Namen Petrus zu Christus mit Zuversicht gesagt hat: (h) Siehe wir haben Alles verlassen und sind dir nachgefolgt.

 Zu diesen gehören die Christen der Erstlingskirche, welche, nach (i) dem Zeugnisse des heil. Lukas ihre Güter verkauften, und das daraus gelöste Geld zum gemeinen Gebrauche zusammen legten, so, daß Niemand sagen konnte, es wäre etwas sein eigen, weil bey ihnen Alles ohne Unterschied und gemein blieb.

 Diese Armut erfodert endlich, daß man willig und vollkommen den Gütern entsage, und davon kein (k) Eigenthum mehr zurückbe halte.

 Und hier hat der berühmte und von den Alten bewährte Spruch (l) seine Stelle: Es ist gut
von seinem Vermögen den Armen mittheilen; besscr ist es aber, dasselbe ganz hingeben in der Absicht, um dem Herrn nachzufolgen und so, befreyet von aller Sorge, mit Chistus in Dürftigkeit leben.




IV. Wo wird der Rath der Keuschheit empfohlen?

 Theils in den Evangelien, theils in den Briefen der Apostel. Denn Christus jene (a) Art von Verschnittenen, welche um des Himmelreiches willen sich selbst verschnitten haben. Und damit wir nicht glauben möchten, als wäre dieses mehr ein Geboth, als ein Rath, so sagt er bald darauf: Wer es fassen kann, der fasse es. Das ist, wie der h. Hieronymus recht auslegt (b), gleichsam die Stimme des Herrn, der da ermahnt und seine Kämpfer nach dem Preise der Keuschheit ringen antreibt, als wollte er sagen: Wer kämpfen kann, der kämpfe, überwinde und triumphire. Das kann derjenige, dem es gegeben ist (c); gegeben aber wird es Allen, die, wie der nämliche (d) heil. Hieronymus bezeugt, es begehren die wollen, die, daß sie es empfangen, sich bemühen. Denn einem jeden der bittet, wird (e) gegeben, und der sucht der findet, und der anklopft dem wird aufgethan.

 Dieser Keuschheit sichert (f) die göttliche Schrift den Preis zu, einen besondern aber der Keuschheit der Jungfrauen. Denn, (g) welche mit den Weibern sich nicht beflecket haben, sondern Jungfrauen geblieben sind, die stehen Mackel vor dem Throne Gottes, und singen ein neues Lied vor Gott und dem Lamme, und folgen dem Lamme, wohin es geht.

 Der heilige Apostel aber spricht aufs klarste: (h) Es ist dem Menschen gut, daß er kein Weib berühre. Und wieder: (f) Wegen der Jungfrauen habe ich kein Geboth des Herrn; ich gebe aber einen Rath, als der ich Barmherzigkeit erlangt habe von Gott, daß ich treu sey. Denn ich halte dafür, daß solches gut sey, wegen der gegenwärtigen Noth; denn es ist dem Menschen gut, so zu seyn.  Und wieder schreibt er von derWittwe und spricht: (k) Sie heurathe, wenn sie will, aber nur im Herrn. Seliger aber wird sie sein, wenn sie also bleibet nach meinem Rathe. Ich glaube aber, daß auch ich den Geist Gottes habe.

 Schön stimmt der heilige (l) Ambrosius dem Apostel bey, da er in diesen Worten schreibt: Billig wird eine gute Ehefrau gelobt, aber billiger wird ihr eine fromme Jungfrau vorgezogen, indem der Apostel spricht: (m) Wer seine Jungfrau verheurathet, thut wohl; wer sie aber nicht verheurathet, thut besser. Denn diese denkt, was Gottes ist, jene, was der Welt ist; jene ist durch das eheliche Band gebunden, diese ist aller Bande ledig; jene steht unter dem Gesetze, diese unter der Gnade. Gut ist der Ehestand, der wegen der Nachkommenschaft und Fortdauer des menschlichen Geschlechts eingesetzt worden; aber besser ist die Jungfrauschaft, durch welche die Erbschaft des Himmelreiches und die Nachkommenschaft himmlischer Verdienste erlangt wird. Durch das Weib kam Mühe und Sorge in die Welt, durch die Jungfrau kam das Heil. So der heilige Ambrosius.

 Es fodert aber diese Keuschheit, daß der Mensch mit wohlüberlegtem (n) und festem Entschluße sich befleiße, von aller Unreinigkeit des Fleisches oder geilen Lust unbefleckt zu leben, und dass er beständig ein eheloses Leben führe, damit er am Leibe sowohl, als auch im Geiste (o) heilig sey um Christi willen. Und dahin zielt der Apostel, wenn er spricht: (p) Wer in seinem Herzen fest sich vorgenommen hat, und nicht gedrungen wird; sondern seines freyen Willens mächtig ist, und in seinem Herzen beschlossen hat, seine Jungfrau zu behalten, der thut wohl .


V. Wie wird uns der evangelische Rath von dem Gehorsam vorgelegt?

Christus der Herr hat allererst durch das Beispiel seines heiligsten Lebens, wie wir vorher schon gemeldet haben, dann durch sein Wort eine vollkommene Weise dieses Gehorsams uns vor Augen gestellt und empfohlen. Denn er ist nicht gekommen, (a) seinen Willen zu thun, sondern des Vaters, und derjenigen, welchen er, wie wir lesen, (b) unterhan gewesen ist. Er ist gekommen, (c) zu dienen und nicht sich bedienen zu lassen, so zwar, daß er sich selbst erniedriget hat und (d) gehorsam geworden ist bis zum Tode, ja bis zum Tode des Kreuze.

Dann hat er uns mit dem Worte zu seiner Nachfolge ermuntert, und gesagt: (e) So Jemand mir will nachfolgen, der verläugne sich selbst, und nehme sein Kreuz auf sich, und folge mir. Diese Worte, obschon sie ganz recht als zu Allen insgemein gesagt, verstanden werden können, gehen doch besonders und vollkommen diejenigen an, welche, soviel an ihnen ist, sich Christo gleichförmig machen, so, daß sie in keinem Stücke ihr eigener Herr seyn wollen, sondern sich befleißen, vielmehr nach dem Willen eines Andern, als nach ihrem eigenen zu leben, indem sie dem Willen und Befehle eines Andern, den sie sich an Christi Statt vorgesetzt haben, freiwillig folgen.

 Ihr Vorsteher, wieder heilige (f) Basilius lehrt, vertritt die Person Christi, und gleich sam ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, opfert er Gott das Hell derer, die gehorchen. Gleichwie daher die Schafe dem Hirten folgen, und den Weg gehen, auf welchen er sie führt, eben so geziemt es sich, daß Religiosen ihren Vorgesetzten gehorchen, nicht vorwitzig die Gebothe untersuchen, in so fern sie nichts Sündhaftes gebiethen, sondern daß sie mit aller Freudigkeit und Eifer vollbringen, was ihnen befohlen wird. Von einem solchen Vorsteher spricht nach dem heiligen Basilius auch (g) Bernhardus: Wir müssen den, welchen wir an Gottes Statt haben, hören als wie Gott selbst in den Dingen, die nicht offenbar wider Gott sind.

 Solche treue und vollkommene Nachfolger Christi aber, die sich der Beobachtung
genannter Räthe beflissen, hat die Kirche, wie die alten Jahrbücher beweisen, allzeit gehabt, und unter diesen auserlesene und bewährte Gesellschaften frommer und religiöser Menschen, welche, über die Weise und das Beyspiel gemeinen Volkes, allen Gutern ein für alle Mal entsagten, der fleischlichen Lüste sich entschlugen und des heilige Gehorsams frey und öffentlich sich beflissen; welche nämlich darauf sahen, daß sie nach dem Muster des Gehorsames Christi und nach der Vollkommenheit der evangelischen Regel ganz sich bildeten, und dem eigenen Willen durchaus keinen Platz mehr übrig ließen. Wir haben hierüber sehr vortreffliche Zeugen, den heiligen Basilius, Augustinus, Hieronymus, Benediktus, Gregorius, Kassianus, Bernhardus und unzählige andere Lehrer der evangelischen Vollkommen, welche das klösterliche Leben vertheidigten, als auch selbst aufs Vollkommenste beobachteten.

 VI. Was ist überhaupt von den evangelischen Räthen zu halten?

 Dieses nämlich, daß sie gewisse sehr fügliche Reiz- und Hilfsmittel sind, welche den Schwachen wider die Reize der (a) Welt und des Fleisches Waffen geben, welche das Bestreben der Guten auf dem Wege der wahren Gottseligkeit zum Bessern befördern; welche den Geist fertiger machen, die Werke der Religion und des göttlichen Dienstes zu vollbringen, und welche überdieß, wie wir gezeigt haben, uns verhilftich sind die Belohnung des ewigen Lebens, und eine (b) größere Herrlichkeit m Himmel zu erlangen.

 Ja die Summe der evangelischen Vollkommenheit besteht darin, daß du, so sehr als du immer kannst, nach der (c) Liebe ringest, und Christus (d) nachahmest. Du ahmest aber Christus nach, wenn du nach allen deinen Kräften dich befleißest, Christo - welcher (e) arm war, und der (f) Jungfrau und  (g) andern unterthan, und bis zum Tode des Kreuzes (h) gehorsam - gleichförmig (i) zu werden; wenn du gleicher Weise mit dem Apostel (k) Paulus alles, was hinter dir ist, zurücklassest, und unverdrossen fleißig nach dem, was vor dir liegt, trachtest, und täglich nach dem Kleinode der himmlischen Berufung laufest, mit gänzlicher Verläugmmg des eigenen Willens, so weit es geschehen kann, und daß du diesen um Gottes Willen einem andern Menschen unterwerfest, damit du nach den bessern Gnadengaben allzeit eifrig verlangest, und den besten  (m) Theil sowohl erwählest, als auch bis an das Ende treulich bewahrest.

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