Freitag, 22. November 2013

3. Advent - Predigt vom Hl. Thomas von Aquin

Zweite Rede 


Als Johannes im Gefängnisse von den Thaten Christi gehört hatte, sandte er zwei seiner Jünger ab. Matth. 11, 2.

Im vorhergehenden Evangelium handelte es sich von der Ankunft der Gerechtigkeit, in diesem von der Ankunft der Gnade. Daher ist hier die Rede von Johannes, welcher Gnade Gottes heißt, oder in welchem die Gnade Gottes ist. Es ist aber hier von viererlei die Rede; zuerst von dem Gefängnisse des Johannes; zweitens von der Frage der abgesandten Jünger wegen der Ankunft Christi; drittens von der Antwort des Herrn; viertens von der vielfachen Empfehlung des heiligen Johannes. Er wird aber in viererlei Hinsicht empfohlen; erstens in Hinsicht auf seine große Standhaftigkeit; zweitens in Hinsicht auf seine rauhe Kleidung; drittens in Hinsicht auf seine hohe Würde; viertens in Hinsicht auf sein heiliges Leben. Denn das erste enthalten die Worte: Als er gehört hatte u.s.w.; das zweite diese: Du bist; das dritte: Gehet hin und saget dem Johannes u.s.w.; das vierte diese: Er fing an, ihnen von Johannes zu sagen.

In Betreff der Empfehlung sind die vier aufgestellten Punkte in den Worten enthalten: Was ginget ihr in die Wüste zu sehen? Ein Schilfrohr das vom Winde hin und hergetrieben wird? (Erster Punkt) Einen Menschen in weichen Kleidern? (Zweiter Punkt) Mehr als einen Propheten? (Dritter Punkt) Dieser ist es, von dem geschrieben steht: Sieh ich sende meinen Engel (Boten) vor deinem Angesichte her, welcher deinen Weg vor dir bereiten wird (vierter Punkt.).
 In Bezug auf die Fesseln ist zu wissen, daß man von dreien sagt, daß sie in Fesseln sind, vom Gerechten, vom Gottlofen und Verdammten. Der Gerechte liegt in den Fesseln der Gebote, der Gottlose in den Fesseln der Sünden, der Verdammte in den Fesseln der Marter. Vom ersten heißt es (Ezech. 4.): "Sieh ich umgab dich mit Fesseln;" und wiederum (Oseas. 11.): "Ich will euch in den Fesseln der Liebe führen." Vom zweiten steht geschrieben (Sprichw. 5.): "Die Missethaten fenneln den Gottlosen und er wird von dem Stricke seiner Sünden gebunden," und sodann (Isai. 10.): "Beuget euch nicht unter die Fessel." Vom dritten heißt es (Weish. 17.): "Sie sind von den Fesseln der Finsterniß gebunden," und alsdann (Matth. 22.): "Bindet ihm Hände und Füße und werfet ihn in die äußerste Finsterniß." Die ersten Fesseln sind zu wünschen, die zweiten zu zerreißen, die dritten zu vermeiden.
Die Fesseln der Gebote sind in dreifacher Hinsicht zu wünschen; erstens weil durch sie die Befreiung von jedem Uebel erworben wird; zweitens weil der, welcher diese Fesseln trägt, von der Weisheit Gottes beschützt wird, drittens weil man von ihnen zur Herrschaft gelangt .In ersterer Hinsicht heißt es (Pred. 6.): "Seine Fesseln sind ein heilsames Band"; in Hinsicht auf das zweite (Weish. 10.): "Und in den Fesseln verließ er ihn." In Hinsicht auf das dritte (Pred. 4.): "Vom Kerker und von Fesseln kommt oft Mancher zur Herrschaft."
Man soll also die Fesseln der Gebote ergreifen, aber die der Sünden lösen. Es wird aber der Sünder gebunden von den Fesseln des Stolzes, von den Fesseln des Geizes, von den Fesseln der Ueppigkeit, von den Fesseln der Ehrabschneidung. Das erste deutet die Schrift an, wenn sie sagt (Job. 39.): "Wer läßt den wilden Esel frei und wer löst seine Fesseln." Unter dem wilden Esel aber versteht man den Hoffärtigen (Job. 11.): "Der eitle Mensch erhebt sich zum Stolze." Darum sind die Fesseln des wilden Esels, die des Stolzen. Das zweite sagt die Schrift (Isai. 5.): "Wehe die ihr das Unrecht in den Fesseln der Eitelkeit führet." Die Eitelkeiten sind der Reichthum. Das dritte sagen die Sprichwörter (7. Kap.): "Sogleich folgt er ihr, wie ein Ochs zur Schlachtbank geführt wird, und der Thor merkt es nicht, daß er in Fesseln geschleppt wird." Die ziehenden Fesseln sind die Hände des Weibes. Der Prediger sagt (Eccl. 7.): "Ich fand ein bitterers Weib, als der Tod ist," und nachher: "Die Fesseln sind ohne Hände." Diese Fesseln soll man zerbrechen, denn (Isaias 52.) sagt: "Zerbrich die Fesseln deines Halses." Sie werden aber auf vierfache Weise zerbrochen; zuerst durch die Gnade der Rechtfertigung, zweitens durch die Gnade der Zerknirschung; drittens durch die aufrichtige Beicht; viertens durch die Strafe der Genugthuung. Von der ersten Weise spricht der Psalmist (115.): "Du, o Herr, hast meine Fesseln zerbrochen," nämlich dadurch, daß er seine Gnade eingoß.
Von der zweiten spricht der Prophet (Dan. 4.) wo es heißt, daß das Feuer die Fesseln der Knaben verzehrte. Unter dem Feuer versteht man aber die Zerknirschung; denn es heißt (Ps. 38.): "In meiner Betrachtung entbrennt das Feuer." Von der dritten Weise spricht (Oseas. 5.): "Judas sah seine Fesseln." Judas aber heißt der Bekennende; daher sieht Judas seine Fessel, wenn der Büßer sich in den Fesseln der Sünde sieht und im Bekenntnisse um Löfung bittet. Von der vierten Weise spricht Nahunt der Prophet (1.): "Ich bestrafte dich. - Ich will aber deine Fesseln zerbrechen." So muß man der Sündenfesseln los werden.
Aber die Fesseln der Qualen soll man aus drei Gründen vermeiden, zuerst weil sie finster, zweitens weil sie grausam, drittens, weil sie ewig sind. In Bezug auf das erste sagt die Schrift (Weish. 17.): "In den Fesseln der Finsterniß und der langen Nacht gebunden, lagen die Flüchtlinge der ewigen Vorsehung." In Bezug auf das zweite (Pred. 13.): "Er schont nicht mit Qual und Fesseln." Von diesen Fesseln sagt Isaias (28.): "Daß nicht etwa unsere Fesseln angestrengt und angezogen werden." In Bezug auf das dritte Judas (1.): "Er schloß sie zum Gerichte des großen Tages in ewige Fesseln unter der Finfierniß." Er redet von den Teufeln. Von diesen Fesseln erlöfe uns, o Herr!