Vierter Teil -Viertes Hauptstück -Von dem, um was man bitten müsse.
I. Um was man Gott bitten dürfe.
Weil aber bei jeder Bitte an seinem Orte dargelegt werden wird, was
man verlangen dürfe, und was nicht, so wird es hier genug seyn, die Gläubigen
überhaupt zu ermahnen, dass die Menschen Gott um das bitten sollen, was gerecht
und gut ist; damit sie nicht, wenn sie etwas verlangen, was unrecht ist, mit der
Antwort abgewiesen werden: Ihr wisset nicht, was ihr
begehret. [Matth. 20,22] Was aber rechtlich
gewünscht werden kann, darum darf man bitten. Diess bezeugen jene reiflichen
Verheissungen
des Herrn: Ihr möget bitten, was ihr immer
wollet, es wird euch gegeben werden. [Joa. 15,17]
Er verspricht also, dass er alles gewähren wolle.II. Um welche Dinge man Gott zuerst und für sich bitten soll.
Unsern ersten Wunsch und unsere höchste Sehnsucht müssen wir so
einrichten, dass sich unser grösster Eifer und all unser Verlangen auf Gott, das
höchste Gut, beziehet. Dann sollen wir das wünschen, was uns mit Gott innig
vereinet; was uns aber von ihm trennet, oder eine Veranlassung zur Trennung
herbeiführt, muss von all unserm Eifer und Verlangen, entfernet werden. Hieraus
kann man gemäss jenem höchsten und vollkommenen Gut schliessen, wie wir das
übrige, was man gut nennt, wünschen und von Gott, dem Vater, verlangen
dürfen.
III. In wie ferne körperliche und äussere Güter von Gott erbeten werden sollen.
Weil die Güter des Körpers, die auch äussere genannt werden, wie
Gesundheit, Stärke, Schönheit, Reichthümer, Ehrenstellen, Ruhm, oftmals
Veranlassung und Stoff zur Sünde geben (wesshalb geschieht, dass man um sie
nicht ganz mit frommem Sinne und zum Heile bitten kann): so soll man um
dieselben unter der Bedingung bitten, dass man diese Vortheile des Lebens um der
Notwendigkeit willen verlange; und diese Art des Gebetes bezieht sich auf Gott.
Denn es ist uns erlaubt, um das zu bitten, wornach auch Jakob und Salomon
verlangt haben; jener aber betete auf folgende Weise: Wenn
mir Gott Brod zu essen gibt, und Kleider, anzuziehen,.... dann soll der Herr
mein Gott seyn. [Gen. 28,20.21] Salomon mit
diesen Worten: Gib mir nur, was ich brauche, mich zu nähren.
[Prov. 30,8]
IV. Wie wir die Reichthümer und andere körperliche Güter gebrauchen sollen, wenn wir sie durch Gottes Güte besitzen.
Da uns durch Gottes Güte das, was zum Lebensunterhalte nothwendig
ist, verliehen wird, so ist es billig, uns jener Ermahnung des Apostels zu
erinnern: Die, welche kaufen, seyen, als besässen sie nicht,
und die, welche diese Welt brauchen, als brauchten sie selbe nicht: denn die
Gestalt dieser Welt vergeht. [I. Cor. 7,30.31. 3,13]
Ebenso: Wenn Reichthum zuströmet, hänget das Herz
nicht daran! [Galat. 3,13] Wir sollen daran
denken, dass nur ihr Niessbrauch uns gehöre, jedoch so, dass wir andern, davon
mittheilen, wie uns Gott selbst, gelehret hat. Wenn wir gesund sind, wenn wir
Ueberfluss haben an den übrigen äusserlichen und Körperlichen Gütern, so sollen
will gedenken, dass sie uns desswegen zugetheilet seyen, dass wir Gott leichter
dienen, und von allen solchen Dingen auch dem Nächsten mittheilen können.
V. Wie man um Güter des Verstandes und der Gelehrsamkeit beten müsse.
Um Güter und Zierden, des Verstandes, dergleichen sind Künste und
Gelehrtheit, darf man zwar ebenfalls bitten, aber nur unter der Bedingniss, wenn
sie zur Ehre Gottes und zu unserm Seelenheile nützlich sind. Wenn man aber
immerdar und ohne allen Vorbehalt und ohne Bedingniss wünschen; suchen; and
verlangen muss, da ist, wie wir oben sagten, die Verherrlichung Gottes, und
hernach alles, was uns mit jenem höchsten Gute vereinigen kann, wie Glaube,
Gottesfurcht, Liebe. Doch hierüber wollen wir gründlicher bei der Erklärung der
Bitten reden.
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