Sonntag, 3. November 2013

Predigt vom Hl. Bonifatius - Von der Menschwerdung des Sohnes Gottes und von der Erlösung des menschlichen Geschlechts.

Zehnte Rede 

Von der Menschwerdung des Sohnes Gottes und von der Erlösung des menschlichen Geschlechts.


1. Der allmächtige Gott schuf den ersten Menschen im Paradiese nach seinem Bilde und Gleichniß (Gen. l, 26.) und wollte, daß er ewig lebe; als aber der Urvater des menschlichen Geschlechtes in Folge seiner Schuld aus den Freuden des Paradieses verstoßen wurde und der Sorge dieses Elendes und der Blindheit, an welcher wir leiden, anheimfiel, konnte er die Freuden des himmlischen Vaterlandes, welche er früher geschaut hatte, nicht mehr sehen. Im Paradiese nämlich war der Mensch gewohnt, der Ansprache Gottes zu genießen und durch die Reinheit des Herzens und die Erhabenheit der Anschauung unter den Geistern der seligen Engel zu weilen. Diese Ergötzungen verlor der Mensch damals, als er im Paradiese sündigte. Nachdem der erste Mensch gefallen war, wurde er Allem, was er mit dem Lichte des Geistes geschaut hatte, entrückt und wir, die wir aus seinem Fleische in der Blindheit dieses Elendes geboren sind, hörten zwar, daß es ein himmlisches Vaterland gebe, hörten, daß die Engel Gottes Bewohner desselben seien, und hörten, daß die Geister der vollkommenen Gerechten diesen Engeln beigesellt werden, da aber alle fleischliche Menschen dieses Unsichtbare nicht durch die Erfahrung zu fassen vermögen, so zweifeln sie, ob das, was sie mit den körperlichen Augen nicht sehen, wirklich bestehe. Wenn sie hören, daß das Höchste auch unsichtbar ist, so hegen sie, weil sie nur das sichtbare Niedrigste, worin sie geboren sind, kennen, Mißtrauen gegen die Wahrheit des Unsichtbaren, und so geschah es, daß der Schöpfer des Unsichtbaren und des Sichtbaren, der Eingeborene des Vaters, zur Erlösung des menschlichen Geschlechtes kam und der Eingeborene des Vaters Fleisch wurde, um uns zu dem Glauben zu führen. O wie groß ist die Güte unseres Gottes, welcher uns schuf und befreite und viele Schmähungen und Verhöhnungen in Worten von den treulosen Juden erduldete, damit wir uns nach seinem Beispiele in der wahren Geduld üben möchten; er empfing die Backenstreiche der ihn Mißhandelnden, um die Seelen der Gläubigen aus den Schlingen des Teufels zu befreien; er verbarg nicht vor den ihn anspeienden Treulosen das Gesicht, um uns mit dem Wasser des Heils abzuwaschen; er ertrug schweigend die Schläge, um uns von den ewigen Strafen zu erretten; er erduldete die Maulschellen, um uns ewige Ehre unter den Chören der Engel zu Theil werden zu lassen; er nahm bei seinem Durste die Bitterkeit der Galle, an um uns mit der ewigen Süßigkeit zu berauschen; das Leben selbst kam bis zum Tode, um den Todten das Leben zu bereiten. Warum hält man es also für hart, daß der Mensch für seine Bosheiten von Gott Schläge ertragen soll, wenn Gott von den Menschen so viel Böses für seine Wohlthaten ertrug? Wie kann Jemand mit gesundem Verstande über seine Züchtigung unwillig sein, da er selbst, der doch hier ohne Sünde lebte, von hier nicht ohne Züchtigung abging? Alles dieß und noch viel Anderes ertrug unser Erlöser für unser Heil und wir müssen aus Liebe zu ihm alle Laster und bösen Begierden lassen, weil er uns so sehr liebte, daß er für uns sein heiliges Blut vergoß. Wandeln wir also, geliebteste Brüder! auf dem schwierigen und rauhen Wege des Erlösers, lassen wir uns durch die Liebe zum Irdischen nicht überwältigen, nicht vom Stolze aufblasen, nicht vom Zorne zerfleischen, nicht von der Ueppigkeit beflecken, nicht vom Neide verzehren. Aus Liebe zu, uns geliebteste Brüder! unterlag unser Erlöser, lernen wir aus Liebe zu ihm uns selbst überwinden; thun wir dieß vollständig, so entgehen wir nicht nur den drohenden Strafen, sondern werden durch die den Märtyrern zukommende Herrlichkeit belohnt.
2. Da wir also, geliebteste Brüder! diese Hoffnung haben, so müssen wir uns reinigen von allem Unrathe des Fleisches und des Geistes und sollen, was böse und schmutzig ist, weder mit dem Leibe thun, noch mit dem Geiste denken, wie es den Heiligen ziemt, damit wir bei der künftigen Auferstehung zur Herrlichkeit und nicht zur Strafe zu gehen verdienen, denn ein Theil wird auferstehen, um von Gott die himmlischen Belohnungen zu erlangen, ein anderer aber, um mit dem Teufel ewige Qualen zu leiden, denn der Herr sagt im Evangelium von den Missethätern und Ungerechten: Alsdann werden die Gottlosen in das ewige Feuer, die Gerechten aber in das ewige Leben gehen (Matth. 25, 46.). Prägt euch also, geliebteste Brüder! diese Auferstehung, welche durch die apostolischen und göttlichen Worte bekräftigt ist, auf das Festeste ein. Bedenkt, daß unser Herr Jesus Christus, welcher von den Todten auferstanden ist und in seiner Unsterblichkeit zur Rechten des Vaters sitzt, sich würdigt, uns zu der gleichen Belohnung der Auferstehung zu berufen. Zeigt euch also würdig, daß euch jene himmlische und ewige Herrlichkeit verliehen wird, welche ihr nur dann erlangen könnt, wenn ihr euch in Allem heilig bewährt. Enthaltet euch aller bösen Werke des Hasses, der Feindschaft, der Trunkenheit der Unzucht, des Diebstahles und des Meineids, weil Gott alle diese und ähnliche Laster haßt und die, welche sich dieselben zu Schulden kommen lassen in der Zukunft bestrafen wird. Seid also gütig, barmherzig, demüthig und schamhaft und thut stets das, was Gott an seinen Heiligen liebt, damit ihr mit seinen Heiligen zum ewigen Leben gelanget durch Jesus Christus, unsern Herrn, welcher sich würdigen wolle uns in Allem zu beschützen und mit seiner Gnade beizustehen. Ihm sei Ehre mit dem Vater und dem heiligen Geiste von Ewigkeit zu Ewigkeit.
(Aus Sämmtliche Schriften des Heiligen Bonifacius des Apostel der Deutschen. Zweiter Band 1859)