Fünftes Hauptstück - Vom vierten Artikel des apostolischen Glaubensbekenntnisses.
Gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben.
I. Nothwendigkeit der Kenntniss des vierten Glaubensartikels und sein Inhalt.
Bedeutung des ersten Theiles des Artikels.
Wie nothwendig die Kenntniss dieses Artikels sey, und wie
sorgfältig der Seelsorger darauf achten soll, dass die Gläubigen das Andenken an
das Leiden Christi recht oft im Herzen erwägen, lehrt der Apostel, welcher
bezeugt, dass er nichts anderes wisse, als Jesum Christum,
und zwar den Gekreuzigten. [I. Cor. 2,2] Auf
diesen Satz muss aller Eifer und alle Mühe verwendet werden, damit er so
deutlich als möglich einleuchte,
und die Gläubigen durch Erwähnung dieser so
grossen Wohlthat angeeifert, sich ganz der Betrachtung der Liebe und Güte Gottes
gegen uns ergeben. Im ersten Theile des Artikels wird uns zu glauben
dargestellt, dass Jesus Christas zur Zeit, als Pontius Pilatus auf Befehl des Kaisers Tiberius die Provinz Judäa verwaltete,
gekreuzigt worden ist. Er wurde gefangen genommen, verspottet, mit verschiedenen
Arten von Unbilden und Peinen überhäuft, und zuletzt an das Kreuz geheftet.
II. Die Seele Christi fühlte die Leiden.
1) Die Seele Christi erlitt, was das Empfindungsvermögen betrifft
mannigfache Schmerzen. Siehe XII. dieses Artikels. 2) In der einzigen Person
Christi sind die Eigenschaften beider Naturen geblieben. Siehe II. Art. III.
I. Niemand darf zweifeln, dass Christi Seele, was seinen
menschlichen Zustand betrifft, von jenen Peinen nicht befreit geblieben sey;
denn da er die menschliche Natur angenommen hatte, so muss man nothwendig
bekennen, dass er in seiner Seele den bittersten Schmerz empfunden habe, daher
er auch sprach: Meine Seele ist betrübt bis zum
Tode. [Matth. 26,38]
II. Obwohl mit der göttlichen Person die menschliche Natur
verbunden war, so fühlte sie doch wegen jener Vereinigung um nichts weniger die
Herbe des Leidens, als wenn sie nicht mit ihr vereinigt gewesen wäre. Weil in
der Einen Person Christi die Eigentümlichkeiten beider Naturen, der göttlichen
sowohl, als der menschlichen, enthalten sind , so blieb ebendesswegen, was
leidensfähig und sterblich war, leidensfähig und sterblich; was aber nicht des
Leidens fähig und unsterblich war, als welche wir die göttliche Natur ansehen,
behielt eben diese Eigenschaft bei.
III. Warum im Symbole ausgedrückt wird, unter welchem Landpfleger Judaas Christus gelitten hat.
Warum wir aber hier so sorgfältig beachtet sehen, dass Jesus
Christus zu der Zeit gelitten habe, als Pontius Pilatus die Provinz Judäa
verwaltete, soll der Seelsorger, lehren, dass es desswegen geschah, weil die
Kenntniss einer so wichtigen und notwendigen Begebenheit uns dadurch
glaubwürdiger gemacht werden konnte, wenn die bestimmte Zeit der Thatsache, was
wir auch bei'm Apostel Paulus lesen [I. Tim. 6,5] , genau angegeben wurde; dann auch, weil
durch jene Worte erklärt wird, dass sich jene Weissagung des Erlösers durch den
Erfolg erprobt habe, wo es heisst: Sie werden ihn den Heiden
übergeben zum Verspotten; und zum Geisseln und zum Kreuzigen. [Matth. 20,19]
IV. Es war kein Zufall, dass Christus am Kreuzesstamme den Tod erlitt.
Die Strafe des Kreuztodes war bei den Heiden und Juden eine
fluchwürdige Strafe.
Der göttliche Rathschluss hat es gewollt, dass Christus gerade den
Kreuzestod erleiden soll, damit nämlich daher, woher der Tod kam, das Leben
seinen Ursprung nehmen sollte. Denn die Schlange, welche die ersten Eltern durch
das Holz besiegte, ist von Christus durch das Holz des Kreuzes besiegt worden.
Man kann hierüber noch mehrere Gründe anführen, welche die heiligen
Väter weitläufiger darlegten, um zu zeigen, dass es angemessen gewesen ist, dass
unser Erlöser vorzüglich den Kreuzestod erlitten habe. Doch der Seelsorger mag
die Gläubigen belehren, dass es hinlänglich sey zu glauben, jene Todesart sey
vom Erlöser auserwählt worden, weil sie zur Erlösung des Menschengeschlechtes am
passendsten und tauglichsten schien; so wie sie gewiss die schändlichste und
erniedrigendste wer. Denn nicht bloss die Heiden hielten immer die Strafe des
Kreuzestodes für fluchwürdig und mit aller Schande und Spott erfüllt, sondern
auch im Gesetze Mosis wird der ein verfluchter Mensch
genannt, der am Holze hängt. [Deuter. 21,23]
[Gal. 3,13]
V. Die Leidensgeschichte Christi soll dem Volke öfters im Andenken erneuert werden.
1) Wie nothwendig das Bekenntniss und der Glaube dieses verborgenen
Geheimnisses am Kreuze sey. 3) Warum die Propheten, die Apostel, und Gott selbst
so sehr die Geheimnisse des Kreuzes und des Leidens eingeprägt haben.
1. Der Seelsorger soll den Inhalt dieses Artikels, worin die
heiligen Evangelisten so genau die Leidensgeschichte darstellten, nie übergehen,
damit die Gläubigen wenigstens die Hauptsache dieses Geheimnisses, welches zur
Stärkung unsers Glaubens sehr nothwendig ist, kennen lernen. Denn auf diesen
Artikel stützt sich die christliche Religion und der christliche Glaube, wie auf
eine Grundfeste, auf deren Festigkeit alles Uebrige ruht. Wenn je etwas dem
menschlichen Geiste und Verstände schwierig erscheint, so ist es gewiss das Geheimniss des Kreuzes, und wir können es kaum erfassen,
dass unser Heil vom Kreuze und von demjenigen abhänge, welcher für uns an
dasselbe geheftet worden ist. Aber, wie der Apostel sagt, wir sollen hierin die
höchste Vorsehung Gottes bewundern.
II. Weil die Welt in der Weisheit Gottes Gott
durch die Weisheit nicht erkannt hat, so hat es Gott gefallen, durch die
Thorheit der Verkündigung die Gläubigen selig zu machen. [1 Cor. 1,21] Daher muss man sich nicht wundern, dass die
Propheten vor der Ankunft Christi, und die Apostel nach seinem Tode und seiner
Auferstehung sich so sehr bemühten, die Menschen zu überzeugen, dass dieser der
Erlöser der Welt sey, und sie unter die Gewalt und Botmässigkeit des
Gekreuzigten zu bringen. Und weil nichts der menschlichen Einsicht entfernter
liegt, als das Geheimniss des Kreuzes, so hat Gott sogleich nach der Sünde
niemals aufgehört, sowohl durch Bilder, als auch durch die Aussprüche der
Propheten, den Tod seines Sohnes anzudeuten. Von den Bildern wollen wir nur
einige anführen; zuerst den Abel, welcher von seinem Bruder aus Neid getödtet
wurde; hernach das Opfer Isaaks; ferner das Lamm, welches die Juden bei ihrem
Auszuge aus Aegypten opferten; dann die eherne Schlange, welche Moses in der
Wüste aufrichtete. Diess Alles waren Vorbilder vom Leiden und Tode Jesu Christi.
Wie viele Propheten und was sie vom Tode Christi weissagten, ist zu bekannt, als
dass es hier angeführt werden sollte. Ausser David aber, in dessen Psalmen die.
vorzüglichsten Geheimnisse unserer Erlösung enthalten sind, ist vorzüglich der
Prophet Isaias merkwürdig, dessen Vorhersagungen so deutlich und klar sind, dass
man mit Wahrheit sagen könnte, er habe vielmehr eine geschehene Thatsache
erzählt, als eine künftige vorhergesagt.
Gestorben und begraben.
VI. Was die Worte gestorben und begraben bedeuten.
1) Christus ist wirklich am Kreuze gestorben. 2) Bei'm Tode Christi ist
die Gottheit nicht vom Leibe oder der Seele getrennt worden.
I. Bei diesen Worten wird der Seelsorger erklären, dass man glauben
müsse, Jesus Christus sey, nachdem er gestorben war,
wirklich todt gewesen, und begraben worden. Und nicht ohne Grund wird dieses den
Gläubigen ausdrücklich zu glauben befohlen, da es Einige gab, welche läugneten,
dass er am Kreuze gestorben sey. Diesem Irrthume glaubten die heiligen Apostel
mit Recht diese Glaubenslehre entgegensetzen zu müssen, da über die Wahrheit
dieses Artikels Niemand zweifeln kann, indem alle Evangelisten darin
übereinstimmen, dass Jesus seinen Geist aufgegeben habe. Ueberdiess war ja
Christus wahrer und vollkommener Mensch, und konnte daher auch wirklich sterben.
Der Mensch aber stirbt, wenn die Seele vom, Körper getrennt wird.
II. Wenn wir also sagen, dass Jesus gestorben sey, so bedeutet
diess, dass seine Seele vom Körper getrennt worden ist; doch geben wir dabei
nicht zu, dass die Gottheit vom Körper getrennt wurde; im Gegenteile glauben und
bekennen wir standhaft, dass die Gottheit sowohl mit dem Körper im Grabe, als
auch mit der Seele in der Vorhölle immer vereint gewesen sey. Der Sohn Gottes aber musste sterben, auf dass er durch den Tod
denjenigen überwältigte, welcher des Todes Herrschaft hatte, d. i. den Teufel,
und uns erlöste, die wir aus Furcht des Todes das ganze Leben hindurch seiner
Dienstbarheit unterworfen waren. [Hebr. 2,10]
[Ibid. 2,14. 15]
VII. Christus ging nicht wider seinen Willen und aus Zwang in den Tod.
1) Der Tod Christi war freiwillig. 2) Die Grösse der Wohlthat muss
darin betrachtet werden, weil sie freiwillig war.
I. Das ist bei Christus dem Herrn besonders zu bemerken, dass er
dann starb, als er selbst zu sterben beschlossen hatte, und einen nicht so fast
von fremder Gewalt ihm angethanen, sondern einen freiwilligen Tod erlitt. Und er
hat sich nicht bloss den Tod, sondern auch Zeit und Ort selbst bestimmt, wo er
sterben wollte. Denn wir lesen bei Isaias: Er wurde
geopfert, weil er selbst wollte. [Isai. 53,7]
Dasselbe sagte der Herr von sich vor seinem Leiden: Ich lasse mein Leben, und nehme es wieder. Niemand entreisst es
mir, sondern ich gebe es freiwillig, und ich habe die Macht, es wiederum zu
nehmen. [Joh. 10,17.18] Was aber die Zeit und
den Ort betrifft, so sagte er selbst, als ihm Herodes nach dem Leben strebte: Saget es jenem
Fuchse, siehe, ich treibe Teufel aus, und vollziehe Krankenheilung heute und
morgen, und am dritten Tage werde ich vollenden; doch abreisen muss ich heute
oder morgen oder am dritten Tage, da es nicht gebräuchlich ist, dass ein Prophet
ausser Jerusalem sterbe. [Luc. 13,30.33] Er
that also nichts wider seinen Willen oder gezwungen, sondern er selbst bot sich
willig dar, und seinen Feinden entgegengehend sprach er: Ich
bin es; [Joh. 18,3] und freiwillig erduldete
er alle jene Strafen, mit welchen sie ihn ungerechter Weise und grausam
überhäuften. Es gibt gewiss nichts, was unser Gemüth mehr rühren könnte, als das
Andenken an seine Peinen und Qualen.
II. Wenn Jemand um unsertwillen alle Schmerzen erdulden würde,
nicht weil er sie selbst freiwillig auf sich nahm, sondern weil er ihnen nicht
entgehen konnte, so würden wir diess für keine geringe Wohlthat gegen uns
ehalten. Aber wenn er für uns sogar dem Tode, dem er entgehen konnte, gerne sich
unterzöge, so ist fürwahr diese Wohlthat so gross, dass auch der Dankbarste
nicht nur nicht den gebührenden Dank nicht abstatten, sondern nicht einmal
empfinden könnte. Hieraus kann man die unendliche Liebe Jesu Christi, und sein
göttliches und unendliches Verdienst um uns erkennen.
VIII. Warum wir sagen, Christus sey nicht bloss gestorben, sondern auch begraben worden.
1) Warum die Begräbniss Christi ausdrücklich erwähnt werde, und was man
aber sein Leiden betrachten müsse. 2) Wie bewiesen wird, dass Gott gestorben und
begraben worden sey.
I. Dass wir bekennen, Christus sey begraben worden, wird nicht
desswegen gleichsam als ein Theil des Artikels aufgestellt, als hätte es noch
einige neue Schwierigkeit, was vom Tode gesagt worden ist; denn wenn wir
glauben, dass Christus gestorben ist, so werden wir uns leicht überzeugen
lassen, dass er begraben worden sey. Allein diess ist beigefügt worden, damit
man erstlich desto weniger an seinem Tode zweifeln könne, da es der grösste
Beweis ist, dass Jemand gestorben sey, wenn wir beweisen, dass er begraben ist;
dann auch, damit das Wunder der Auferstehung mehr hervorleuchte und in ein
helleres Licht trete.
II. Aber wir glauben nicht allein das, dass der Leib Christi
begraben worden sey, sondern es wird uns besonders zu glauben vorgestellt, dass
Gott begraben worden sey, wie wir nach der Regel des katholischen Glaubens mit
aller Wahrheit behaupten, Gott sey gestorben und von der Jungfrau geboren. Denn
da die Gottheit niemals vom Körper, der begraben worden ist, getrennt war, so
bekennen wir mit Recht, dass Gott begraben worden sey.
IX. Was vom Tode und Begräbnisse Christi vorzüglich zu bemerken ist.
1) Vom Tode und Begräbnisse Christi sind hauptsächlich zwei Dinge zu
bemerken. 2) Wie Gott nicht leidet und nicht stirbt, und wie man doch mit Recht
sagen kann, Gott habe gelitten und sey gestorben.
I. Ueber die Art und den Ort der Begräbniss wird dem Seelsorger das
zu wissen genug seyn, was von den heiligen Evangelisten ist erzählt worden. Doch
sind vorzüglich zwei Dinge zu beobachten: nämlich erstens Christi Leib sey im
Grabe in keinem seiner Theile verweset; worüber der Prophet so geweissaget hat:
Du wirst nicht zugeben, dass dein Geheiligter
verwese. [Ps. 15,10] [Petr. 2,27]
II. Zweitens, dass, was alle Theile dieses Artikels betrifft, die
Begräbniss, das Leiden und auch der Tod Christo Jesu, als Menschen, nicht als
Gott, zukomme; denn leiden und sterben kann nur eine menschliche Natur; obschon
diess Alles auch Gott zugeschrieben wird, weil es von einer Person gesagt wird,
welche zugleich vollkommner Gott und vollkommuer Mensch war.
X. Wie man die Wohlthat des Leidens Christi betrachten müsse.
Hierauf wird der Seelsorger über das Leiden und den Tod Christi
dasjenige erklären, wodurch die Gläubigen die Unermesslichkeit dieses
Geheimnisses wo nicht begreifen, doch betrachten können. Zuerst muss betrachtet
werden, wer jener sey, der diess Alles leidet. Durch keinen Ausdruck der Sprache
können wir seine Würde erklären, oder auch nur mit dem Verstände erfassen. Der
heilige Johannes sagt, er sey das Wort, welches bei Gott war. Mit herrlichen
Worten schildert ihn der Apostel auf folgende Weise: Er sey derjenige, welchen Gott zum Erbherren über Alles
gemachte durch den er auch die Jahrhunderte erschaffen, der als der Abglanz
seiner Herrlichkeit, und das Ebenbild seines Wesens, Alles durch das Wort seiner
Kraft erhalte. Dieser also sitzt nach vollbrachter Reinigung unserer Sünden zur
Rechten der Majestät in den Höhen. [Hebr. 1,2.3]
Und damit mit Einem Worte wir es zusammen fassen: Jesus Christus leidet
als Gott und Mensch; er leidet als Schöpfer für die, welche er erschaffen hat;
er leidet als Herr für seine Diener; es leidet derjenige, durch den die Engel,
die Menschen, die Himmel, die Elemente sind geschaffen worden, jener sage, ich,
in dem, durch den und aus dem Alles ist. [Rom. 11,36] Man darf sich daher nicht wundern, wenn bei
den Qualen seines Leidens auch sein ganzes, Gebäude erschüttert worden ist; denn
wie die Schrift sagt: die Erde ist erschüttert worden,
[Matth. 27,51] , [Luc. 23,44] und die Felsen
sind gespalten; auch Finsternisse sind entstanden über die ganze Erde, und die
Sonne ist verfinstert worden. Wenn also stumme und fühllose Dinge das Leiden
ihres Schöpfers betrauerten, so sollen die Glaubigen bedenken, mit welchen
Thränen sie, die gleichsam die lebendigen Steine dieses Gebäudes sind [I. Petr. 9,52] , ihren Schmerz
darlegen sollen!
XI. Warum Christus das Aeusserste leiden wollte, und was von denen zu denken sey, welche sich zum Christenthume bekennen, aber im Schlamme der Sünde verwildern.
1) Ursache des Leidens Christi, sind von der schweren Verantwortung
derer, die in die Sünde zurückfallen. 2) Christus hat für die Sünden der ganzen
Welt genug gethan und desswegen gelitten. 3) Die, welche öfter in Laster
zurückfallen, kreuzigen Gott wiederholt, und sündigen meistentheils schwerer als
die Juden.
I. Es sollen nun die Ursachen des Leidens erklärt werden, damit die
Grösse und Kraft der göttlichen Liebe gegen uns desto mehr sichtbar werde. Wenn
also Jemand, fragt, welches die Ursache war, warum der Sohn Gottes das bitterste
der Leiden auf sich nahm, so wird er sie vorzüglich darin finden, dass ausser
der Erbsünde unserer ersten Eltern es die Laster und Sünden seyen, welche die
Menschen vom Anfange der Welt bis auf jetzt begingen haben, und bis zur
Vollendung der Welt noch begehen werde«.
II. Der Sohn Gottes, unser Heiland, beabsichtigte, bei seinem
Leiden und Sterben die Sünden aller Zeiten zu lösen und auszutilgen , und für
sie dem Vater vollkommene Genugthuung zu leisten. Und was die Erhabenheit dieses
Gegenstandes noch vermehrt, ist, dass Christus nicht nur für die Sünden gelitten
hat, sondern dass die Sünder auch die Urheber und Beförderer der Peinen waren,
die er erlitten hat, worüber der Apostel ermahnt, indem er an die Hebräer so
schreibt: Sehet hin auf den, der eine so grosse
Widersetzlichkeit von Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermattet,
und in eurer Seele kleinmüthig werdet. [Hebr. 12,3]
III. In dieser Schuld befinden sich alle jene, welche öfter in
Sünden fallen; denn da unsere Sünden Chiistus den Herrn bewogen haben, den
Kreuzestod auf sich zu nehmen: so kreuzigen wahrlich diejenigen, welche sich in
Sünden und Laster wälzen, so viel an ihnen liegt, an sich
selbst den Sohn Gottes zu wiederholten Malen, und behandeln ihn
schimpflich. [Hebr. 6,6] Und dieses
Verbrechen ist bei uns schwerer, als bei den Juden, weil jene, nach dem
Zeugnisse desselben Apostels, wenn sie es gewusst hätten,
den Herrn der Herrlichkeit niemals gekreuziget hätten; [I. Cor. 2,8] wir aber bekennen mit Worten, ihn zu
kennen, aber in der That läugnen es wir, und scheinen so zu sagen gewaltsam Hand
an ihn zu legen.
XII. Christus wurde vom Vater und auch von sich selbst überliefert.
Die heiligen Schriften bezeugen, dass Christus der Herr vom Vater
und auch von sich selbst zum Tode überliefert wurde. Bei'm Isaias heisst es:
Wegen der Laster des Volkes habe ich ihn
geschlagen; [Isai. 53,8] und kurz vorhin
sagte der Prophet, als er voll des heiligen Geistes den Herrn mit Schlagen und
Wunden überhäuft sah: Wir irrten alle umher, wie Schafe;
jeder ging seinen Weg; und auf ihn legte der Herr unser aller
Verbrechen. [Ibid. 53,6] Auch ist vom Sohne
geschrieben: Wenn er sein Leben für die Sünder dahingegeben
hat, wird er eine zahlreiche Nachkommenschaft sehen.
[Ibid. 5,10] Das Nämliche hat der Apostel mit deutlicheren Worten ausgedrückt, und da er andererseits darstellen wollte, wie viel wir
von der unendlichen Güte und Barmherzigkeit Gottes hoffen dürfen, so sagt er:
Der auch seines eigenen Sohnes nicht schonte, sondern ihn
für uns dahingab; hat er uns nicht mit ihm Alles geschenkt? [Röm. 8,22]
XIII. Christus fühlte die Bitterkeit der Leiden an Leib und Seele wirklich.
1) Bitterkeit des Leiden. 2) Der Leib Christi war gany vollkomraen und
ebenmässig. 3) Ob die heiligen Märtyrer bei ihren Peinen so grosse Schmerzen
empfunden haben, wie Christus. 4) Der Kelch Christi war mit keinem
Linderungsmittel von aussen her versehen.
I. Es soll nun der Seelsorger lehren, wie gross die Bitterkeit des
Leidens gewesen sey. Wenn wir uns erinnern, dass der
Schweiss des Herrn wie BlutTropfen auf die Erde herabfiel, [Luc. 20,22] da er die Leiden und Peinen in seiner Seele
erwog, welche er nun bald ausstehen müsse, so kann daraus Jeder leicht
schliessen, dass mit jenem Schmerze nichts kann verglichen werden. Denn wenn der
Gedanke an die bevorstehenden Uebel so bitter war, wie der blutige Schweiss
andeutete , was muss erst das Ertragen desselben gewesen seyn? Es ist
ausgemacht, dass Christus an Leib und Seele die grössten Schmerzen gelitten
habe.
Es war kein Theil an seinem Körper, der nicht die härtesten Peinen
empfunden hat; denn an Händen und Füssen wurde er mit Nägeln an's Kreuz
geheftet, das Haupt wurde mit Dornen durchstochen, und mit einer Ruthe gehauen,
das Angesicht durch Speichel geschändet, mit Fäusten geschlagen, der ganze
Körper mit Geissein zerhauen. Ueberdiess verschworen
[Ps. 2,2] sieh die Menschen aller Gattungen
und aller Stände gegen den Herrn und gegen seinen Gesalbten.
[Ps. 2,2] Denn Juden und Heiden waren
einverstanden und Urheber und Mithelfer des Leidens. Judas hat ihn verrathen,
Petrus verläugnet, Die Uebrigen haben ihn verlassen. Sollen wir nun am Kreuze
die Bitterkeit oder die Schande, oder beides zugleich beklagen? Wahrlich , es
konnte keine schändlichere und schmerzhaftere Todesart als diese erdacht werden,
mit der man gewöhnlich nur die schuldbeladensten und lasterhaftesten Menschen
belegte, und bei welcher die Langsamkeit des Todes das Gefühl des äussersten Schmerzens und der höchsten Qual heftiger machte.
II. Selbst die Beschaffenheit und der Körperbau des Leibes Jesu
Christi vermehrte die Peinen; denn da er durch die Kraft des heiligen Geistes
gebildet war, so war er viel vollkommener und ebenmässiger, als die Leiber
anderer Menschen seyn können; und desswegen hatte er auch ein schärferes
Empfindungs-Vermögen, und empfand schwerer alle jene Qualen.
III. Was aber den innern Schmerz der Seele betrifft, so kann
Niemand zweifeln, dass er bei Christus am grössten gewesen sey. Denn die
heiligen Menschen, welche Qualen und Peinen ausgestanden haben, ermangelten
nicht eines von Gott ertheilten Seelentrostes, durch den sie gestärkt die Härte
der Qualen gleichmüthig erdulden konnten; ja die Meisten erhoben sich im Leiden
in innerlicher Freude des Herzens, denn der Apostel sagt: Ich frohlocke im Leiden für euch, und erfülle das, was vom Leiden
Christi noch abgeht, an meinem Fleische für euren Körper, der die Kirche
ist. [Coloss. 1,23] Und anderswo: Ich bin mit Trost erfüllt, und überfliesse von Freude in all
unserer Trübsal. [II Cor. 7,4]
IV. Aber dem Kelche des Leidens Christi, den er getrunken hat, war
keine Süssigkeit beigemischt, welche ihn angenehmer machte. Er liess die
menschliche Natur, welche er angenommen hatte, alle Leiden fühlen, nicht anders,
als wenn er bloss Mensch, und nicht auch Gott gewesen wäre.
XIV. Welche Vortheile und Güter das Leiden Christi dem Menschengeschlechte vorzüglich gebracht hat.
Verschiedene Früchte des Leidens.
Es erübriget nun noch, dass der Seelsorger auch die Vortheile und
Güter, welche wir aus dem Leiden des Herrn schöpfen, genau erkläre. Erstens
brachte uns das Leiden des Herrn Befreiung von der Sünde; beim heiligen Johannes
heisst es: Er liebte uns,und reinigte uns von unsern Sünden
in seinem Blute; [Apoc. 1,5] und Paulus sagt:
Er hat euch mit sich neu belebt, indem er euch gnädig alle
Verbrechen erliess, und die Handschrift des Gesetzes, die gegen uns war, und
gegen uns zeugte, auslöschte, und durch Anheftung an das
Kreuz vernichtete. [Coloss. 2,13] . Zweitens,
er entriss uns der Tyrannei des Teufels. Denn der Herr sagt selbst: Jetzt ergeht das Gericht über die Welt, jetzt wird der Fürst
dieser Welt hinausgeworfen werden, und ich werde, wenn ich über die Erde erhoben
bin, Alles zu mir ziehen. [Joh. 12,31] Er
tilgte die für unsere Sünden schuldige Strafe aus. Ferner, weil Gott kein
angemesseneres und wohlgefälligeres Opfer dargebracht werden konnte, so söhnte
er uns mit dem Vater aus, und machte ihn uns besänftigt und geneigt. Endlich,
weil er unsere Sünden hinweggenommen hat, eröffnete er uns den Himmel, welcher
durch die Erbsünde den Menschen verschlossen war. Diess erklärt der Apostel mit
den Worten: Wir haben durch das Blut Christi zuversichtliche
Hoffnung zum Eintritt in das Heiligthum. [Hebr.
10,19] Im alten Testamente [Num. 30,25] fehlte es nicht an Vorbildern dieses
Geheimnisses, denn jene, welchen verboten war, vor dem Tode des Hohenpriesters
in's Vaterland zurückzukehren, deuteten an, dass Niemanden, wenn er auch heilig
und fromm gelebt hat, der Eintritt in das himmlische Vaterland offenstand,
ehevor nicht jener höchste und ewige Priester, Jesus Christus, gestorben wäre.
Sobald er aber gestorben war, sind sogleich die Pforten des Himmels eröffnet
worden für die, welche durch die Sakramente ausgesühnt, und mit Glaube, Hoffnung
und Liebe ausgerüstet, seines Leidens theilhaftig werden.
XV. Woher das Leiden Christi die Kraft hatte, uns so grosse Güter zu verdienen.
1) Die Genugthuung Christi für die Sünden Aller war ganz vollkommen.
Der von Christus bezahlte Preis war grösser sogar, als die Schuld. Das Leiden
Christi ist ein wahres Opfer. 2) Im Leiden Christi befinden sich Beispiele von
allen Tugenden.
I. Der Seelsorger soll lehren, dass aus dem Leiden Christi folgende
allergrössten und göttlichen Güter uns zufliessen. Erstens ist es eine ganze und
in allen Verhältnissen vollkommene Genugthuung, welche Christus auf wunderbare
Weise für unsere Sünden Gott, dem Vater, geleistet hat. Der Preis, den er für
uns zahlte, war unsern Schulden nicht allein gleich und sie aufwiegend, sondern
er überstieg sie weit. Dann war das Opfer Gott sehr angenehm , und als es ihm der Sohn am Altare des Kreuzes darbrachte, besänftigte
er den Zorn und Unwillen des Vaters gänzlich. Dieses Ausdruckes bediente sich
auch der Apostel, da er sagte: Christus hat uns geliebt, und
gab sich selbst für uns hin zur Gabe und zum Opfer, Gott zum lieblichen Geruche.
[Ephes. 5,2] Von der Erlösung heisst es beim
Apostelfürsten: Ihr seyd nicht um vergängliches Gold und
Silber erlöst von eurem von den Vätern anererbten thörichten Lebenswandel,
sondern mit dem theuren Blute Christi, dieses unschuldigen und unbefleckten
Lammes. [I Petr. 1,18] Und Paulus lehrt:
Christus hat uns vom Fluche des Gesetzes erlöset, da er für
uns zum Fluche geworden ist. [Galat. 3,13]
II. Aber ausser diesen unermesslichen Wohlthaten erlangten wir auch
jene allergrösste, dass wir in diesem einzigen Leiden die herrlichsten Bilder
aller Tugenden haben. Denn Christus zeigte Geduld, und Demuth, und
unübertreffliche Liebe, und Sanftmuth, und Gehorsam, die grösste Standhaftigkeit
der Seele, nicht nur in Erduldung von Schmerzen für die Gerechtigkeit, sondern
auch in Ertragung des Todes, so, dass wir wahrhaft sagen können, unser Erlöser
habe alle Vorschriften des Lebens, die er in der ganzen Zeit seines Lehramtes
mit Worten vortrug, an dem Einen Tage des Leidens an sich selbst vollführt.
So viel sey in Kürze vom Leiden Christi gesagt! Möchten diese
Geheimnisse immer in unserer Seele bleiben, damit wir zugleich mit dem Herrn
lernen, leiden, sterben und begraben werden; damit wir dann, frei von aller
Unreinigkeit der Sünde, mit ihm zu einem neuen Leben auferstehen, dereinst
seiner Gnade und Barmherzigkeit würdig seyen, und seines ewigen Reiches und
seiner ewigen Herrlichkeit theilhaftig werden.
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