Donnerstag, 5. September 2013

Catechismus Romanus - Vater unser, der du bist im Himmel.

Römischer Katechismus (Catechismus). Nach dem Beschlusse des Conciliums von Trient und auf Befehl des Pabstes Pius V. herausgegeben. Passau, Druck und Verlag von Friedrich Winkler 1839

Vierter Teil - Neuntes Hauptstück - Von der Vorrede des Gebetes des Herrn. Vater unser, der du bist im Himmel.

 

I. Warum Christus gewollt hat, dass wir beim Eingange dieses Gebetes vielmehr den Namen Vater, als Herr oder Richter, gebrauchen sollen. 

 

Da diese christliche Gebetesformel, von Jesus Christus gelehret, bedeutet, dass wir uns, ehevor wir zu den Bitten und Forderungen kommen, gewisser Worte als Vorrede bedienen sollen, um, indem wir uns andächtig Gott nahen, diess auch mit mehr Vertrauen thun zu können; so ist es die Pflicht des Seelsorgers, diese Worte deutlich und fasslich zu erklären, damit das andächtige Volk mit freudigerem Muthe bete, und einsehe, es beschäftige sich mit Gott dem Vater. Dieser Eingang ist zwar, wenn man auf die Worte sieht, sehr kurz; erwäget man aber den Inhalt, so ist er sehr bedeutungsvoll uud geheimnissreich. Das erste Wort, dessen wir uns nach Gottes Befehl und Unterweisung bei'm Beten bedienen, ist Vater. Obgleich unser Heiland dieses göttliche Gebet mit einem Worte hätte beginnen können, welches mehr Majestät hätte, z. B. Schöpfer, Herr: so that er es doch nicht, da es uns zugleich in Furcht setzen könnte; sondern er gebraucht jenes Wort, das den Betenden, und Gott um etwas Bittenden, Liebe und Zutrauen einflösst. Was ist wohl lieblicher als der Name Vater? er bedeutet Nachsicht und Liebe.

 

II. Welches der erste Grund sey, wesswegen die Menschen hier Gott mit Recht Vater nennen. 

 

Aus welchen Gründen aber Gott der Name Vater zukomme, darüber kann man das gläubige Volk belehren aus der Schöpfung, Regierung und Erlösung. Denn da Gott den Menschen nach seinem Ebenbilde erschaffen, und dieses den übrigen
Geschöpfen nicht mitgetheilet hat; so wird er vermöge dieses ausgezeichneten Geschenkes, womit er den Menschen geschmückt hat, mit Recht in den heiligen Schriften der Vater aller Menschen genannt, und nicht blos der Gläubigen, sondern auch der Ungläubigen.

 

III. Welches der zweite Grund sey, wesswegen hier die Menschen Gott mit Recht Vater nennen. 

 

Den zweiten Grund liefert uns die Regierung, da er, indem er für die Wohlfahrt der Menschen Sorge trägt und wachet, durch eine vorzügliche Art von Sorgfalt und Vorsehung uns eine väterliche Liebe bezeiget. Damit man aber bei der Erklärung dieses Gegenstandes die väterliche Fürsorge Gottes für die Menschen deutlicher erkenne, so soll hier einiges vom Schutze der Engel, deren Obhut die Menschen übergeben sind, vorgetragen werden.

 

IV. Durch Gottes Vorsehung ist den Engeln das Geschäft übergeben, das menschliche Geschlecht zu schützen. 

 

Gottes Vorsehung hat den Engeln das Geschäft übergeben, das menschliche Geschlecht zu schützen und den Menschen beizustehen, dass sie keinen bedeutenden Schaden nehmen. Denn gleichwie die Eltern ihren Kindern, wenn sie auf einer unsichern und gefährlichen Strasse reisen müssen, Wächter mitgeben, und Beiständer in Gefahren; so hat der himmlische Vater auf dieser Reise, auf welcher wir dem himmlischen Vaterlande zueilen, jedem von uns Engel beigegeben, auf dass wir durch ihre Hilfe und Obsorge beschützt, den von den feinden hinterlistig gelegten Fallstricken entgehen, die furchtbaren Angriffe, die auf uns gemacht werden, bekämpfen, und unter ihrer Leitung den rechten Weg finden sollen, damit nicht ein vom trügerischen Gegner beigebrachter Irrwahn uns vom Wege abführen könnte, der uns in den Himmel leitet.

 

V. Woraus wir klar die Grösse des Nutzens erkennen, die den Menschen aus dem Schulze der Engel zufliesset. 

 

Wie nützlich aber diese besondere Sorgfalt und Fürsorge Gottes für die Menschen sey, deren Amt und Verwaltung den Engeln übertragen ist, die zwischen Gott und den Menschen als rechtschaffene Geister stehen, erhellet aus den Beispielen, von denen die heiligen Schriften eine Menge darbieten, die bezeugen, es sey durch Gottes Güte oft geschehen, dass die Engel im Angesichte der Menschen wunderbare Dinge bewirkten, wodurch wir ermahnet werden sollen, dass die unsichtbaren Schatzgeister unseres Heiles unzählbare Dinge dieser Art, welche wir nicht sehen, zu unserm Nutzen und Heile vollbringen. Der Engel Raphael, [Tob. 12,3] der Reisegefährte des Tobias, der ihm von Gott zum Führer beigegeben wurde, geleitete ihn ohne Gefährde hin und zurück; er stand ihm bei, dass er nicht von dem ungeheuern Fische verschlungen wurde, und zeigte ihm, welch grosse Kraft in der Leber, Galle und dem Herzen des Fisches war. Der Engel trieb den Teufel aus, er hemmte und band seine Gewalt, und bewirkte, dass er dem Tobias keinen Schaden zufugen konnte. Er lehrte dem Jünglinge das wahre und gesetzliche Recht und den erlaubten Gebrauch der Ehe. Er stellte dem blinden Vater des Tobias das Augenlicht wieder her.

 

VI. Von dem Engel, durch welchen der heilige Petrus aus dem Gefängnisse befreit wurde. 

 

Auch jener Engel, der den Apostelfürsten befreite, wird reichlichen Stoff geben, um die frommen Gläubigen über den wunderbaren Nutzen der Sorgfalt und des Schutzes der Engel zu unterrichten; wenn die Seelsorger zeigen, ein Engel habe die Finsternisse des Kerkers erleuchtet, und den Petrus, indem er ihn an die Seite stiess, vom Schlafe erweckt, seine Ketten gelöset, und ihn ermahnet aufzustehen, seine Schuhe und übrigen Kleidungsstücke zu nehmen, und ihm zu folgen; wenn sie lehren, der nämliche Engel habe den Petrus ungehindert durch die Wachen aus dem Kerker, herausgeführt, endlich die Thüre geöffnet und ihn in Sicherheit gebracht. [Act. 12] Von dergleichen Beispielen ist, wie schon gesagt, die heilige Geschichte voll; und wir lernen durch sie, welche Menge von Wohlthaten Gott den Menschen erweiset durch die Engel, seine Mittelspersonen und Botschafter, welche nicht blos wegen einer bestimmten Privatangelegenheit abgesendet werden, sondern denen vom ersten Augenblicke der Geburt an die Obsorge für uns übergeben ist, und die zum Schutze des Heiles eines jeden Menschen aufgestellt sind. Wenn diese Lehre sorgfältig vorgetragen wird, so erfolgt der Nutzen, dass die Gemüther der Zuhörer aufgerichtet, und zur Erkenntniss und Verehrung der väterlichen Sorgfalt Gottes und seiner Vorsehung über uns angeeifert werden.

 

VII. Wie überdiess noch die Gläubigen die väterliche Fürsorge Gottes für die Menschen erkennen können. 

 

Wenn auch Gott beleidigt wird, so vergisst er doch niemals der Menschen.
Hiebei nun soll der Seelsorger rühmen und besonders preisen die Reichthümer der Güte Gottes gegen das menschliche Geschlecht. Denn obwohl wir ihn angefangen vom Stammvater unsers Geschlechtes und der Sünde bis auf diesen Tag durch zahllose Uebelthaten und Laster beleidiget haben; so hört er doch nicht auf, uns zu lieben, und für uns väterlich zu sorgen. Wer glaubt, Gott vergesse den Menschen, der ist ein Thor, und lästert Gott auf die unwürdigste Weise. Gott zürnt über Israel wegen der Gotteslästerung dieses Volkes, da es glaubte, vom himmlischen Beistande verlassen zu seyn. Es heisst im Exodus: Ist der Herr unter uns oder nicht? [Ex. 17,7] Und bei'm Ezechiel zürnet Gott dem nämlichen Volke, weil es gesagt hatte: >Der Herr sieht uns nicht, der Herr hat das Land verlassen. [Ezech. 8,12] Es müssen also die Gläubigen durch diese Stellen von jener gottlosen Meinung, als könnte es geschehen, dass Gott der Menschen vergesse, abgeschreckt werden. Zum Beweise hievon kann man anführen das israelitische Volk, das sich bei'm Isaias über Gott beklagt, und dagegen wie Gott seine thörichtige Klage durch ein liebevolles Gleichniss widerlegt. Dort heisst es: Sion sprach: Verlassen hat mich der Herr, der Herr mein vergessen! [Is. 49,14-16] Darauf antwortet Gott: Kann denn ein Weib ihres Kindes vergessen, dass sie sich nicht erbarmte des Sohnes ihres Leibes? Und wenn sie es vergässe, so will doch ich dich nicht vergessen! Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet.

 

VIII. Durch das Beispiel des Stammvaters wird die Güte Gottes gegen uns bewiesen. 

 

Obschon diess durch die angeführten Stellen deutlich bewiesen wird, so sollen doch die Seelsorger, um das gläubige Volk gründlich zu überzeugen, dass es keine Zeit geben könne, wo Gott der Menschen vergesse, wo er ihnen nicht Bezeugungen seiner väterlichen Liebe ertheile; diesen Gegenstand durch das leuchtende Beispiel der ersten Menschen erklären. Wenn du vernimmst, dass sie, nachdem sie Gottes Gebote vernachlässigt und übertreten hatten, unter bittern Vorwürfen angeklagt, und durch jenen furchtbaren Richterspruch verurtheilt wurden: Verflucht sey die Erde in deinem Werk; mit vieler Arbeit sollst du essen von ihr alle Tage deines Lebens. Dörner und Distel soll sie dir tragen, und du sollst das Kraut der Erde essen; [Gen. 3,17.18] wenn du sie siehst aus dem Paradiese verstossen, und einen Cherubin stehend am Eingange in's Paradies, der ein flammendes und bewegliches Schwert hält, um alle Hoffnung des Wiedereintrittes abzuschneiden; wenn du sie von dem seine Beleidigung rächenden Gotte mit innerm und äusserlichen Elende geschlagen siehst; sollte man da nicht glauben, es sey um den Menschen geschehen? sollte man da nicht dafürhalten, er sey nicht nur von aller göttlichen Hilfe verlassen, sondern auch jeder Schmach preisgegeben? Und doch hat unter diesen Zeichen des göttlichen Zornes und seiner Rache ein Licht der Liebe Gottes gegen sie aufgeleuchtet. Denn es machte, [Gen. 3,21] heisst es, der Herr Adam und seinem Weibe Stücke von Fellen, und that sie ihnen an. Und diess ist wohl der grösste Beweis, dass Gott der Menschen zu keiner Zeit je vergesse. Die Behauptung, dass die Liebe Gottes durch keine Beleidigung der Menschen erschöpft werden könne, bekräftigt David mit folgenden Worten: Wird wohl Gott vergessen des Erbarmens, und zurückhalten in seinem Zorne seine Barmherzigkeit? [Ps. 76,10] Auch Habakuk erklärte diess, da er zu Gott spricht und sagt: Wenn du zürnest, gedenke deiner Barmherzigkeit. [3,2] Michäas spricht ebenfalls diess aus, wie folgt: Wo ist ein Gott wie du, der du Missethat wegnimmst, und Sünden hinsiehst dem Ueberbleibsel deines Erbes? Er lässt nicht fürder aus seinen Zorn; denn an Barmherzigheit hat der Herr Gefallen. [7,18] Und so ist es auch wirklich; wenn wir uns für ganz verloren und des Schutzes Gottes beraubt halten, dann suchet uns Gott nach seiner unermesslichen Güte eifrig auf, und sorgt für uns, er hält auch im Zorne das Schwert der Gerechtigkeit zurück, und höret nicht auf, die unerschöpflichen Reichthümer seiner Barmherzigkeit über uns auszugießen.

 

IX. Welches der dritte Grund sey, wodurch Gott zeiget, dass er das Menschengeschlecht mit väterlicher Liebe überhäufet. 

 

1) Durch die Erlösung ist Gott der Vater der Menschen. 2) Die Taufe ist das Unterpfand unserer Erlösung.

I. Die Schöpfung und Regierung hat also ein grosses Gewicht zur Darlegung der besondern Liebe und des Schutzes, den Gott dem Menschengeschlechte angedeihen lässt; allein das Werk der Menschenerlösung ragt über jene obigen zwei so hoch empor, dass der unendlich gütige Gott, unser Vater, seine unbegrenzte Güte durch diese dritte Wohlthat im Uebermasse hervorleuchten liess. Desswegen soll der Seelsorger seine geistlichen Kinder lehren, und diese unübertreffliche Liebe Gottes gegen uns beständig ihnen einprägen, damit sie erkennen, sie seyen durch die Erlösung wunderbarer Weise Kinder Gottes geworden; denn er gab ihnen, [1,12.13] sagt der heil. Johannes, Macht, Kinder Gottes zu werden, und, sie sind aus Gott geboren.
II. Desswegen heisst die Taufe, welche wir als das erste Unterpfand und Denkmal der Erlösung erhalten haben, das Sakrament der Wiedergeburt: denn wir werden dadurch als Kinder Gottes geboren. Der Herr selbst sagt: Was vom Geiste geboren ist, das ist Geist, [Joh. 8,6.7] und, Ihr müsset neu geboren werden. Ebenso der Apostel Petrus: die ihr wiedergeboren seid nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen durch das Wort des lebendigen Gottes. [1. Petr. 1,23]

 

X. Durch eine besondere Wohlthat Gottes sind wir durch die Erlösung Kinder Gottes geworden. 

 

Durch diese Erlösung haben wir auch den heiligen Geist empfangen, und sind der Gnade Gottes gewürdiget worden. Durch dieses Geschenk werden wir von Gott an Kindesstatt angenommen; wie der Apostel Paulus an die Römer schrieb: Denn nicht habt ihr wieder empfangen den Geist der Knechtschaft, um euch zu fürchten, sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in welchem wir rufen: Abba, Vater! [8,15] Die Kraft und Wirkung dieser Annahme an Kindesstatt erklärt der heil. Johannes so: Sehet, welche Liebe uns der Vater erwiesen hat, dass wir Kinder Gottes heissen und sind. [I. Joh. 3,1]

 

XI. Was die Christen, die schon Kinder Gottes geworden sind, nach Erlangung so vieler väterlicher Liebesbezeigwngen, dem Vater entgegen leisten sollen. 

 

1) Die Güte des himmlischen Vaters müsse man nicht nur nach dem Glücke, sondern auch nach den zugelassenen Drangsalen bemessen. 2) Warum die Züchtigung angewendet werde.

I. Nachdem nun diess erkläret ist, soll das gläubige Volk ermahnet werden, was es dem liebevollsten Vater und Gott entgegen leisten müsse, damit es erkenne, welche Liebe und Hochachtung, welchen Gehorsam und welche Verehrung man dem Schöpfer, Lenker und Erlöser zollen, mit welcher Hoffnung und mit welchem Vertrauen man ihn anrufen müsse. Um aber die Unwissenheit zu unterrichten, und die verkehrte Meinung derjenigen zu verbessern, welche wähnen, nur Glück und ein ungetrübter Lebenslauf diene zum Beweise, dass uns Gott seine Liebe bewahre; wenn wir aber von Gott durch Unglück und Drangsale heimgesucht werden, so sey diess ein Zeichen, dass er uns feindselig gesinnt, und dass der Wille Gottes uns abgeneigt sey; soll man zeigen, dass der Herr ganz und gar nicht feindselig gegen uns handle, wenn uns seine Hand trifft [Tob. 19,21] , sondern dass er durch Schläge heile, und dass eine von Gott kommende Wunde ein Heilmittel sey.
II. Denn er züchtiget die Sünder, um sie durch eine solche Zucht zu bessern, und durch die zeitliche Ahndung vom ewigen Verderben zu retten. Er sucht zwar unsere Ungerechtigkeiten mit der Ruthe heim,und mit Schlägen unsere Sünden [Ps. 88,33] ; aber er nimmt seine Barmherzigkeit nicht von uns weg. Desshalb sollen die Gläubigen ermahnet werden, in dergleichen Züchtigung die väterliche Liebe Gottes anzuerkennen, und jenen Ausspruch des so geduldigen Hiob im Gedächtnisse und Munde zu führen: Er verwundet und heilet, er schlägt und seine Hände machen gesund; [Job. 5,18] ferner auf sich anzuwenden, was im Namen des israelitischen Volkes Jeremias geschrieben hat: Du hast mich gestraft, und ich ward gezüchtigt, wie ein ungebändigt Kalb; bekehre dich, so werde ich bekehret, denn du bist der Herr mein Gott. [Jer. 31,18] Die Gläubigen sollen vor Augen haben das Beispiel des Tobias, welcher, als er mit Blindheit geschlagen die väterliche Hand Gottes ihn züchtigen fühlte, ausrief: Ich lobe dich Herr Gott Israels, weil du mich gezüchtiget hast, und wieder geheilet. [Tob. 11,18]

 

XII. Man soll den Gläubigen einschärfen, dass Gott niemals unser vergessen habe. 

 

Hiebei sollen sich die Gläubigen besonders hüten, es mag sie was immer für ein Schaden oder Unglück treffen, zu glauben, Gott wisse nichts davon. Denn er sagt selbst: Kein Haar von eurem Haupte soll verloren gehen. [Luc. 21,1] Vielmehr sollen sie sich trösten mit jenem göttlichen Ausspruche in der geheimen Offenbarung: Die ich lieb habe, strafe und züchtige ich. [Off. 3,19] Man beruhige sich mit der Ermahnung des Apostels an die Hebräer: Mein Sohn, achte nicht gering die Züchtigung des Herrn, und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst. Denn wen der Herr lieb hat, den züchtiget er: er schlägt jedes Kind, das er aufnimmt; Wenn ihr ohne Züchtigung wäret, .... so wäret ihr Bastarde und keine Kinder ... Unsern leiblichen Vater hatten wir zu züchtigen, und erwiesen ihnen Ehrfurcht: sollten wir nicht vielmehr dem Vater der Geister uns unterwerfen, damit wir leben? [Hebr. 12,5]

 

Unser.

 

XIII. Warum uns hier befohlen wird, Gott in der mehrfafachen Zahl mit dem Ausdruck, Unser Vater, zu benennen. 

 

Alle Christen sind Brüder unter einander, und haben durch die Kraft der Annahme an Kindesstatt auch Christus zum Bruder. Die brüderliche Verwantdtschaft mit Christus ist durch seine Auferstehung nicht zerrissen worden.


I. Da wir alle den Vater anrufen, und ihn unsern Vater nennen, so lehrt uns dieses, es folge durch das Geschenk und Recht der göttlichen Adoptirung nothwendig, dass alle Gläubigen Brüder sind, und einander brüderlich lieben müssen. Christus sagt beim Matthäus: Ihr seyd alle Brüder; .... denn Einer ist euer Vater, der im Himmel ist. [21,8.9] Daher nennen auch die Apostel in ihren Briefen alle Gläubigen Brüder. Hieraus folgt ebenso nothwendig, dass durch die nämliche Annahme an Kindesstatt Gottes nicht nur alle Gläubigen unter sich als Brüder verbunden werden, sondern, weil der eingeborne Sohn Gottes Mensch ist, so werden sie auch seine Brüder genannt, und sind es. Denn da der Apostel im Briefe an die Hebräer vom Sohne Gottes sprach, schrieb er: Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen, indem er spricht: Ich will deinen Namen meinen Brüdern verkündigen, [2,11.12] was schon lange vorher David von Christus dem Herrn geweissaget hat. Aber auch Christus selbst spricht bei dem Evangelisten so au den Weibern: Gehet hin, und verkündet es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen, daselbst werden sie mich sehen. [Matth. 28,10]
II. Diess hat er bekanntlich damals gesagt, als er schon von Todten auferweckt war, und die Unsterblichkeit erlangt hatte; auf dass niemand glaube, diese brüderliche Verwandtschaft sey durch seine Auferstehung und Himmelfahrt zerrissen worden. Weit entfernt, dass die Auferstehung diese Vereinigung und Liebe Christi aufheben sollte, haben wir vielmehr die Versicherung, dass die geringsten unter den Gläubigen von ihm Brüder werden genannt werden, [Matth. 25,40] wenn er dereinst auf jenem Throne der Majestät und Herrlichkeit über alle Menschen aller Zeiten Gericht halten wird.

 

XIV. Auf welche Weise die Gläubigen unter die Brüder Christi gezählet werden. 

 

Wie sollte es aber geschehen können, dass wir nicht Christi Brüder [Hebr. 1,] seyen, dessen Miterben wir heißen? denn er ist der Erstgeborne, welchen er zum Erben über Alles gesetzt hat; wir aber sind die Zweitgebornen, seine Miterben nach dem Maase der himmlischen Geschenke, im Verhältnisse der Liebe, durch welche wir uns als Diener und Mithelfer des heiligen Geistes bewiesen haben, durch dessen Kraft wir zur Tugend und zu heilsamen Handlungen aufgemuntert und angespornt werden, damit wir, auf seine Gnade gestützt, tapfer für unser Heil streiten, durch den wir, wenn wir weise und standhaft gekämpft und dieses Leben vollbracht haben, den gerechten Lohn der Siegeskrone empfangen, die vom himmlischen Vater allen, welche siegreich gestritten haben, bestimmt ist. Denn, wie der Apostel sagt, Gott ist nicht ungerecht, dass er vergessen sollte eures Thuns und der Liebe. [Hebr. 6,10]

 

XV. Wie einer für den andern beten, und alle sich gegenseitig als Brüder schätzen sollen. 

 

Wie wir aber dieses Wort Unser von Herren aussprechen sollen, erkläret der Ausspruch des heil. Chrysostomus, welcher sagt, Gott höre gerne den Christen, nicht nur für sich, sondern für einen andern beten; weil für sich zu beten eine Pflicht der Natur, für einen andern zu beten eine Pflicht der Gnade ist: für sich zu beten erheischet die Notwendigkeit; für einen andern zu beten, dazu ermahnet die brüderliche Liebe. Diesem fügte er bei: Gott ist angenehmer das Gebet, welches die brüderliche Liebe darbringt, als das, welches nothgedrungen ausgesprochen wird. Bei dieser so wichtigen Abhandlung über das heilsame Gebet soll der Seelsorger alle Menschen jedes Alters, Geschlechtes und Standes dringend ermahnen, dass sie sich, eingedenk dieser allgemeinen brüderlichen Verwandtschaft, liebevoll und brüderlich betragen, und dass sich keiner über den andern übermüthig erheben soll. Wenn auch in der Kirche Gottes verschiedene Grade von Dienstesverrichtungen sind, so löset doch diese Verschiedenheit von Graden und Aemtern das Hand der brüderlichen Vereinigung nicht auf. Denn auch der verschiedene Gebrauch und die mannigfaltige Verrichtung der Glieder am Leibe des Menschen macht nicht, dass desswegen dieser oder jener Theil des Körpers die Verrichtung und den Namen eines Gliedes verliert.

 

XVI. Aus welchen Ursachen die Christen durch ein so enges Band der Verwandtschaft verknüpfet sind. 

 

Stelle dir einen vor, der königliche Macht besitzt; ist nun ein solcher, wenn er gläubig ist, nicht ein Bruder aller, die in christlicher Gemeinschaft leben? Ja wohl. Wieso? Weil der Gott, aus dem die Reichen und Könige geboren sind, kein anderer ist, als der, von welchem die Armen, und die unter der Gewalt des Königs stehen, ihr Daseyn haben, sondern es ist ein Gott und Vater und Herr Aller. Daher haben Alle gleichen geistigen Adel, gleiche Würde, gleichen Glanz der Abkunft, da wir alle aus dem nämlichen Geiste, aus dem nämlichen Sakramente des Glaubens als Kinder Gottes geboren, und Miterben derselben Erbschaft sind. Auch haben die reichen und mächtigen Menschen keinen andern Gott, als die von geringer Herkunft und dem niedrigsten Stande; sie sind durch keine andern Sakramente eingeweihet, und erwarten keine andere Erbschaft des himmlischen Reiches. Alle sind wir Brüder, und, wie der Apostel an die Epheser sagt, wir sind Glieder seines Leibes von seinem Fleisch und seinem Gebein. Das nämliche deutet der Apostel auch in seinem Briefe an die Galater an: Ihr Alle seyd Kinder Gottes durch den Glauben, der in Christo Jesu ist. Denn ihr Alle, die ihr in Christo getauft seyd, habt Christum angezogen. Da ist weder Jude noch Grieche, da ist weder Sklave noch Freier, da ist weder Mann noch Weib: denn Ihr Alle seyd Eins in Christo Jesu. Dieser Gegenstand aber soll von den Seelenhirten fleissig und genau behandelt werden, und mit Bedacht sollen sie bei diesem Ausspruche verweilen; denn es ist diess die geeignete Stelle, nicht minder zur Stärkung und Aufmunterung armer und verachteter Menschen, als zur Bezähmung und Unterdrückung des Uebermuthes der Reichen und Mächtigen. Um diesen Krebsschaden der Menschen zu heilen, empfahl der Apostel so dringend diese brüderliche Liebe, und schärfte sie den Gläubigen ein.

 

XVII. Was der Christ betrachten soll, wenn er den Eingang des Gebetes, Vater unser, ausspricht. 

 

Wenn du daher, o Christ! zu Gott dieses Gebet verrichtest, so gedenke, dass du als Sohn vor Gott,den Vater, hintrittst. Wenn du nun das Gebet beginnest, und jenes, Vater unser, aussprichst, so bedenke, wie hoch dich die unendliche Güte Gottes erhoben hat, da er dich nicht wie einen Sklaven vor den Herrn unfreiwillig und furchtsam hintreten, sondern wie einen willigen und zutrauungsvollen Sohn zum Vater deine Zuflucht nehmen hiess. In dieser Erinnerung und Betrachtung bedenke, wie eifrig und andachtsvoll du beten sollst. Du musst dir Mühe geben, dich so zu bezeigen, wie es sich für ein Kind Gottes geziemt, das heisst, dein Gebet und deine Handlungen sollen nicht uuwürdig seyn des göttlichen Geschlechtes, dessen sich der unendlich gütige Gott gewürdiget hat. An diese Pflicht erinnert uns der Apostel, da er sagt: Seyd also Nachahmer Gottes als die lieben Kinder; [Ephes. 5,1] damit in Wahrheit von uns gesagt werden könne, was der nämliche Apostel an die Thessaloniker schrieb: Ihr alle seyd Söhne des Lichtes und Söhne des Tages. [1. Thess. 5,5] 

 

Der du bist im Himmel.

 

 

XVIII. Da Gott überall gegenwärtig ist, wie kann man sagen, dass er seine Wohnung vorzüglich im Himmel habe? 

 

Allen, die von Gott richtig denken, ist bekannt, dass Gott überall und allenthalben gegenwärtig sey; was nicht so zu verstehen ist, als wäre er in Theile getheilt, und ein Theil besetze und beschütze einen Ort, und ein anderer einen andern. Gott ist ein Geist, und kann nicht getheilet werden. Denn wer sollte wagen, Gott, als an einem Orte sich befindend, in die Grenzen eines Ortes einzuschliessen, da er selbst von sich sagt: Erfülle ich nicht Himmel und Erde? [Jerem. 23,24] Diess ist wiederum so zu verstehen: Gott umfasse Himmel und Erde, und was unter Himmel und Erde begriffen ist, durch seine Macht und Kraft; nicht aber, er selbst sey in irgend einem Orte enthalten. Gott ist allen Dingen gegenwärtig, entweder sie erschaffend, oder die geschaffenen erhaltend, durch keine Gegend, keine Gränzen eingeschlossen oder so umschrieben, dass er nicht seine Natur und seine Macht allenthalben als gegenwärtig stellen könnte. Der heilige David drückte diess mit folgenden Worten aus: Steig ich gen Himmel, so bist du da. [Ps. 138,5] Allein obgleich Gott in allen Orten und Dingen gegenwärtig ist, ohne jedoch, wie wir sagten, durch Gränzen eingeschlossen zu seyn; so heisst es doch in den heiligen Schriften oft, er habe seine Wohnung im Himmel. Diess geschah desswegen, weil der Himmel, zu dem wir emporblicken, der vornehmste Theil der Welt ist, weil er unversehrt bleibt, an Kraft, Grösse und Schönheit die übrigen Körper übertrifft, und nach gewissen und ständigen Gesetzen sich beweget. Um also die Gemüther der Menschen anzueifern, seine unendliche Macht und Majestät zu betrachten, welche vorzüglich aus der Schöpfung des Himmels hervorleuchten, bezeuget Gott in den heiligen Schriften, er wohne im Himmel. Oft erklärt er auch, wie es denn wirklich ist, es sey kein Theil der Welt, der nicht von der Gegenwart des Wesens und der Macht Gottes umfasst ist.

 

XIX. Was die Worte: der du bist im Himmel, den Gläubigen zu betrachten darbieten. 

 

Die Gläubigen sollen sich bei dieser Betrachtung nicht nur das Bild des gemeinschaftlichen Vaters aller Menschen vorstellen, sondern auch an den im Himmel herrschenden Gott denken, damit sie, wenn sie beten wollen, sich erinnern, dass man Herz und Geist zum Himmel erheben müsse; und so wie ihnen der Name Vater Hoffnung und Vertrauen einflösst, ebenso soll jene vortreffliche Natur und göttliche Majestät unsers Vaters, der im Himmel ist, christliche Demuth und Gottseligkeit in ihren Herzen erwecken. Diese Worte schreiben den Betenden auch vor, um was man bitten soll. Denn all unser Verlangen, welches nur den Vortheil und die Nothdurft dieses Lebens betrifft, und nicht mit den himmlischen Gütern verbunden, und auf jenen Endzweck gerichtet ist, ist vergeblich, und eines Christen unwürdig. Daher sollen die Seelsorger die frommen Zuhörer über diese Art des Gebetes belehren, und ihre Ermahnung durch den Ausspruch des Apostels bekräftigen: Wenn ihr nun mit Christo auferstanden seyd, so suchet, was droben ist, wo Christus ist, der zur Rechten Gottes sitzt. Was droben ist, habet im Sinne, nicht was auf Erden. [Coloss. 3,1.2.]

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