Römischer Katechismus (Catechismus). Nach dem Beschlusse des Conciliums von Trient und auf Befehl des Pabstes Pius V. herausgegeben. Passau, Druck und Verlag von Friedrich Winkler 1839
Viertes Hauptstück - Vom dritten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses.
Der empfangen ist vom heiligen Geiste, geboren aus Maria, der Jungfrau
I. Was der dritte Glaubensartikel den Gläubigen zu glauben vorstellt.
Aus welcher Absicht und wie Christus das Menschengeschlecht erlöst
hat.
Aus dem, was im vorigen Artikel ist erklärt worden, können die
Glaubigen ersehen, welche grosse und ganz besondere Wohlthat Gott dem
Menschengeschlechte erwiesen hat, da er uns aus der Knechtschaft des grausamsten
Tyrannen befreite. Wenn wir aber die Absicht und die Art und Weise, wodurch er
diess vorzüglich hat bewirken wollen, uns vor Augen stellen, so werden wir
einsehen, dass es nichts Erhabeneres, nichts Herrlicheres geben kann, als die
göttliche Güte und Wohlhätigkeit gegen, uns.
Durch die Erklärung des dritten Artikels soll der Seelsorger die
Erhabenheit dieses Geheimnisses darstellen,
welches uns die heiligen Schriften
als den Hauptgrund unseres Heiles sehr oft zu betrachten vorstellen; er soll die
Gläubigen belehren, dass der Inhalt dieser sey, nämlich dass wir glauben und
bekennen, dass derselbe Jesus Christus, unser Herr, der eingeborne Sohn Gottes,
da er unserwegen im Schoose der Jungfrau das menschliche Fleisch annahm, nicht
aus dem Saamen eines Mannes, wie andere Menschen. sondern
erhaben über alle natürliche Ordnung, durch die Kraft des heiligen Geistes
empfangen worden sey, so zwar, dass die nämliche Person Gott blieb, der er von
Ewigkeit war, und Mensch wurde, was er vorher nicht war. Dass diess so zu
verstehen sey, ersieht man aus dem Bekenntnisse des heiligen Conciliums zu
Konstantinopel, wo es heisst: „Der wegen uns Menschen, und wegen unserer
Erlösung vom Himmel herabstieg; und Fleisch aus der Jungfrau Maria durch den
heiligen Geist angenommen hat, und Mensch geworden ist." Diess erklärte auch der
heilige Evangelist Johannes, welcher aus der Brust des Herrn und Erlösers selbst
die Kenntniss dieses erhabensten Geheimnisses geschöpft hat; denn nachdem er das
Wesen des göttlichen Wortes erklärt hatte, wie folgt: Im
Anfange war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das
Wort, [Joh. 1,1] so schloss er zuletzt: Und das Wort ist Fleisch geworden, und hat in uns
gewohnt. [Joh. 1,14]
II. Durch die zeitliche Geburt geschah in Christus keine Vermischung der Naturen.
Die zwei Naturen behalten in Einer Person jede ihrer Eigenschaften bei.
Siehe II. Art. 4. Leo serm. I. de nativ. Dom.
Das Wort, welches das Bild der göttlichen Natur ist, nahm so die
menschliche Natur an, dass die Persönlichkeit und Person der göttlichen und
menschlichen Natur eine und dieselbe war, und dadurch geschah, dass eine so
wunderbare Vereinigung beider Naturen die Handlungen und Eigenschaften beider
beibehielt, wie es bei jenem grossen Pabste, dem heiligen Leo, heisst, dass die
Verherrlichung nicht das Niedere verschlang, noch auch die Annahme der
menschlichen Natur das Höhere minderte.
III. Der heilige Geist hat nicht allein das heilige Werk der Menschwerdung vollbracht.
1) Was ausser den besondern Eigenschaften der drei Personen der
Dreieinigkeit geschieht, ist allen göttlichen Personen gemeinschaftlich. 2) Die
Eigenschaften , die sich an den drei Personen finden, sind nicht allen
gemeinschaftlich. Die Menschwerdung muss dem Vater und Sohne und auch dem
heiligen Geist zugeschrieben werden.
I. Der Seelsorger versäume nicht, bei der Erklärung der Worte: Der
Sohn Gottes sey durch die Kraft den heiligen Geistes
empfangen worden, zu lehren, dass diese einzige Person der Dreieinigkeit das
Gcheimniss der Menschwerduug nicht allein vollbracht habe. Denn obschon der Sohn
allein die menschliche Natur angenommen hat, so waren doch alle Personen der
göttlichen Dreieinigkeit, der Vater, der Sohn und der heilige Geist, die Urheber
dieses Geheimnisses. Man muss sich hier an jene Regel des christlichen Glaubens
halten: Alles, was Gott ausser sich an erschaffenen Wesen thut, ist den drei
Personen gemeinsam, und keine thut mehr als die andere, und keine thut etwas
ohne die andere.
II. Dass eine Person von der andern ausgeht, diess Einzige kann
nicht allen gemein seyn; denn der Sohn wird vom Vater allein gezeugt, der
heilige Geist geht vom Vater und Sohne aus. Was aber immer ausser ihnen von
ihnen herkommt, das thun die drei Personen ohne Unterschied; und dergleichen ist
die Menschwerdung des Sohnes Gottes.
Obwohl sich dieses so verhält, so pflegen doch die heiligen
Schriften von den Dingen, welche allen Personen gemein sind, jeder ein anderes
zuzuschreiben; wie die höchste Macht über alle Dinge dem Vater, die Weisheit dem
Sohne, die Liebe dem heiligen Geiste. Und weil das Geheinmiss der göttlichen
Menschwerdung eine besondere und unendliche Wohlthat Gottes gegen uns darlegt,
so wird desswegen dieses Werk vorzüglich dem heiligen Geiste zugeschrieben.
IV.Das Meiste, aber nicht Alles, ist bei der Empfängnis Christi gegen die natürliche Ordnung geschehen.
1) Bei Her Menschwerdung Christi ist einiges natürlich, anderes
ühernatürlich zugegangen. 2) In welchem Augenblicke sich der Leib Christi im
Schoose der Jungfrau gebildet habe. 3) Wann die Gottheit sich mit der Menschheit
vereinigt habe. Im nämlichen Augenblicke empfing Marin den Gott und den
Menschen. 4) In der Seele Christi war alle Fülle der Gnade.
I. Wir bemerken, dass in diesem Geheimnisse einiges übernatürlich
zuging, und einiges durch die Kraft der Natur bewirkt wurde. Denn wenn wir
glauben, dass der Leib Christi aus dem reinsten Geblüte der jungfräulichen
Mutter gebildet worden ist, so erkennen wir dadurch die menschliche Natur an, da
es den Leibern aller Menschen gemein ist, dass sie sich aus dem Geblüte der
Mutter bilden.
II. Was aber die Ordnung der Natur und den menschlichen Verstand übersteigt, ist jenes, wo die heilige
Jungfrau, den Worten des Engels beistimmend, sagt: Siehe,
ich bin eine Magd dest Herrn, mir geschehe nach deinem Worte; [Luc. 1,36] und es ist sogleich der Leib Christi gebildet
worden, und eine vernünftige Seele ward mit ihm vereinigt, und so ist er in
demselben Augenblicke ein vollkommner Gott und ein vollkommner Mensch gewesen.
Dass aber diess ein neues und wunderbares Werk des heiligen Geistes gewesen sey,
wird Niemand bezweifeln, da nach dem natürlichen Gange der Dinge in keinem
Leibe, ausser innerhalb dem bestimmten Zeiträume eine menschliche Seele gebildet
werden kann.
III. Dann kommt noch jenes Wunderbarste, dass, sobald die Seele mit
dem Körper vereinigt war, auch die Gottheit mit dem Körper und der Seele sich
verband; daher also sogleich nach der Bildung und Belebung des Körpers auch die
Gottheit sich mit dem Körper und der Seele vereiniget hat. Hieraus folgt, dass
in dem nämlichen Augenblicke der vollkommne Gott und vollkommne Mensch geworden
ist, und die heiligste Jungfrau in Wahrheit und eigentlich die Mutter Gottes und
des Menschen genannt wurde, weil sie in demselben Augenblicke den Gott und den
Menschen empfangen hatte. Diess ist ihr durch den Engel bedeutet worden, da er
sagt: Siehe, du wirst empfangen, und einen Sohn gebären, und
ihm den Namen Jesus geben; dieser wird gross seyn, und ein Sohn des
Allerhöchsten genannt werden. [Luc. 1,31-32]
Und durch den Erfolg ist bewiesen worden, was Isaias vorhergesagt hat;
Siehe, eine Jungfrau wird empfangen, und einen Sohn
gebären. [Isai. 7,14] Das Nämliche erklärte
auch Elisabeth, nachdem sie, erfüllt mit dem heiligen Geiste, die Empfängniss
des Sohnes Gottes erkannt hatte, mit folgenden Worten: Woher
wird mir das Glück zu Theil, dass die Mutter des Herrn zu mir kommt
? [Luc. 1,43]
IV. Aber gleichwie der Leib Christi aus dem reinsten Geblüte der
unbeflecktesten Jungfrau, ohne alles Zuthun eines Mannes, wie wir oben sagten,
sondern alleinig durch die Kraft des heiligen Geistes ist gebildet worden, so
empfing auch seine Seele, sobald er empfangen war, das reichlichste Uebermaas
des Geistes Gottes, und die überströmende Fülle der göttlichen Gnaden. Denn Gott
verlieh ihm nicht, wie andern Menschen, welche mit
Heiligkeit und Gnade geschmückt sind, seinen Geist nach
einem gewissen Maase, [Joh. 3,34] wie der
heilige Johannes bezeugt, sondern er goss alle Gnade in einem solchen Uebermaase
in seine Seele, dass wir alle von seiner Fülle empfangen
haben. [Joh. 1,16]
V. Christus kann nicht der angenommene Sohn Gotteb genannt werden.
Man darf Christus nicht einen angenommenen Sohn Gottes nennen,
obwohl er jenen Geist hatte, wodurch heilige Menschen die Annahme Gottes an
Kindesstatt erlangen; denn da er von Natur aus der Sohn Gottes ist, so muss man
dafür halten, dass ihm weder die Gnade der Annahme an Kindesstatt, noch der Name
als angenommener Sohn zukomme.
VI. Was bei'm ersten Theile dieses Artikels vorzüglich zu betrachten ist.
Warum ist Gott Fleisch geworden?
Diess hielt man für nothwendig zur Erklärung des wunderbaren
Geheimnisses der Empfängniss; und damit man daraus einen Nutzen ziehe, so sollen
die Gläubigen vorzüglich darauf erinnert werden, und oft in ihrer Seele daran
denken, dass es Gott sey, der das menschliche Fleisch annahm, dass er aber auf
eine solche Art Mensch geworden sey, welche weder mit dem Verstande begriffen,
noch mit Worten erklärt werden kann; dass er endlich aus der Absicht habe Mensch
werden wollen, damit wir Menschen als Kinder Gottes wiedergeboren würden. Wenn
sie diess aufmerksam betrachten, dann werden sie alle Geheimnisse, welche dieser
Artikel enthält, mit demüthigem und gläubigem Gemüthe glauben und anbeten, und
sie nicht neugierig, was kaum jemals ohne Gefahr geschehen kann, ausforschen und
ergrübein wollen.
VII. Was es bedeute, Christus ist aus Maria, der Jungfrau geboren worden.
Geboren aus Maria der Jungfrau.
1) Wie erfreulich die Geburt Christi sey. 2) Die Verheissung der ewigen
Nachkommenschaft an Abraham wird in Christus erfüllt. Wie Maria eine
Gottesgebärerin sey.
I. Diess ist der zweite Theil dieses Artikels, auf dessen Erklärung der Seelsorger grossen Fleiss verwenden
soll, da die Christen glauben müssen, dass Jesus, der Herr, nicht nur durch die
Kraft des heiligen Geistes empfangen worden ist, sondern auch, dass er aus der
Jungfrau Maria geboren, und auf die Welt gebracht wurde.
Mit welcher Freude und Fröhlichkeit des Gemüthes der Glaube dieses
Geheimnisses erwogen werden müsse, erklären die Worte des Engels, der zuerst
diese glückseligste Botschaft der Welt angekündigt hat; denn er sagt: Siehe, ich verkünde euch eine grosse Freude, die das ganze Volk
haben wird. [Luc. 2,10] Dann auch erhellt
diess aus dem Gesänge jenes himmlischen Heeres: Ehre sey
Gott in der Hohe, und Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens
sind. [Luc. 2,14]
II. Dadurch begann auch jene preiswürdige Verheissung, die Gott dem
Abraham machte in, Erfüllung zu gehen, indem ihm nämlich verheissen wurde, es
würde einst geschehen, dass in seinem Saamen alle Völker der
Erde gesegnet werden. [Gen. 22,18] Denn
Maria, welche wir als Mutter Gottes preisen und verehren, weil sie jene Person,
welche Gott und Mensch zugleich war, geboren hat, stammte vom Könige David ab.
VIII. Christus ist nicht nach dem gemeinen Laufe der Natur geboren worden.
1) Wie wunderbar die Geburt Christi war. 2) Die ewige Jungfrauschaft
Mariens ist durch die Kraft des heiligen Geistes bewahret worden.
I. Wie die Empfängniss erhaben über den Lauf der Natur war, so
findet sich auch an der Geburt nichts als Göttliches. Was aber das Wunderbarste
ist, das sich je aussprechen und denken lässt, er wird von der Mutter ohne alle
Verringerung der mütterlichen Jungfräulichkeit geboren; und wie er hernach aus
dem verschlossenen und versiegelten Grabe hervorgegangen, und hei verschlossenen Thüren mitten unter seine Jünger getreten
ist, [Joh. 20,19] oder um nicht davon
abzuweichen, was wir, täglich in der Natur sehen, wie die Strahlen der Sonne die
dichte Masse des Glanzes durchdringen, ohne dass sie sich brechen , oder irgend
beschädigt werden; ebenso, sage ich, aber auf eine erhabnere Weise, ist Jesus
Christus aus dem mütterlichen Schoosse, ohne irgend einen Nachtheil für die
mütterliche Jungfräulichkeit hervorgegangen, und wir
lobpreisen ihre unbefleckte und ewige Jungfrauschaft mit dem vollsten Rechte.
II. Diess ist durch die Kraft des heiligen Geistes bewirkt worden,
welcher der Mutter bei der Empfängniss und Geburt des Sohnes so beistand, dass
er ihr Fruchtbarkeit verlieh, und auch ihre beständige Jungfrauschaft bewahrte.
IX. Christus wird mit Recht der zweite Adam und Maria die zweite Eva genannt
1) Christus wurde häufig mit Adam verglichen, und der zwelte Adam
geannt. 2) Vergleichung Mariens mit Eva und wie sie die zweite Eva sey.
I. Der Apostel pflegt öfter Jesum Christum den
neuesten Adam [I. Cor. 15,22] zu nennen, und
ihn mit dem ersten Adam zu vergleichen, denn wie im ersten Adam alle Menschen
sterben, so werden im zweiten alle wieder in's Leben zurückgerufen, [Rom. 5,14] und wie Adam, was
den natürlichen Zustand betrifft, der Vater des ganzen Menschengeschlechtes war,
so ist Christus der Urheber der Gnade und der Herrlichkeit.
II. Gleicherweise kann man die jungfräuliche Mutter so mit der Eva
vergleichen, dass der ersten Eva die zweite Eva, welche Maria ist, entspricht,
wie wir zeigten, dass der zweite Adam, d. i. Christus, dem ersten Adam
entspreche. Eva , weil sie der Schlange glaubte, hat Fluch und Tod über das
menschliche Geschlecht gebracht; und durch Maria, weil sie dem Engel, glaubte,
ist durch Gottes Güte bewirkt worden, dass Segen und Leben über die Menschheit
sich ergoss. [Ephes. 2,3]
Wegen Eva werden wir als Kinder des Zornes geboren, durch Maria erhielten
wir Jesum Christum, durch den wir als Kinder der Gnade wieder geboren werden.
Zur Eva ist gesagt worden: In Schmerzen wirst du die Kinder
gebären; [Gen. 2,16] Maria war diesem Gesetze
nicht unterworfen, da sie, ohne dass ihre jungfräuliche Schaam verletzt wurde,
ohne alles Gefühl eines Schmerzens, wie oben gesagt wurde, Jesus, den Sohn
Gottes, geboren hat.
X. Durch welche Bilder und Vorhersagungen die Geheimnisse der Empfängniss und Geburt Christi sind angedeutet worden.
Die Vorhersagungen und Bilder der Empfängniss und Geburt Christi.
Da die Geheimnisse der wunderbaren Empfängniss und Geburt so
erhaben und gross sind, so war es der göttlichen
Vorsehung angemessen, dass sie durch viele Bilder und Aussprüche angezeigt
wurden. Daher bezogen die heiligen Kirchenlehrer Vieles hieher, was wir an
vielen Stellen der heiligen Schrift zerstreut lesen; vorzüglich aber jene Pforte des Heiligthums, [Ezech.
44,23] welche Ezechiel verschlossen sah; ebenso bei Daniel den Stein, welcher vom Gebirge ohne Menschenhände losgerissen war,
welcher ein grosser Berg wurde, und die ganze Erde anfüllte; [Dan. 2,34] hernach: die Ruthe
Aarons, die allein unter den Ruthen der Fürsten Israels grünte; [Num. 17,8] und: den Dornbusch,
welchen Moses brennen sah, ohne dass er verbrannte.
[Exed. 3,2]
Der heilige Evangelist beschreibt die Geschichte der Geburt Christi
weitläufig; daher brauchen wir hierüber nicht Mehreres zu sagen, indem die
Nachlesung darüber dem Seelsorger ohnehin zu Gebote steht.
XI. Das Geheimniss der Menschwerdung muss dem Volke oft eingeprägt werden, und welcher Nutzen aus dessen Betrachtung hervorgehe.
1) Das Geheimniss der Menschwerdung muss dem Volke öfter vorgetragen
werden, damit es einem so grossen Wohltliäter danke, und seine Demuth nachahme.
2) Mit welchem frommen Eifer das Geheimniss der Menschwerdung des Sohnes Gottes
öfter betrachtet werden müsse. Wie erhaben die Würde des Menschen sey. 3) Wir
müssen in unsern Herzen Christus eine Wohnung bereiten. Wie das Bild der Geburt
des Sohnes Gottes in uns selbst kann dargestellt werden.
I. Der Seelsorger muss sich Mühe geben, dass diese Geheimnisse,
die zu unserer Belehrung geschrieben worden
sind, [Rom. 13,4] im Geiste und Gemüthe der
Gläubigen sich festsetzen; damit sie erstens durch das Andenken an eine so
grosse Wohlthat Gott, ihrem Urheber, einigermassen danken; dann damit dieses
ausgezeichnete und einzige Beispiel der Demuth zur Nachahmung immer vor ihren
Augen schwebe. Denn was ist uns wohl nützlicher und zuträglicher, um den Stolz
und Hochmuth unserer Seelen zu unterdrücken, als öfter daran zu denken, dass
Gott sich so sehr erniedrigt habe, dass er die menschliche Schwäche und
Gebrechlichkeit annahm, und Mensch wurde, und den Menschen jene höchste und
unendliche Majestät mittheilte, bei deren Wink die Säulen
des Himmels erbeben und zittern, [Job. 26,2] [Ps. 96,8] [] wie die
Schrift sagt, und dass der auf Erden geboren wurde, welchen im Himmel die Engel
anbeten! Was also, da Gott diess unsertwegen gethan hat,
was sage ich, sollen wir nicht thun, damit wir ihm nachfolgen? Mit welch
willigem und freudigem Gemüthe sollen wir alle Pflichten der Demuth lieben,
umfassen und üben? Mögen die Gläubigen erkennen , welche heilsame Lehre uns
Christus durch seine Geburt gibt, ehevor, er noch ein Wort spricht. Arm wird er
geboren, als Fremdling wird er geboren in einer Herberge, in einer schlechten
Krippe, mitten im Winter. Denn so schreibt der heilige Lucas: Und es trug sich zu, da sie dort waren, dass die Zeit zum Gebären
erfüllt wurde, und sie gebar ihren erstgebornen Sohn, und wickelte ihn in
Linnen; sie legte ihn in die Krippe, weil sie sonst keinen Platz in der Herberge
hatte. [Luc. 2,6.7] Konnte der Evangelist
wohl mit niedrigeren Worten alle Majestät und Herrlichkeit des Himmels und der
Erde darstellen? Er schreibt nicht schlechthin, dass in der Herberge nicht Platz
gewesen sey, sondern für denjenigen sey keiner gewesen, der da sagt: Mein ist der Erdkreis und seine Fülle.
[Ps. 49,12] Und diess bezeugt auch ein anderer Evangelist durch die
Worte: Er kam in sein Eigenthum, und die Seinigen haben ihn
nicht aufgenommen. [Joh. 1,11]
II. Wenn sich diess die Gläubigen vor Augen stellen, dann sollen
sie auch daran denken, dass Gott die Gebrechlichkeit und Niedrigkeit unseres
Fleisches desswegen angenommen habe, um das menschliche Geschlecht auf die
höchste Stufe der Würde emporzuheben. Denn jenes Einzige zeigt die
ausgezeichnete Würde und Vortrefflichkeit des Menschen, die ihm durch die
göttliche Wohlthat ist zugeeignet worden, weil der Mensch gewesen ist, welcher
eben so wahrer und vollkommener Gott ist; so dass wir uns rühmen können, der
Sohn Gottes sey unser Bein und unser Fleisch, wessen sich jene seligsten Geister
nicht rühmen können. Denn nirgends hat er, wie der Apostel sagt, die Engel ergriffen. [Hebr. 2,16]
III. Ueberdiess müssen wir uns in Acht nehmen, dass es sich nicht
zu unserm grössten Unglück ereigne, dass er nicht etwa, wie für ihn, als er zu
Bethlehem, geboren wurde, kein Platz war, auch jetzt, wenn er auch nicht mehr im
Fleische geboren wird, keinen Platz in unsern Herzen finde, wo er geistig
geboren werden soll. Da er recht sehnlich wünscht, dass wir gerettet werden sollen, so verlangt er sehr nach einem
Platze in unserm Herzen. Wie er durch die Kraft des heiligen Geistes gegen die
Ordnung der Natur Mensch geworden und geboren worden ist, und heilig, ja die
Heiligkeit selbst war, so sollen auch wir nicht aus dem Blute, nicht nach dem
Willen des Fleisches, sondern aus Gott geboren werden; und hernach als ein neues
Geschöpf in erneutem Geiste wandeln, und jene Heiligkeit und Reinheit ded
Gemüthes bewahren, welche sich für Menschen, die durch Gott wieder geboren sind,
geziemt. Auf solche Weise werden wir dann das Bild der heiligen Empfängniss und
Geburt des göttlichen Sohnes in uns selbst darstellen, welches wir mit treuem
Herzen glauben, und gläubig die in diesem Geheimnisse verborgene Weisheit Gottes
erkennen und anbeten.
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