Montag, 26. August 2013

Vom achten Gebote - Catechismus Romanus

Römischer Katechismus (Catechismus). Nach dem Beschlusse des Conciliums von Trient und auf Befehl des Pabstes Pius V. herausgegeben. Passau, Druck und Verlag von Friedrich Winkler 1839

 

Dritter Theil - Neuntes Hauptstück

Vom achten Gebote - Du sollst kein falsch Zeugniss geben gegen deinen Nächsten.

.

 

I. Welchen Nutzen dieses Gebot enthalte. 

 

Wie weit die Fehler der Zunge sich erstrecken, und wie verderblich sie seyen.

Wie sehr nützlich und nothwendig es sey, dieses Gebot immerdar zu erklären, und an diese Pflicht zu erinnern, lehret uns der h. Jakobus mit diesen Worten: Wer in keinem Worte fehlet, der ist ein vollkommener Mann, [Jak. 3,2] und: Die Zunge ist zwar ein kleines Glied, richtet aber Grosses an. Siehe, ein kleines Feuer, welch grossen Wald zündet es an! [Jak. 3,6] und im Folgenden. Hiedurch werden wir an zwei Dinge erinnert; erstens, dass sich diese Sünde mit der Zunge sehr weit erstrecke, was auch durch jenen Ausspruch des Propheten bestätigt wird: Jeder Mensch lügt; [Ps. 115,12] so dass diess beinahe die einzige Sünde ist, die sich auf alle Menschen zu erstrecken scheint. Zweitens, dass hieraus unzählige Uebel hervorgehen; da oft durch die Schuld eines verleumderischen Menschen Vermögen, guter Ruf, Leben und das Seelenheil verloren geht, entweder dessen, der verläumdet wird, weil er die Beschimpfungen nicht geduldig ertragen kann, und sie, seiner nicht mehr mächtig, rächet; oder dessen, der verläumdet, weil er aus falscher Scham oder aus falschem Begriffe von Ehre, nicht bewogen werden kann, dem Beleidigten Genugthuung zu leisten. Daher sind hier die Gläubigen zu ermahnen, dass sie Gott den grösstmöglichsten Dank abstatten für dieses heilsame Gebot, kein falsches Zeugniss zu geben; denn dadurch wird nicht blos uns selbst verboten, eine Beleidigung zuzufügen, sondern wir werden auch durch den Gehorsam gegen dasselbe vor den Verunglimpfungen Anderer geschützt.

 

II. Was dieses Gebot für einen Inhalt habe. 

 

In diesem Einen Gebote sind, wie in den vorhergehenden, zwei Gesetze enthalten.
Bei diesem Gebote muss die nämliche Einrichtung und derselbe Weg eingehalten werden, wie bei den Übrigen, nämlich man muss zwei Gesetze in demselben beobachten; das eine verbietet, ein falsches Zeugniss abzulegen; das andere befiehlt, Heuchelei und Falschheit abzulegen, und unsere Reden und Handlungen nach einfacher Wahrheit abzumessen. An diese Pflicht ermahnte der Apostel die Epheser mit folgenden Worten: Sondern dass wir Wahrheit üben in Liebe, und zunehmen in allen Stücken in ihm. [Ephes. 4,16]

 

III. Was durch dieses Gebot vorzüglich verhütet werde. 

 

Der erste Theil dieses Gebotes hat die Bedeutung, dass, obwohl unter dem Worte „falsches Zeugniss" alles verstanden wird, was man Gutes oder Schlimmes von einem Andern behaupten mag, es sey nun vor Gericht oder ausserhalb demselben, doch besonders jenes Zeugniss
verboten wird, welches jemand vor Gericht unter einem Eide falsch ablegt. Denn der Zeuge schwöret bei Gott, so dass also die Rede desjenigen, der Zeugniss gibt und den göttlichen Namen dabei gebraucht, sehr viel Glauben und Gewicht hat. Weil daher dieses Zeugniss gefährlich ist, desswegen wird es hauptsächlich verboten: denn vereidete Zeugen, wenn sie nicht, durch gesetzliche Einwendungen ausgeschlossen werden, oder ihre Unredlichkeit und Lasterhaftigkeit offenkundig ist, kann nicht einmal der Richter verwerfen; besonders da ein Gebot des göttlichen Gesetzes besteht, dass die ganze Sache auf dem Munde zweier oder dreier Zeugen beruhe. [Matth. 18,16] Damit aber die Gläubigen das Gebot vollkommen verstehen, sollen sie belehret werden, was hier das Wort Nächsten bedeute, gegen welchen Niemand ein falsches Zeugniss ablegen darf.

 

IV. Was hier unter dem Namen „Nächster" bezeichnet werde. 

 

Nach der Lehre des Herrn ist jeder unser Nächster, welcher immer unsers Beistandes bedarf; mag er nun ein Verwandter seyn, oder ein Fremder, ein Mitbürger oder ein Ausländer, ein Freund oder Feind; denn es ist unrecht, zu glauben, gegen Feinde ein falsches Zeugniss abzulegen sey erlaubt, da wir sie nach dem Befehle unsers Gottes und Herrn lieben müssen. Ja sogar, weil sich in gewisser Hinsicht Jeder selbst der Nächste ist, so ist es Niemanden erlaubt, gegen sich selbst ein falsches Zeugniss zu geben; da jene, die diess begehen, sowohl sich selbst mit Schmach und Schande brandmarken, als auch die Kirche, deren Glieder sie sind, verunglimpfen; auf diese Weise fügen auch die dem Staate einen Schaden zu, die sich selbst den Tod anthun. Denn beim h. Augustin heisst es: Nur jene, die es nicht recht, verstanden, konnten dafürhalten, es sey nicht verboten, dass irgend einer gegen sich selbst als falscher Zeuge auftrete, weil im Gebote beigefügt sey, gegen deinen Näclisten. Doch es halte Niemand, wenn er gegen sich selbst ein falsches Zeugniss abgelegt hat, desswegen sich für frei von diesem Verbrechen, da der Befehl, den Nächsten zu lieben, bei der Liebe seiner selbst anfangt."

 

V. Es ist nicht erlaubt, zum Vortheile des Nächsten ein falsches Zeugniss abzulegen, oder zu lügen. 

 

Weil aber verboten ist, den Nächsten durch ein falsches Zeugniss zu verletzen, so soll Niemand glauben, dass desswegen das Gegentheil erlaubt sey, so dass man durch einen Meineid dem, der durch Blutsverwandtschaft oder Religion mit uns in Verbindung steht, einen Nutzen oder Vortheil verschaffen dürfte. Denn Niemand darf sich mit Lügen und Unwahrheit, viel weniger mit einem Meineide abgeben. Desshalb lehret der h. Augustin von der Lüge an den Crescentius nach dem Ausspruche des Apostels, dass die Lüge unter die falschen Zeugnisse zu zählen sey, wenn man auch zum Lobe eines Andern lügt. Bei der Abhandlung jener Stelle: Dann würden wir auch als falsche Zeugen Gottes befunden; denn wir hätten wider Gott bezeugt, dass er Christum auferwecket habe, den er nicht auf erweckt hat, wofern die Todten nicht auferstehen; [I.Cor. 15,15] sagte er: Der Apostel nennet es ein falsches Zeugniss, wenn Jemand von Christus und in dem, was zu dessen Lobe zu gehören scheint, etwas Unwahres sagen würde.

 

VI. Wie viele Uebel aus einem zu Gunsten eines Andern abgelegten falschen Zeugnisse erfolgen. 

 

Sehr oft ereignet es sich auch, dass der, welcher Einen begünstiget, einem Andern schade. Es wird sicherlich der Richter zum Irrthume verleitet, wenn er zuweilen durch falsche Zeugen bewogen, gegen das Recht Unrecht beschliesst, und ein ungerechtes Urtheil auszusprechen gezwungen wird. Manchmal geschieht es auch, dass derjenige, welcher wegen des falschen Zeugnisses eines Andern die Sache vor Gericht gewonnen, und diess ungestraft zu Wege gebracht hat, in der Freude über seinen ungerechten Sieg sich angewöhnet, falsche Zeugen zu bestechen und beizubringen, mit deren Beihilfe er hoffet, dass er alles, was er immer wünscht, erreichen könne. Diess aber ist auch für den Zeugen selbst ein sehr schweres Vergehen, da er sowohl von dem, welchen er durch einen Schwur unterstützte, als ein falscher und meineidiger Mensch erkannt wird; als auch, weil er, da ihm seini Verbrechen nach Wunsch ging, täglich eine grössere Uebung und Gewohnheit in Ruchlosigkeit und Verwegenheit erlanget.

 

VII. Die Sünden aller derjenigen, welche gerichtliche Untersuchungen behandeln, und im Allgemeinen jede Lüge wird durch dieses Gebot verboten. 

 

Wie also den Zeugen Unwahrheit, Lüge und Meineid verboten ist, ebenso ist auch den Anklägern, Beklagten, Beiständern, Richtern, Sachwaltern, Advokaten und endlich allen andern, welche bei Gericht sitzen, diess untersagt. Endlich verbietet Gott jedes Zeugniss nicht nur vor Gericht, sondern auch ausser dem Gerichte, welches einem andern Nachtheil und Schaden zufügen könnte. Im Levitikus heisst es in der Stelle, wo diese Vorschriften wiederholt werden, wie folgt: Ihr sollt nicht stehlen. Ihr sollt nicht lügen, nicht trügen einer den andern; [Lev. 19,14] auf dass Niemand zweifeln könnte, dass von Gott durch dieses Gebot jede vorgebrachte Lüge verdammet werde, was ganz deutlich David auf diese Weise bezeugt: Du verderbest alle, die Lüge reden. [Ps. 5,7]

 

VIII. Dieses Gebot erstrecket sich auch auf das Laster der Verläumdung.

 

Durch dieses Gebot aber wird nicht nur das falsche Zeugniss verboten, sondern auch die abscheuliche Lust und Gewohnheit, einen Andern zu verläumden; es ist unglaublich, wie viele and grosse Nachtheile und Uebel aus dieser Pest entstehen. Dieses Laster, böse und schimpflich von einem Andern zn reden, missbilligen die heiligen Schriften allenthalben. David sagt: Mit dem will ich nicht essen! [Ps. 100,5] Und der heilige Jakobus: Verläumdet einander nicht, meine Brüder! [Jak. 4,11] Die heiligen Schriften geben nicht nur Gebote, sondern auch Beispiele, wodurch die Grösse des Lasters erkläret wird. Denn auch Aman brachte durch erdichtete Verbrechen den Assuerus so gegen die Juden auf, dass er alle Menschen dieser Nation zu tödten befahl. [Esth. 13,6] Die heilige Geschichte ist voll von solchen Beispielen, und durch ihre Aufzählung sollen sich die Seelsorger bemühen, die Gläubigen von der Ruchlosigkeit dieser Sünde abzuschrecken.

 

IX. Welche in die Zahl der Verläumder zu rechnen seyen. 

 

Verläumder sind die, welche die Sünden Anderer vergrössern oder veröffentlichwn. Die Ketzer sind die abscheulichsten Verläumder.

Damit aber das Wesen dieser Sünde, wodurch ein Anderer verläumdet wird, ganz durchschaut werde, muss man wissen, dass nicht blos durch die falsche Anklage der gute Name der Menschen verletzt werde, sondern auch durch Vergrösserung und Verbreitung der Vergehen. Und wenn Jemand in Geheim etwas verbrochen hat, was, wenn es bekannt würde, seinen guten Namen beschweren und entehren würde, so wird er, welcher es da, wo, wann und wem es nicht zu wissen nöthig ist, ausbreitet, mit Recht ein Verläumder und Ehrabschneider genannt.
Aber keine Verläumdung ist ein grösseres Verbrechen, als die derjenigen, welche der katholischen Lehre und ihren Predigern übel nachreden. In gleicher Schuld befinden sich jene, welche Lehrer von bösen Grundsätzen und Irrthümern mit Lobeserhebungen preisen.

 

X. Welche Verläumder anhören, oder zwischen Feinden Zwietracht säen, sind ebenfalls Verläutnder. 

 

Von der Zahl und dem Vergehen dieser Menschen sind auch jene nicht frei, welche Verleumdern und Ehrabschneidern Gehör geben, es ihnen nicht verweisen; sondern ihnen gerne beistimmen. Denn vom Ehrabschneiden oder einem Ehrabschneider Gehör geben, schreiben die heiligen Hieronymus und Bernhard, ist nicht leicht zusagen, welches verdammlicher sey, denn es würde keine Verläumder geben, wenn nicht solche wären, die ihnen Gehör schenken.
Zur nämlichen Klasse gehören auch die, welche die Menschen durch ihre Kunstgriffe entzweien, sie zusammenhetzenh, und an Stiftung von Uneinigkeiten grosses Wohlgefallen haben, so dass sie die innigsten Verbindungen und Kameradschaften durch erdichtete Reden zerreissen, und die vertrautesten Freunde zu ewiger Feindschaft und selbst zu Waffen verleiten. Dieses Pestübel verabscheuet der Herr mit folgenden Worten: Du sollst kein Verläumder noch Ohrenbläser unter deinem Volke seyn. [Nev. 19,16] Solche waren viele aus den Räthen des Saul, welche sein Wohlwollen dem David zu entziehen, und den König gegen ihn aufzureizen suchten.

 

XI. Die Schmeichelei ist durch dieses Gesetz ebenfalls verboten. 

 

1) Wie sehr die Schmeichler zu tadeln und zu fliehen seyen. 2) Die schädlichste Art der Schmeichelei.

I. Es versündigen sich gegen diesen Theil des Gebotes endlich die Schmeichler und Speichellecker, welche sich durch Schmeicheleien und erheuchelte Lobsprüche in die Ohren und Gemüther derjenigen einschleichen, deren Gunst, Geld oder Ehre sie zu erlangen trachten, indem sie, wie es beim Propheten heisst: >Das Böse gut, das Gute bös nennen. [Isai. 5,20] Dass wir diese von uns entfernt halten und nicht mit ihnen umgehen sollen, ermahnt uns David mit jenen Worten: Der Gerechte mag mich strafen in Güte, oder mich schelten; aber des Sünders Oel soll mein Haupt nicht salben. [Ps. 140,5] Obgleich diese den Nächsten keineswegs verläumden, so schaden sie ihm doch sehr, da sie ihn verführen, indem sie sogar seine Sünden loben, in seinen Lastern zu verharren, so lange er lebet.
II. In dieser Art ist jene Schmeichelei am ärgsten, welcher man sich zum Unglücke und Verderben des Nächsten bedient. So schmeichelte Saul dem David, als er ihn der Wuth und den Schwertern der Philisthäer preisgeben wollte, damit er getödtet würde, mit folgenden Worten: Siehe, ich will dir meine älteste Tochter Merob zum Weibe geben, sey nur tapfer, und führe die Kriege des Herrn. [1. Regg. 18,17] So redeten die Juden Christus den Herrn mit den trügerischen Worten an: Meister, wir wissen, dass du wahrhaft bist, und den Weg Gottes nach der Wahrheit lehrest. [Matth. 22,16]

 

XII. Wie Freunde einem gefährlich kranken Freunde verderblich schmeicheln. 

 

Weit verderblicher aber ist die Rede von Freunden, Verwandten und Bekannten, mit der sie manchmal jenen schmeicheln, welche gefahrlich krank, oft schon im Sterben begriffen sind, indem sie sagen, es drohe ihm jezt noch keine Todesgefahr, indem sie ihn freudig, und guter Dinge seyn heissen, und ihn von der Beicht, als einem gar traurigen Gedanken , abhalten; indem sie endlich seinen Geist von aller Sorge und Betrachtung der äussersten Gefahren abwenden, in denen er tief schwebet. Daher soll jede Art von Lüge gemieden werden, besonders aber jene, wodurch Jemand grossen Schaden erleiden könnte. Die allerruchloseste Lüge aber ist die, wenn Jemand gegen die Religion oder über die Religion lüget.

 

XIII. Es sündigen auch gegen dieses Gebot die Verfasser von Schmähschriften, die aus Scherz oder Gefälligkeit lügen und die Heuchler. 

 

1) Schmähschriften sind verboten. Scherzlügen und Lügen aus Gefälligkeit sind verboten. 2) Heuchelei ist verboten.
1. Aber auch durch jene Schimpfworte und Vorwürfe wird Gott schwer beleidigt, welche in sogenannten Schmähschriften verbreitet werden, und durch andere Verunglimpfungen. Ferner ist es jedenfalls unwürdig, aus Scherz, oder aus Gefälligkeit durch eine Lüge zu hintergehen, wenn auch dadurch Niemand einen Schaden erleidet, oder einen Vortheil gewinnt; denn der Apostel ermahnet uns so: Darum leget ab die Lüge, redet Wahrheit ein Jeder mit seinem Nächsten. [Ephes. 4,25] Darin liegt eine grosse Hinneigung zu häufiger und schwererer Lüge, und durch die Scherzlügen gewöhnen sich die Menschen das Lügen an, und kommen in den Verdacht, dass sie nicht wahrheitsliebend sind. Desshalb müssen sie beständig schwören, um ihrer Rede Glauben zu verschaffen.
II. Endlich wird durch den ersten Theil dieses Gebotes die Heuchelei missbilliget; und es ist nicht blos das, was heuchlerisch gesagt, sondern auch, was aus Heuchelei gethan wird, lasterhaft; denn sowohl die Worte, als auch die Thaten sind Merkmale und Kennzeichen dessen, was in der Seele eines jeden vorgeht; und desswegen tadelt der Herr oft die Pharisäer, und nennet sie Heuchler. Soviel vom ersten Gesetze dieses Gebotes, was das Verbot betrifft. Nun wollen wir erklären, was der Herr im andern Theile befiehlt.

 

XIV. Was im andern Theile dieses Gesetzes, in den Worten dieses Gebotes verhüllt, über die weltlichen Gerichte vorgeschrieben sei. 

 

Die weltlichen Gerichte müssen gerecht und nach den vorgeschriebenen Gesetzen verfahren.

Der Inhalt und die Absicht dieses Gebotes bezwecket, dass die weltlichen Gerichte gerecht und nach den Gesetzen verwaltet werden, und dass sich die Menschen der Gerichte nicht bemächtigen und sich dieselben anmassen sollen. Denn es ist nicht erlaubt, einen fremden Knecht zu richten [Röm. 14,4] , schreibt der Apostel, damit sie nicht, ohne Kenntniss der Umstände und Sache, ein Urtheil fällen. So verfehlte sich der Rath der Priester und Schriftgelehrten, welche über den heiligen Stephanus das Urtheil sprachen; ebenso versündigte sich der Magistrat der Philipper, von denen der Apostel sagt: Oeffentlich, unverhört haben sie uns, römische Bürger, gegeiselt, und ins Gefängniss geworfen, und jetzt entlassen sie uns heimlich? [Galat. 16,37] Sie sollen nicht Unschuldige verurtheilen, oder Schuldige lossprechen; sie sollen sich nicht durch Geld oder Gunst, nicht durch Hass oder Liebe bestechen lassen. Denn Moses ermahnt die Aeltesten, die er zu Richtern des Volkes aufgestellt hatte, so: Höret sie, und richtet, wie es recht ist: sey es Bürger oder Fremdling. Und es sey kein Unterschied der Person: wie den Grossen, sollt ihr den Geringern hören, und keines Menschen Person ansehen, denn es ist Gottes Gericht. [Deut. 1,16.17.]

 

XV. Die Angeklagten dürfen nicht lügen, wenn sie von der rechtmässigen Obrigkeit befragt werden. 

 

Gott will, dass die Angeklagten und Verbrecher die Wahrheit bekennen, wenn sie im Verhöre befragt werden. Denn dieses Bekenntniss ist ein gewisses Zeugniss und Bekenntniss des Lobes und der Herrlichkeit Gottes, nach dem Ausspruche des Josue, welcher den Achan zum Bekenntnisse der Wahrheit ermahnte mit den Worten: Mein Sohn, gib die Ehre dem Herrn, dem Gotte Israels. [Jos. 7,19]

 

XVI. Welches die Pflicht der Zeugen sey. 

 

1) Falsche Zeugnisse sind zu verbieten. Das wahrhafte Zeugniss wird sehr oft gebraucht. 2) Ausser dem Gerichte ist es manchmal erlaubt, die Wahrheit zu verschweigen. Man muss nicht als gewiss behaupten, was man nicht gewiss weiss.

I. Weil aber dieses Gebot vorzüglich die Zeugen betrifft, so soll auch hierüber der Seelsorger sorgfältig handeln. Denn der Inhalt desselben verbietet nicht nur das falsche Zeugniss, sondern er befiehlt auch, die Wahrheit zu sagen. Man braucht im menschlichen Leben sehr häufig eine wahre Zeugenschaft, weil es unzählige Dinge gibt, welche wir nicht wissen könnten, wenn wir sie nicht durch glaubwürdige Zeugen erfahren würden. Daher ist nichts so nothwendig, als die Wahrheit der Zeugnisse in dem, was wir nicht wissen, und doch nothwendig wissen sollen. Hierüber haben wir einen Ausspruch des h. Augustin: Wer die Wahrheit verheimlichet, und wer die Lüge offenbaret, sind beide schuldig; jener, weil er nicht nützen will; dieser, weil er zu schaden trachtet.
II. Jedoch ist es bisweilen erlaubt, die Wahrheit zu verschweigen, aber nur ausser dem Gerichte; denn im Gerichte, wo der Zeuge vom Richter rechtmässig gefragt wird, muss durchaus die Wahrheit geoffenbaret werden. Hiebei haben sich aber die Zeugen zu hüten, dass sie nicht zu sehr auf ihr Gedächtniss sich verlassen, und das, was sie nicht gewiss wissen, als gewiss behaupten. Es ist nun noch von den Beiständern und Advokaten, von den Klägern und Angebern zu sprechen übrig.

 

XVII. Wie Advokaten und Sachwalter ihre Pflicht erfüllen können. 

 

Diese sollen zur Zeit der Noth den Menschen ihre Dienstleistung und ihren Beistand nicht entziehen, und den Bedrängten wohlwollend zu Hilfe kommen, dann weder ungerechte Sache zu vertheidigen übernehmen, noch durch Schikanen die Prozesse in die Länge ziehen, noch aus Geiz sie unterhalten. Was den Lohn ihrer Arbeit und Dienstleistung betrifft, so sollen sie denselben nach Recht und Billigkeit bemessen.

 

XVIII. Wie die Angeber und Kläger ihre Pflicht verletzen. 

 

Die Angeber und Kläger aber sind zu ermahnen, dass sie niemanden aus Hass oder aus Liebe, oder aus einer andern Leidenschaft durch ungerechte Anklagen in Gefahr bringen sollen. Allen Frommen endlich ist von Gott das Gebot vorgeschrieben, dass sie in Zusammenkünften und Gesprächen immerdar von ganzem Herzen die Wahrheit reden; nichts sagen, was dem guten Namen eines Andern nachtheilig seyn könnte, nicht einmal über jene, von welchen sie sich beleidigt und gereizt sehen, da sie den Vorsatz haben sollen, mit ihnen sich so zu verbinden und zu vergesellschaften, dass sie Glieder desselben Leibes seyen.

 

XIX. Durch welche Gründe die Christen zur Erkenntniss der Abscheulichkeit, die in der Lüge liegt, gebracht werden können. 

 

Damit aber die Gläubigen dieses Laster der Lüge williger meiden, soll ihnen der Seelsorger das äusserste Elend und die Schändlichkeit dieser Schandthat vorstellen. Denn in den heiligen Schriften heisst der Teufel Vater der Lüge [Jos. 8,44] . Weil der Teufel in der Wahrheit nicht bestanden ist, so ist er ein Lügner und der Vater der Lüge. Zur Austilgung dieses so grossen Lasters soll er darstellen die Uebel, welche der Lüge folgen; und weil sie unzählig sind, so soll er die Quelle und den Ursprung der Nachtheile und Drangsale erwähnen. Und zwar soll er erstens durch den Ausspruch des Salomon erklären, wie schwer ein trügerischer und lügenhafter Mensch Gott beleidige, und dessen Hass sich zuziehe, da es heisst: Sechs Dinge sind, die der Herr hasst, und das siebente verabscheuet seine Seele: Hohe Augen, lügenhafte Zungen, Hände, die unschuldig Blut vergiessen, ein Herz, das mit bösen Gedanken umgeht. Füsse, die schnell sind, dem Bösen zuzulaufen, einen falschen Zeugen, der Lügen vorbringt [Prov. 6,16-20] u. d. f. Wer soll daher dem Rettung verschaffen, den Gott so sehr hasset, dass er nicht den härtesten Peinen verfällt?

 

XX. Welche Nachtheile die Lügen der menschlichen Gesellschaft zufügen. 

 

Was ist ferner sündhafter und schändlicher, wie der heilige Jakobus sagt [Jak. 3,9] , als mit der nämlichen Zunge, mit welcher wir Gott und den Vater preisen, die Menschen zu verfluchen, die nach dem Ebenbilde und Gott ähnlich geschaffen sind, so dass aus der nämlichen Oeffnung süsses und bitteres Wasser hervorquillt? Denn die Zunge, die vorher Gott Lob und Preis ertheilte, verunglimpfet ihn nachher, so viel an ihr gelegen ist, mit Schmach und Schande dadurch, dass sie lügt. Desshalb sind die Lügner vom Besitze der himmlischen Seligkeit ausgeschlossen. Als David den Herrn fragte: Herr, wer wird wohnen in deinem Zelte? [Ps. 14,3.3] antwortete der heilige Geist: Der Wahrheit spricht in seinem Herzen, der nicht Falschheit übet mit seiner Zunge. Ein sehr grosser Nachtheil der Lüge aber besteht auch darin, dass diese Seelenkrankheit beinahe unheilbar ist. Denn da die Sünde, welche durch eine falsche Anklage vor Gericht, oder durch Verkleinerung des guten Rufes und der Ehre des Nächsten begangen wurde, nicht nachgelassen wird, wenn nicht der Verläumder dem, welchen er ungerechter Weise angeschuldiget hat, für das Unrecht Ersatz leistet, dieses aber von den Menschen schwerlich geschieht, indem sie, wie wir oben erwähnten, vorzüglich Scham und eitler Stolz auf ihre Würde abhält; so können wir nicht zweifeln, dass der, welcher in diese Sünde gerathen ist, den ewigen Strafen der Hölle verfallen sey. Auch darf Niemand hoffen, Verzeihung der Verläumdungen und Ehrabschneidung erlangen zu können, ehevor er nicht dem Genugthuung geleistet hat, dessen Ehre und guten Namen er entweder öffentlich vor Gericht oder auch in privat und freundschaftlichen Zusammenkünften geschmähet hat. Ueberdiess erstrecket sich dieser Nachtheil sehr weit, und verbreitet sich auf die übrigen, da durch Unwahrheit und Lüge Treue und Glaube, die engsten Bande der menschlichen Gesellschaft, aufgehoben werden; und sind diese hinweggennommen, so folgt die grösste Verwirrung im Leben, so dass sich die Menschen von Teufeln gar nicht unterscheiden. Ferner soll der Seelsorger lehren, dass man Geschwätzigkeit meiden soll; vermeidet man diese, so weichen auch die übrigen Sünden, und die Lüge wird sehr verhütet; von diesem Laster aber können sich die Vielschwätzer nicht leicht enthalten.

 

XXI. Eitle Entschuldigungen der Lügen werden widerlegt. 

 

Man darf wegen keiner Vortheilhaftigkeit lügen.

Endlich soll der Seelsorger denen ihren Irrthum benehmen, die sich mit der Unbedeutendheit der Rede entschuldige, und die Lüge durch das Beispiel kluger Männer vertheidigen, von denen sie sagen, dass sie zu Zeiten lügen. Er soll ihnen entgegnen, was sehr wahr ist, die fleischliche Gesinnung sey Tod. [Röm. 8,6] Er ermahne die Zuhörer, dass sie in Noth und Bedrängniss auf Gott vertrauen, und nicht zum Kunstgriffe der Lüge ihre Zuflucht nehmen. Denn Jene, die sich dieses Hülfsmittels bedienen, bekennen offen, sie stützen sich mehr auf ihre Klugheit, als sie auf Gottes Vorsehung ihr Vertrauen setzen. Welche die Ursache ihrer Lüge auf die schieben, welche sie ebenfalls angelogen haben, die sind zu belehren, dem Menschen sey es nicht erlaubt, sich selbst zu rächen, und Böses mit Bösem zu vergelten, sondern man müsse das Böse mit dem Guten überwinden; [Röm. 12,17. 21] und wäre auch eine solche Wiedervergeltung erlaubt, so würde sie doch Niemanden nützen, sich zu seinem eigenen Schaden zu rächen; es sey aber diess der gröbste Schaden, den wir durch Lügen erleiden. Welche die Schwäche und Gebrechlichkeit der menschlichen Natur vorschützen, denen soll das Gebot dieser Pflicht vorgetragen werden, dass sie nämlich die göttliche Hilfe anflehen, und der menschlichen Schwachheit nicht nachgeben sollen.
Welche die Gewohnheit als Entschuldigung vorbringen, sind zu ermahnen, dass sie sich, wenn sie sich das Lügen angewöhnet haben, Mühe geben, die entgegengesetzte Gewohnheit, die Wahrheit zu reden, zu erfassen; besonders da die, welche aus Brauch und Gewohnheit sündigen, sich schwerer verfehlen, als die übrigen.

 

XXII. Wegen der Lügenhaftigkeit Anderer darf man nicht lügen. 

 

Weil aber kein Mangel an solchen ist, welche sich damit entschuldigen, dass andere Menschen hier und da lügen und falsch schwören, so sollen diese auf folgende Weise von ihrer Meinung abgebracht werden: nämlich, man dürfe die Bösen nicht nachahmen, sondern man müsse sie tadeln und bessern; wenn wir aber selbst lügen, so habe unsere Rede beim Tadeln und Verbessern eines Andern weniger Gewicht. Andere, die sich damit vertheidigen, dass ihnen das Wahrheitreden oft Schaden gebracht hat, sollen die Priester also widerlegen: diess sey eine Anklage und keine Vertheidigung, da es die Pflicht des Christen ist, lieber Schaden zu leiden, als zu lügen.

 

XXIII. Das Lügen aus Scherz, oder wegen des Vortheiles, ist nicht zulässig.. 

 

Es erübrigen noch zwei Arten von solchen, die ihre Lüge entschuldigen; die einen, da sie sagen, sie lügen aus Scherz; die andern, sie thäten diess des Nutzens wegen, da sie weder vortheilhaft kaufen, noch verkaufen würden, wenn sie nicht lügen. Beide müssen die Seelsorger von ihrem Irrthume heilen. Die erstem sollen sie von ihrem Laster dadurch abbringen, dass sie dieselben belehren, wie sehr durch den Gebrauch der Scherzlüge die Gewohnheit zu lügen vermehrt werde, und ihnen einschärfen, dass man dereinst von jedem unnützen Worte Rechenschaft geben müsse; [Matth. 12,36] die letztern aber sollen sie strenger tadeln, da in ihrer Entschuldigung eine schwere Anklage ihrer selbst enthalten ist, indem sie offen darlegen, dass sie auf jene Worte Gottes keinen Glauben und Werth setzen: Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, so wird euch dieses alles zugegeben werden. [Matth. 6,33]

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