Donnerstag, 28. November 2013

4. Advent - Predigt vom hl. Thomas von Aquin

Zweite Rede 

-Fortsetzung-

Euere Ehrbarkeit und Mäßigkeit werde Allen bekannt. Philipp. 4. 4.

Der Apostel ermahnte früher zur innern Heiligung, jetzt aber zum ehrbaren Wandel, indem er sagt: Euere Ehrbarkeit werde Allen bekannt. Er gibt aber hier zwei Punkte an; denn zuerst ermahnt er zum ehrbaren Wandel, sodann fügt er den Grund hinzu. Das erste thut er in den Worten: Euere Ehrbarkeit werde Allen bekannt; das zweite indem er sagt: Der Herr ist nahe.

Es sind aber drei Gründe welche uns zur Ehrbarkeit und Mäßigkeit antreiben sollen. Zuerst das Zeugniß der Kreatur, denn Alles beobachtet wie der heilige Augustin (de trinit.) sagt, Maaß, Gestalt und Ordnung, nach dem Ausdrucke der Weisheit (11.): "Du hast Alles in Ordnung Zahl und Gewicht angeordnet." Zweitens die große Kraft, welche darin liegt, denn die Mäßigkeit ist eine sehr süße Frucht des heiligen Geistes (Gal. 5.): "Die Frucht des heiligen Geistes aber ist die Liebe, Bescheidenheit und Mäßigkeit." Drittens der große Schaden, welcher aus ihrem Mangel entspringt. Seneca sagt: Wenn das Mäßige nützlich ist, so ist das Unnütze gewiß zu viel, denn das Uebermäßige schadet. Die Mäßigkeit aber soll man im Munde, im Herzen und in der Hand haben. Im Herzen, damit sie die überflüssigen Gedanken abschneide, im Munde damit sie die unnützen Worte, und in der Hand damit sie die unnützen Werke abschneide. Vom ersten sagt Seneca: Es verrät ein großes Herz das Große zu verachten und das Mäßige mehr als das Uebermäßige zu wollen. Vom zweiten heißt es (Sprichw. 10.): "Wer seine Lippen mäßigt ist sehr klug." Vom dritten sagt der Apostel (Röm.12.): "Vernünftig sei euer Dienst
Den Grund aber fügt er zu beiden hinzu, indem er sagt: "Der Herr ist nahe." Es ist aber der Herr dem Büßer nahe, daß er ihm verzeihe; dem Betenden, daß er ihn erhöre; dem Betrübten, daß er ihn unterstütze. Vom ersten sagt der Prophet (Ezech. 18.): "Zu welcher Stunde immer sich der Sünder bekehrt und seufzt, soll er leben," vom zweiten der Psalmist (144.): "Nahe ist der Herr Allen die ihn anrufen," und Isaias (65.): "Und ehe sie rufen will ich sie erhören;" vom dritten heißt es (Ps. 90.): "Ich bin bei ihm in der Trübsal," und in der Offenbarung (22.): "Sieh ich komme bald, und mein Lohn ist bei mir, um Jedem nach seinen Werken zu vergelten, den Bösen mit den ewigen Strafen und den Gerechten mit dem ewigen Leben." Wozu uns führen wolle der da lebt in Ewigkeit. Amen.

 Dritte Rede 


Ich bin die Stimme des Rufenden in der Wüste; bereitet den Weg des Herrn, wie Isaias, der Prophet, sagt. Joh. 1, 23. (Diese Stelle ist vom dritten Sonntage)

In dem vorhergehenden Evangelium ist davon die Rede, daß Christus den Johannes auf vielfache Weise empfahl; in diesem davon, wie er sich selbst demüthigte. In sittlicher Beziehung wird unter der Wüste diese Welt verstanden. So Deuteronom (8.) heißt es: "Dein Führer war in einer großen und furchtbaren Wüste, wo Schlangen von brennendem Athem waren (nämlich die Hoffart), Scorpionen (d.h. die Schwelgerei), und Dunstschlangen (d.h. der Geiz.)" In dieser Wüste ruft die Kreatur, Christus der Gerechte und der Prediger.
 Die Kreatur ruft dreierlei; zuerst daß wir Gott erkennen; zweitens, daß wir ihn lieben; drittens, daß wir ihm gebührendes Lob spenden. Vom ersten spricht der heilige Augustin: "Alles ruft ,Gott hat mich geschaffen;" und vom zweiten derselbe: "Himmel und Erde und Alles was darin ist rufen mir überall zu, dich zu lieben, und sie hören nicht auf, Allen zuzurufen, so daß sie unentschuldbar sind." Und vom dritten gleichfalls: "Es ist wunderbar, daß der Mensch vom Lobe Gottes abläßt, da alle Geschöpfe ihn zu seinem Lobe einladen."
Christus rief uns gleichfalls auf dreifache Weise zu; zuerst indem er Wunder wirkte; zweitens, indem er das Nothwendige und Nützliche verkündigte; drittens indem er für uns starb. Vom ersten spricht Johannes (11.): "Er rief mit lauter Stimme: Lazarus komm heraus." Vom zweiten heißt es (Joh. 7.): "Jesus stand und rief :Wer Durst hat der komme zu mir und trinke," und vom dritten (Matth. 27.): "Christus rief mit lauter Stimme und gab seinen Geist auf." Im ersten offenbarte er seine Macht, im zweiten seine Weisheit, im dritten seine unaussprechliche Güte und Liebe. Dieses Dreifache war zu unserer Erlösung nothwendig, daß er erlösen konnte, daß er es wußte und wollte. Davon spricht der Apostel (1. Cor. 1.): "Wir aber verkünden Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit." Christus ist gesalbt, und darum gut; er ist die Kraft und darum mächtig; er ist die Weisheit und darum weise.
Der Gerechte ruft gleichfalls auf dreifache Weise; zuerst im Gebete; zweitens in der Beichte; drittens im Lobe. Vom ersten heißt es (Ps. 76.): "Mit meiner Stimme habe ich zum Herrn gerufen und er erhörte mich;" vom zweiten (Ps. 31.): "Ich sprach, ich will gegen mich meine Missethat dem Herrn bekennen, und du hast verziehen;" vom dritten: "Ich will zum Herrn rufen, der an mir Gutes that, nämlich indem ich ihn lobe, weil wir ihm für die Wohlthaten danken müssen." 
Auch der Prediger muß dreierlei rufen, zuerst von den Lastern der Menschen, zweitens von dem Elende der menschlichen Gebrechlichkeit; drittens, daß dem Herrn der Weg gebahnt werde. Von diesen allen spricht Isaias (58.): "Rufe und höre nicht auf .Verkündige meinem Volke seine Vergehen:" sodann (40.): "Die Stimme des Rufenden rufe, und ich spreche: Was soll ich rufen? Alles Fleisch ist Heu;" und vom dritten (40.): "Die Stimme des Rufenden in der Wüste bereite den Weg des Herrn." Es bahnt aber zum Herrn den Weg die Reinheit, die Demuth und die Billigkeit. Von den zwei ersten spricht Isaias (40.): "Bereitet den Weg," und er gibt die Weise an: "Machet ihn eben;"  indem ihr den Berg des Stolzes entfernet, was durch die Demuth geschieht. Sammelt die Steine und entfernet die übrigen Sünden was zur Reinigkeit gehört. Vom dritten spricht Johannes (1.): "Bereitet den Weg des Herrn und machet das Rauhe eben," nämlich durch die Billigkeit. Die Demuth führt uns zu Gott, die Billigkeit zum Nächsten, die Reinigkeit zu uns selbst. Bitten wir also den Herrn. u.s.w.