Dienstag, 18. Juni 2013

Von der Passion des Herrn (Legenda Aurea)


Das Leiden unsres Herrn Jesu Christi war groß von Bitterkeit der Schmerzen und Schmach der Verspottung, aber überflüssig fruchtbar an Heil und Nutzen. Die Größe der Bitterkeit und der Schmerzen aber sehen wir an fünf Stücken seines Leidens.

 Das erste ist die Schande, die ihm erboten ward, daß er an der schändlichen Stätte Calvaria geurteilt ward, da man die Übeltäter peinigte; und daß er den schmählichen Tod der Schächer mußte leiden. Denn das Kreuz war die Strafe der Mörder und Räuber: es war einst höchste Schmach, was nun in unermeßlicher Glorie steht. Davon spricht Sanct Augustinus "Das Kreuz, das zu Christi Zeiten war die Pein der Schächer, damit werden nun gezieret die Stirnen der Kaiser. Wenn Gott seine Marter zu solchen Ehren erhöht, wie wird er seinen
Diener groß machen!" Auch war sein Leiden groß, davon daß er unter die Übeltäter, das ist unter die Räuber und Mörder gerechnet und in ihre Gesellschaft gesetzt ward. Dieser Schächer einer, der Dismas genannt war und zu der rechten Seite des Herrn hing, ward hernach bekehrt und gerettet ob er gleich zuvor ein Sünder war, wie wir im Evangelium Nicodemi lesen; der andere zur linken, Gesmas mit Namen, ward verdammt; dem einen gab er das Reich, dem andern ewigen Tod. Hievon spricht Sanct Ambrosius "Der Ursprung aller Mildigkeit erzeigte seine Mildigkeit, da er am Kreuze unter die Menschen teilte: Verfolgung den Zwölfboten, Frieden den Jüngern, seinen Leichnam den Juden, seine Kleider denen die ihn kreuzigten, seinen Geist dem Vater, Marien seiner Mutter einen Hüter, dem Schächer das Paradies, seine Kleider seinen Henkern, den Sündern die Hölle, das Kreuz den reuigen Christen. Das war das Testament, das Christus machte, da er im Tode am Kreuze hing".

Das andere ist, daß er wider die Gerechtigkeit verdammt ward in den Tod. Denn er tat nie eine Sünde, noch ward je Untreue in seinem Munde erfunden. Also tat ihm die Strafe wehe, da sie unverdient war. Sie hatten ihn ungerecht angeklagt sonderlich in drei Stücken: sie sprachen, er hätte verboten, daß man dem Kaiser den Zins gebe; er hätte sich einen König genannt; und hatte sich zu Gottes Sohne gemacht. Wider diese drei Anklagen singen wir an diesem Tage in der Person des Heilands drei Antworten "Popule meus, quid feci tibi" usw, Darin entschuldigt sich unser Herr und weist auf die Wohltaten, die er den Juden hat getan: das war die Erlösung aus Ägyptenland, die Führung durch die Wüste, und daß er sie gleich einem Weinstock pflanzte in ein fruchtbar Land; gleich als ob er sagen wollte "Ihr schuldiget mich, ich habe dem Kaiser den Zins verboten; und billiger solltet ihr mir danken, daß ich euch aus Ägyptenland geführt und vom Zins habe befreit. Ihr scheltet, daß ich mich einen König mache; und danket mir nicht, daß ich euch mit königlicher Gewalt durch die Wüste habe geleitet. Auch hasset ihr, daß ich mich Gottes Sohn nenne; und danket mir nicht, daß ich euch zu einer fruchtbaren Weinrebe habe auserwählt und euch an die beste Statt habe gepflanzet".

Die dritte Bitterkeit seines Leidens war, daß er von seinen Freunden litt.Denn der Schmerz war leichter zu tragen, so er ihn von Feinden litt; oder von Fremden; oder von solchen, denen er selbst etwas hatte getan; er aber litt von seinen Freunden, das ist von denen, die seine Freunde hatten sollen sein, desgleichen von seinen Nächsten, von deren Geschlecht er geboren war. Davon spricht der Psalter "Meine Freunde und meine Nächsten, die sind wider mich gestandcm (Ps. 37,l2.) und Job "Meine Freunde sind wie Fremde von mir gewichen (Job 19,1}). Er litt auch von denen, welchen er viel Gutes hatte getan. Davon spricht Johannes im 10. Capitel (32) "Vieles Gute habe ich ihnen getan".Und Sanct Bernhard "O du guter Jesu, wie hat du so gar süßiglich mit den Menschen gehandelt, wie hast du ihnen so große und vollkommene Gabe gegeben. Wie hast du so strenge bittre Pein durch sie gelitten: harte Worte, schwere Streiche, bittre Kreuzespein".

 Die vierte Ursache seines Leidens war die Zartheit seines Leibes. Von ihm ist im Gleichnis Davids geschrieben in dem 2. Buch der Könige, am vorletzten Capitel, daß er ist gewesen wie das zarteste Würmlein des Holzes (2. Reg, 23,6). Sanct Bernhard spricht "0 ihr Juden, was seid ihr so harte Steine, daß ihr an den schlagt, des Klang nur Mildigkeit widertönt, aus dem nur das Öl der Liebe herausfließt. So spricht auch Sanct Hieronymus Jesus ist übergeben den Kriegsknechten, daß sie ihn schlagen und den heiligen Leib mir Geißeln zerschneiden darin Gott wohnet".

Das fünfte war, daß die Pein gemeiniglich alle Glieder des Leibes berührte und alle Sinne. Zuerst berührte des Leiden die Augen. denn es ist geschrieben, daß er weinte (Hebr 5,7). Davon spricht Sanct Bernhard "Unser Herr ist hoch aufgestiegen an des Kreuz, daß man seinen Ruf weithin höre; er rief laut, daß sich niemand möchte entschuldigen; er weinte viele Tropfen, daß er die Menschen bewege zu einem Mitleiden. Sonst hat er nur noch zweimal geweint,da er Lazarum erweckte, und über Jerusalem. Das erste waren Tränen der Liebe; darum sprachen etliche, die ihn weinen sahen "Siehe, wie lieb hat er ihn gehabt". Das andre waren Tränen des Mitleidens; aber am Kreuze weinte er von bittern Schmerzen. Zum andern empfing er auch Schmerzen in seinen Ohren; von den Scheltworten und Lästerungen, die er mußte hören. Es waren aber sonderlich vier Dinge in ihm, darob er Lästerung mußte hören: Ob seiner großen Edelkeit; denn nach göttlicher Natur so war er des ewigen Königs Sohn, nach menschlicher Natur so war er von königlichem Stamm geboren. und auch als Mensch ein König aller Könige und ein Herr aller Herrscher. Ob seiner unaussprechlichen Wahrhaftigkeit; denn er selbst ist Weg, Wahrheit und Leben, darum er von sich spricht "Dein Wort ist die Wahrheit" (Joh. 17, 17); denn der Sohn ist das Wort des Vaters. Ob seiner unüberwindlichen Macht; denn alles ist von ihm geschaffen, und ohne ihn ist nichts gemacht. Ob seiner großen Güte: denn niemand ist gut, denn allein Gott. Ob alledem mußte er Lästerung hören. Erstlich an seiner Edelkeit; davon heißt es Matthaeus 15,55 "Ist er nicht eines Zimmermanns Sohn? Heißt nicht seine Mutter Maria? Zum andern an seiner Macht: Matth, 12,24. "Er treibe die Teufel nicht anders aus, denn durch Beelzebub, der Teufel obersten. Desgleichen Matthaeus 27,42 "Andern hat er geholfen, und sich selbst kann er nicht helfen. Also nannten sie ihn ohnmächtig; da er doch so war, daß er seine Häscher allein durch seine Stimme niederschlug. Denn als er fragte "Wen suchet ihr?" sprachen sie "Jesum von Nazareth" antwortete er "lch bins" da fielen sie zu Boden nieder. Davon spricht Augustinus "Eine Stimme schlug nieder die gewaffnete Schar der hässigen Juden, ohne Waffe, allein mit der verborgenen Gotteskraft. Was vermag der an dem Jüngsten Gericht, der solches tat, da er selbst gerichtet ward. Was tut der in seinem Reich der dies tat in seinem Tod!" Zum dritten an seiner Wahrheit: Johannes 8,13 "Du zeugest von dir selbst, darum ist dein Zeugnis nicht wahr". Also nannten sie ihn lügenhaft, da er doch Weg, Wahrheit und Leben ist. Diese Wahrheit verdiente Pilatus nicht zu wissen oder zu hören, da er ihn nicht nach der Wahrheit richtete. Wohl begann er sein Richtamt mit Wahrheit, aber er beharrte nicht bei der Wahrheit; darum verdiente er die Frage der Wahrheit zu stellen, nicht aber, ihre Lösung zu vernehmen. Eine andere Ursache, daß er die Lösung nicht empfing, ist nach Augustinus, daß ihm während seiner Frage die Gewohnheit der Juden in den Sinn kam, daß sie auf Ostern einen frei ließen; also ging er hinaus und vergaß der Antwort zu warten. Chrysostomus schreibt eine dritte Ursache, daß Pilatus wohl wußte, daß eine solche Frage fordere viel Zeit und Nachdenken, und da er Christum bald wollte retten, sei er alsbald hinaus gegangen. Doch lesen wir im Evangelium Nicodemi, daß Jesus auf des Pilatus Frage "Was ist Wahrheit antwortet: "Die Wahrheit ist von dem Himmel"; sprach Pilatus "So ist auf Erden keine Wahrheit?" Antwortete ihm Jesus "Wie mag Wahrheit aut Erden sein, da sie von denen verdammt wird, die die Gewalt auf Erden haben ?" Die Juden schmähten zum vierten seine Güte und sprachen, er wäre ein Sünder in seinem Herzen Joh. 9,24 "Wir wissen, daß dieser Mensch ein Sünder ist". Sie nannten ihn auch einen Verführer mit der Rede: Luc.23,5 "Er hat das Volk erreget damit.daß er gelehret hat hin und her im ganzen jüdischen Lande, und hat in Galiläa angefangen bis hie und her". Sie sprachen auch, er wäre ein Brecher des Gesetzes mit der Tat: Joh. 9,16 "Dieser Mensch ist nicht vonGott, der den Sabbath nicht hält".

 Unser Herr empfing zum dritten Pein von dem bösen Geruch der toten Leiber, die da lagen zu Calvaria an der Statt. Calvaries aber ist gesprochen nackter Menschen-Schädel, als die Historia Scholastica schreibt; und davon, daß daselbst die Übeltäter wurden enthauptet, und viele Schädelknochen da herumgestreut lagen, war die Stätte Schädelstätte genannt.

Unser Herr empfing zum vierten Pein an seinem Geschmack; denn da er rief "Mich dürstet", gaben sie ihm Essig mit Myrrhen und Gallen vermischt. Von dem Essig sollte er schneller sterben, auf daß die Wächter schneller loskämen von ihrer Wacht; denn man spricht, daß die Gekreuzigten schneller sterben, so sie Essig trinken. Von den Myrrhen sollte der Geruch, von den Gallen der Geschmack Pein leiden. Augustinus "Die Reinheit wird mit Essig erfüllet statt mit Wein, die Süßigkeit wird mit Gallen berauschet, die Unschuld wird verurteilt statt der Schuld, das Leben stirbt für die Toten. Zum fünften so hatte er Pein in der Berührung an allen Teilen seines Leibes »Denn von der Sohle seines Fußes bis an den Scheitel seines Hauptes ist nichts Gesundes an ihm" (Isai.1,6). Davon, daß er mit allen Sinnen Pein litt, spricht Sanct Bernhard "Das Haupt, das alle Engel mit Furcht ansehen, das ward mit Dornen durchstochen; das zierliche Antlitz über aller Menschen Schönheit ward von der Juden Speichel beschmutzt; die Augen, lichter denn die Sonne, werden verdunkelt von dem Tode; die Ohren, denen Engelsgesang getönet hat, hören der Sünder Lästerung; der heilige Mund, der die Engel lehrte, wird mir Essig und Gallen getränket; die Füße, deren Schemel angebetet wird, denn er ist heilig. die werden mir Nägeln am Kreuz geschlagen; die Hände, die die Himmel haben geschaffen, werden zerzerret und an das Kreuz geheftet; der heilige Leib wird geschlagen, die Seite wird durchstochen von der Lanze. Es blieb ihm nichts, denn die Zunge, mit der er für die Sünder betete, und seine Mutter dem Jünger empfahl."

Das Leiden ist zum andem groß gewesen durch den schmählichen Spott,der ihm darin erboten ist. Denn er wurde zu vier Malen verspotter. Zuerst ward er verspottet in dem Hause des Annas, da er verspieen ward und an seine Wange geschlagen, und ihm seine Augen wurden verbunden. Davon spricht Sanct Bernhard "Guter Jesu, dein tröstlich Anlitz, das die Engel mit begierlicher Freude anschauen, das haben sie mit Speichel entehret, mit ihren Händen zerschlagen, und zum Spott mit einem Tuch verdecket, und haben die bittern Wunden nicht gesparet". Er ward zum andern Mal verspotter im Hause Herodis,der ihn einen Toren schätzte und von Sinnen darum, daß er keine Antwort von ihm haben mochte. Also kleidete er ihn zum Spott mit einem weißen Gewand. Davon spricht Sanct Bernhard "Du bist ein Mensch und trägst einen Kranz von Blumen, so ich, Gott, eine dornene Krone trage; du hast Handschuhe an deinen Händen, so sind meine Hände mit Nägeln durchstochen; du zierst dich mir weißen Kleidern. so ward ich verspottet mir einem weißen Kleide von Herodes; du tanzest mit deinen Füßen, so leide ich an ihnen große Pein; du breites die Arme kreuzweis aus an dem Tanz mit Freuden, so hab ich die meinen ausgebreiret am Kreuze zu einer Schmach; du freuest dich des Kreuzes, ich habe an ihm gelitten; du hast Brust und Seite entblößt zu einem Zeichen üppiger Freuden, so ist meine Seite durchstochen um dich. Doch kehre wieder, so will ich dich empfangen zu Gnaden".

 Warum aber der Herr während seines ganzen Leidens, vor Herodes, Pilatus und den Juden schwieg, des sind drei Ursachen. Erstlich waren sie nicht würdig seine Antwort zu hören. Zum andern, gleich wie Eva gesündigt hatte durch Schwatzen, so wollte Christus sühnen durch Schweigen. Zum dritten, weil alles, was er sprach, von ihnen verkehrt und fälschlich ausgelegt ward.

 Er ward zum dritten Mal verspottet in dem Hause Pilati, da ihn die Kriegsknechte kleideten mit einem Purpurmantel, und gaben ihm ein Rohr in seine Hand, und drückten ihm eine Dornenkrone auf sein Haupt, und beugten die Knie vor ihm und sprachen "Gegrüßet seist du, der Juden König". Die Krone aber sagt man, sei aus Meerbinsen gewesen, die sind so scharf als Dornen: darum glaubt man, daß sie das Blut aus seinem Haupte trieb. Davon spricht Sanct Bernhard "Das göttliche Haupt ward von dichten Dornen durchstochen bius in das Hirn". Nun sind drei Meinungen, wo die Seele ihren sonderlichen Sitz habe: Im Herzen; denn es ist geschrieben "Aus dem Herzen kommen die bösen Gedankem (Matth. 15,19). Im Blut; denn es heißt im Leviticus (17,11) "Die Seele allen Fleisches ist im BIut". Oder im Haupt; da es heißt "Er neigte sein Haupt und verschied" Daß den juden diese drei Meinungen kund waren, wird offenbar in ihrem Tun. Denn um daß sie seine Seele von dem Leibe möchten reißen, so suchten sie sie im Haupt: da sie die Dornen ihm trieben bis ins Hirn; im Blut: da sie seine Adern an Händen und Füßen öffneten; im Herzen: da sie seine Seite durchstachen.

Wider diese dreifache Verspottung sagen wir heute als am Rüsttag vor der Enthüllung des Kreuzes drei Gebete, da wir sprechen "Agios" etc., und ehren also den dreimal, der um unsertwillen dreimal verspottet ward.

Zum vierten Male ward er geschmähet am Kreuz: Matth.28,40 Deßgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein samt den Schriftgelehlrten und Ältesten und sprachen: Ist er der König von lsrael, so steige er nur vom Kreuz, so wollen wir ihm glauben" Hievon spricht Sanct Bernhard "Unter dem so erzeiget er nur mehr Geduldigkeit, Demut, Gehorsam und Liebe. Von diesen vier Tugenden werden die vier Teile des Kreuzes fürwahr gezieret als mit edlen Steinen: das Oberteil mit göttlicher Liebe, das Teil der rechten Hand mit Gehorsam, das Teil zur linken Hand mit Geduld, das untere mit Demütigkeit, als der Wurzel aller Tugend". Alles, was Christus gelitten hat, faßt Sanct Bernhard kürzlich zusammen, wenn er spricht "So lang ich lebe, soll ich gedenken an die große Arbeit, die unser Herr hatte in seinem Predigen; die Mühe, die er hatte beim Umherziehen; an sein Wachen im Gebet, an seine Versuchung beim Fasten, an die Tränen seines Mitleidens, an die lauernden Lügen der Juden, wenn sie mit ihm sprachen; letztlich an die Scheltworte, an das Speien, die Backenstreiche, an das Höhnen; an die Nägel, an die Lästerungen".

 Zum dritten ward das Leiden des Herrn fuchtbar an mancherhand Nutzen, und sonderlich in drei Stücken: denn es gab uns einen Ablaß der Sünde, eine Gabe der Gnade und eine Teilhaftigkeit an seiner Gloria. Darum war über das Kreuz geschrieben: Jesus, weil er uns erlöste; Nazarenus. weil er uns Gnade gab; rex Judaeorum, weil auch wir dereinst im Himmel alle Könige sollen sein. Hiervon spricht Augustinus "Christus hat all unsre Schuld vertilget, die vergangene und die gegenwärtige und die künftige; die vergangene hat er uns vergeben, von der gegenwärtigen ziehet er uns, vor der künftigen behütet er uns mit seiner Gnade, dadurch wir sie mögen vermeiden". Von demselben Nutzen spricht Augustinus weiter "Darum sollen wir uns wundern und freuen, lieben und loben und anbeten, daß wir mit dem Tode unsres Erlösers sind gerufen von der Finsternis zum Licht, vom Tode zu dem Leben, von der Verderbnis zur Reinigkeit, aus dem Elend in das ewige Vaterland, von der Trauer zur Freude".

Wie nutze die Art unsrer Erlösung war, das wird offenbar in vier Sachen: Versöhnung des Zornes Gottes, Heilung der Krankheit des Menschen, Zuzug des menschlichen Geschlechtes zu Gott, Bekämpfung des alten Feindes der Menschheit.

Das Leiden war gar nütze zu einer Sänftigung und Versöhnung des Zornes Gottes. Davon spricht Sanct Anselmus in dem Buche, das er genannt hat Cur Deus homo "Es mag der Mensch nichts sehwereres noch strengeres zu Gottes Ehre leiden, nicht aus Not, sondern aus eigenem Willen, denn den Tod, und mag sich auch nicht mehr Gott geben, denn daß er sich in den Tod gebe um Gott", Davon ist geschrieben Epheser 5,2 "Er gab sich selbst für uns als Gabe und Opfer, Gott zu einem lieblichen Geruch". Wie aber das Opfer war, das uns Gott versöhnte und wiederbrachte, davon spricht Augustinus in dem Buch über die Dreieinigkeit "Was möchte so dankbarlich empfangen werden als das Opfer unsres Fleisches im Leib unsres Priesters? Denn bei allem Opfer so merket man vier Dinge: Wem man opfert, was man opfert, für wen man opfert und wer opfere, so ist Gott alles in einem. Er aber, der der Mittler ist zwischen Gott und Mensch, hat uns durch das Opfer des Friedens mit Gott versöhnt, da er doch eins mit dem war, dem er opferte, und sich eins mit denen machte, für die er sich opferte, und derselbe war, der geopfert ward und opferte, Davon wie wir durch Christum versöhnt sind, spricht derselbe Augustinus, daß Christus Priester ist und Opfer, Gott und Tempel. Er ist der Priester, durch den wir die ewige Sühne haben empfangen; er ist das Opfer, damit wir versöhnet sind: er ist der Gott, mit dem wir wurden versöhnt; er ist der Tempel, darin wir wurden entsühnt. Davon spricht Sanct Augustinus wider die, so diese Versöhnung gering achten, in der Person Christi "Da du ein Feind warest meinem Vater, so hab ich dich mit ihm versöhnet; da du fern warest, bin ich zu dir kommen, daß ich dich erlöste; da du in den Bergen und in den Wäldern irre gingest, da suchte ich dich: da hab ich dich funden unter Holz und unter Steinen, und hab dich zusammengelesen, daß dich die Wölfe und wilden Tiere nicht zerzerrten; ich hab dich auf meiner Achsel getragen und hab dich dem Vater wiedergegeben; ich hab gearbeitet, geschwitzet, mein Haupt wider die Dornen gehalten und meine Hände wider die Nägel, meine Seite ist aufgeschlossen mit einem Speer, mein Leib ist zerrissen von all der Widerwärtigkeit und schweren Pein. Ich hab mein Blut vergossen und meine Seele hingegeben, damit ich dich wiederbrächte; so verschmähest du nun dies alles und scheidest dich von mir?"

Die andere Sache des Nutzens ist, daß dieses Leiden die würdigste Arznei ist gewesen wider unser Leiden und Gebrechen, und hat es geheilt zur gleichen Stunde, am gleichen Ort, auf die gleiche Art, wie es entstand. Zur selben Zeit: denn gleich wie Adam in dem März erschaffen ward und fiel, an einem Freitage um die sechste Stunde, also wollte auch unser Herr in dem März, an dem Freitag leiden um die sechste Stunde; auch ward er auf denselben Tag und Stunde Marien seiner Mutter gekündet. Am selben Ort: denn man mag die Statt seines Leidens dreifältig verstehen: die allgemeine, die sonderliche und die eigentliche. Die allgemeine Statt ist das gelobte Land, die sonderliche ist der Berg Calvaria, die eigentliche das Kreuz. An der allgemeinen Statt ward auch erschaffen der erste Mensch: in dem Land um Damascus, auf einem Acker daselbst soll er erschaffen worden sein. Auf der sonderlichen Stätte ward er begraben; denn man spricht, daß er auf dem Berg bestattet ward, da Christus litt; doch ist hiewider, daß Adam auf dem Berge Ebron bestattet ward, nach Hieronymus, dasselbe ist auch klärlich geschrieben Josua 14,15.

An der eigentlichen Stätte ward er auch verführt und zu Fall gebracht; das ist nicht also zu verstehen, daß Adam an dem selben Holz sündigte, an dem Christus litt, sondern es ist zu verstehen: gleichwie Adam sündigte an dem Holz, so litt Christus an dem Holz. Doch liest man auch in einer griechischen Geschichte, daß es geschah an demselben Holz. Gar ziemlich war auch die Art der Heilung; sie geschah durch Gleiches und durch Entgegengesetztes. Durch Gleiches, denn wie Augustinus in seinem Buche von der christlichen Lehre schreibt, ist der Mensch durchs Weib gefallen, und ist durchs Weib geboren; also hat auch ein Mensch die Menschen erlöst, ein Sterblicher die Sterblichen, die Toten durch seinen Tod. Ambrosius "Adam ward gemachet aus der Erden, die noch jungfräulich war, Christus ward von einer Jungfrau geboren; Adam ward nach dem Bilde Gottes geschaffen, Christus war das Bild Gottes; die erste Torheit ward begangen durch ein Weib, die oberste Weisheit kam zu uns durch ein Weib; nackt war Adam, nackt war Christus; der Baum brachte den Tod, das Kreuz brachte das Leben; Adam war in der Wüste, in der Wüste war auch Christus". Die Heilung geschah auch durch Entgegengesetztes; denn der erste Mensch fiel, als Gregorius spricht, durch Hoffärtigkeit, durch Ungehorsam und durch Fräßigkeit; er wollte sich Gott gleichmachen durch Wissen, er übertrat sein Gebot; und wollte die Süßigkeit des Apfels kosten; und da eine Heilung durch Gegenmittel geschehen mag, so war es ziemlich, daß Christus es wieder gut machte durch Demut, Ergebung in Gottes Gebot und hartes Leiden. Von den dreien ist geschrieben Philipper 2,7; von dem ersten "Er erniedrigte sich selbst"; von dem zweiten "und ward gehorsam" von dem dritten "bis zum Tode".

 Zum dritten ist dieses Leiden der kräftigste Zuzug menschlichen Geschlechtes in göttliche Minne gewesen; denn nimmer mochte er menschliches Geschlecht mächtiger zu Liebe und Vertrauen an sich ziehn, und jeglichem doch seinen freien Willen belassen, denn durch sein Leiden. Wie er uns aber dadurch zu seiner Liebe emporzieht, davon spricht Sanct Bernhard "O du guter Jesu,der Kelch, den du getrunken, das Werk unsrer Erlösung macht dich mehr minnesam, als alle die Werke, die du je Menschen hast erzeigt. Es ist so mächtig, daß es gar leicht all unsre Minne zu dir kehrt, all unsre Andacht sänftiglich zu dir zieht, rechter gegen dich aufrichtet, strenger und mächtiger zu dir zwingt; denn wo du dich erniederst und dich deines natürlichen Glanzes beraubest, da glänzt deine Mildigkeit kräftiger, da strahlt deine Liebe herrlicher und leuchtet deine Gnade". Wie uns das Leiden Christi aber führte zu einem Zutrauen, davon spricht Sanct Paulus an die Römer "Welcher auch seinen eigenen Sohn nicht hat verschonet, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben: wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?" (Rom. 8,32). Hievon spricht auch Sanct Bernhard "Wer ist der Mensch, der nicht eine tröstliche Hoffnung und Zuversicht empfindet, so er Christi Leib anschauet an dem Kreuz: da ist das Haupt geneigt zu einem friedsamen Kuß, die Arme ausgebreitet zum Umfahen, die Hände durchbohrt um ihre Schätze auszuteilen, die Seite geöffnet zur Liebe, die Füße festgenagelt zu einem Bleiben bei uns, der ganze Leib gedehnt zu einer Gabe für uns".

Zum vierten war das Leiden ein weises Mittel, den bösen Feind zu überwinden. Davon spricht Job (26,12) "Seine Weisheit hat den Hochfärtigen überwunden" und spricht weiter "Wer ist, der den Leviathan möge fahen mit einer Angel?" (Job 40,20). Das ist Christus gewesen, der die Angel göttlicher Gewalt hatte verborgen unter dem Köder menschlicher Natur: da nun der Teufel wollte verschlingen die Speise menschlicher Natur, da ward er gefangen mit der Angel der allmächtigen Gottheit. Von diesem weisen Fang spricht Sanct Augustinus "Unser Erlöser ist kommen; davon ist der Betrüger überwunden. Und wie hat er den Seelenfänger gefangen? Er hat ihm sein Kreuz als eine Falle gestellt, daran war sein Blut als ein Köder getan. Er wollte aber sein Blut vergießen, nicht des Schuldners Blut, darum ging er von den Schuldnern. Diese Schuld nennt der Apostel eine Verschreibung, welche Christus nahm und ans Kreuz heftete; davon spricht Sanct Augustinus "Eva entlehnte die Sünde vom Teufel und schrieb die Verschreibung und nahm einen Bürgen und die Schuld trug Zinsen allen ihren Nachfahren. Das erste tat sie, da sie wider Gottes Gebot begehrte, und dem bösen Rat folgte; das andere tat sie, da sie die Hand zu dem verbotenen Apfel aufhub; das dritte, da sie Adam zu einem Mitschuldigen machte; und also ist ein Wucher der ersten Sünde allen Menschen zugewachsen" Wider die, so solches Leiden an sich lassen verloren werden dadurch uns Christus von des Feindes Gewalt hat befreit, spricht Sanct Bernhard in der Person Christi "Mein Volk, spricht der Herr, was mochte ich dir haben getan, das ich hab unterwegen gelassen? Was ist die Ursach, daß dich mehr lüstet meinem Feinde zu dienen denn mir? Er hat euch doch nicht geschaffen noch nähret er euch; scheint eurem Undank dies gering: so hab ich euch doch erlöst und nicht er; nicht mit vergänglichem Gold oder Silber, nicht mit Sonne oder Mond, nicht mit einem meiner Engel, sondern mit meinem eigenen Blut. Mag ich aber um soviel Rechte von euch nicht haben den gebührlichen Dienst, so sehet dies alles nicht an und dienet mir allein um den täglichen Groschen".

Wenn nun unser Herr in den Tod ward verraten von Judas aus Habucht, von den Juden aus Neid, von Pilatus aus Furcht, so sollen wir sagen, mit welcher Rache sie Gott dafür getroffen hat. Von Judas Lohn und wie er geboren ward findest du geschrieben in der Legende von Sanct Mathias; von den Juden Strafe und ihrem Untergang in der Legende Sanct Jacobi des Minderen; darum sollen wir hier alleine sagen von dem Leben und dem Lohne Pilati.

Man liest in einer apokryphien Geschichte, daß ein König war, Tyrus mit Namen, der beschlief eines Müllers Tochter die hieß Pyla und hieß ihr Vater Atus; und erzeugte mit ihr einen Sohn. Da das Kind geboren war, machte Pyla einen Namen aus ihrem und ihres Vaters Namen und nannte das Kind Pylatus. Da nun dies Kind drei jahre alt war, da sandte es Pyla dem Könige. Der aber hatte noch einen anderen Sohn mit der Königin, seinem ehelichen Weib, der war in dem Alter Pilati, und ward mit ihm zusammen aufgezogen. Da diese zwei Kinder zu ihren Jahren kamen, da spielten sie oft mit einander und übten sich im Ringen, Faustkampf und Schleuderwerfen. Da erzeigte des Königs rechter Sohn seinen Adel, daß er in allen Dingen Pilatum überkam und in aller Art des Kampfes besser erfunden ward. Davon gewann Pilatus also großen Neid und Haß, daß er seinen Bruder heimlich erschlug. Da dies der König ver nahm, ward er sehr betrübt und rief seine Räte zusammen, und fragte, was er mit diesem Bösewicht und Mörder sollte tun. Da antworteten sie alle mit gemeiner Stimme, er hätte den Tod verdient. Doch bedachte sich der König eines anderen und wollte den Frevel nicht durch Frevel größer machen; sondern sandte Pilatum gen Rom als Geisel an des Zinses Statt, den er den Römern jährlich mußte bringen; also wollte er unschuldig bleiben am Tode seines Sohnes, und wollte auch von dem Zins wider die Römer freikommen. Zu derselben Zeit war auch zu Rom des Königs Sohn von Frankreich, den sein Vater auch als Geisel an Zinses Statt dahin hatte gesandt. Er ward Pilato zum Gesellen gegeben; aber als dieser sah, daß er ihn mit Sitten und mit Fleiß übertraf, ward er von Neid ergriffen und tötete ihn. Nun betrachteten die Römer, was sie mit diesem Pilatus wollten tun und sprachen "Bleibt dieser Jüngling leben, der einen Bruder hat erschlagen und seinen Gesellen hat erwürgt, so wird er dem Staate gar nutze sein und mit Hartigkeit die härtesten Feinde zwingem. Und sprachen also >Er ist des Todes schuldig, darum sollen wir ihn in die Insel Pontus senden: da ist das Volk so wild, daß es keinen Richter über sich duldet; so mag er es zähmen, oder sie töten ihn, wie er es verdiente. Also ward Pilatus zu dem bösen Volk gesandt, das seine Richter tötete, und wußte wohl, zu wem er geschickt war, und daß des Todes Urteil über ihm schwebte. Er bedachte mit Schweigen, wie er sein Leben rette, und legte an mit Gaben und mit Drehen, mit Gewalt und mit List, daß er das böse Volk überbösete, bis er es gänzlich unter sich zwang. Davon, daß er das wilde Volk zähmte, ward Pilatus Pontius genannt von Pontus, dem Namen der Insel. Da Herodes vernahm die kündige Bosheit Pilati, freuete der Listige sich seiner Arglist und sandte ihm Boten und Geschenke, daß er zu ihm käme gen Jerusalem und über alles jüdische Land mit ihm herrsche. Also geschah, daß Pilatus so viel Gutes sammelte, daß er ohne Herodis Wissen gen Rom fuhr und mit dem unzähligen Gut den Kaiser Tiberius überkam, und von ihm erhielt, was ihm Herodes zu Lehen hatte gegeben. Davon wurden Herodes und Pilatus einander feind, bis zur Zeit des Leidens unsres Herrn, da versöhnte Pilatus den Herodes, als er ihm Christum übersandte. In der Historia Scholastica liest man eine andere Ursache dieser Feindschaft: denn es war ein Mann, der sprach: er ware Gottes Sohn, und betrog damit viel Leute von Galilaea; und führte sie zum Berge Garizim und sprach, er wolle dort gen Himmel fahren; da kam Pilatus dazwischen und er schlug ihn und alle die mit ihm waren; denn er fürchtete, daß er auch die Juden möchte verführen. Darob ward ihm Herodes Feind, weil er Herr von Galilae war. Es mögen aber beide Reden wahr sein.

 Als Pilatus aber nun den Herrn den Juden überantwortet hatte, daß sie ihn kreuzigten, fürchtete er doch die Ungnade des Kaisers Tiberius, da er das unschuldige Blut in den Tod hatte gegeben. Darum sandte er seiner Vertrauten einen zu dem Kaiser, daß er ihn seiner Tat sollte entschuldigen.

Unterdem lag der Kaiser Tiberius in einer schweren Krankheit; da ward ihm gesagt, daß zu Jerusalem ein Arzt sei, der vertriebe alles Siechtum durch sein bloßes Wort. Daß ihn aber Pilatus und die Juden getötet hatten, das war ihm nicht kund. Also sprach er zu Volusiano seinem heimlichen Diener "Mache dich schnell auf und fahre über Meer und entbiete dem Pilatus, daß er mir den Arzt sende, der soll mir meine Gesundheit wiedergebem. Volusianus kam zu Pilato und sagte ihm die Botschaft des Kaisers. Da erschrak Pilatus, und bat, daß er ihm vierzehn Tage Frist lasse. In der Zeit geschah es, daß Vulusianus eine Frau traf, die hieß Veronica und warjesu gefreunclet gewesen. Die fragte er Jesum Christum möge finden. Sie sprach "Ach, das war mein Herr und mein Gott, der ward von Haß in die Hände Pilati gegeben, der hat ihn verdammt an das Kreuz in den Tod". Von dieser Rede erschrak Volusianus und sprach "Ach wie bin ich nun so gar betrübt, daß ich das Gebot meines Herrn nicht mag erfüllen". Da sprach Veronica "Als mein Herr durch die Welt ging predigen und ich seiner Gegenwart nicht mochte genießen alle Zeit, da wollte ich mir sein Bild lassen malen, daß ich davon Trost empfinge, wann er selber nicht gegen wärtig wäre. Da ich nun das Tuch zu dem Maler trug, daß er mir darauf das Bild male, begegnete mir mein Herr auf der Straßen und fragte mich, wohin ich ginge. Und da ich ihm die Sache meines Weges sagte, so hiesch er von mir das Tuch; und da er es mir wiedergab, hielt das Tuch das Bild seines Antlitzes. Dies Bild ist so kräftig, sähe es dein Herr mit Andacht an, er würde ohne Zweifel gesund". Da sprach Volusianus "Mag jemand dieses Bild mit Gold oder Silber aufwiegen?" Antwortete jene "Nein, das Bild erzeigt seine Kraft allein einem gläubigen und andächtigen Herzen. Darum so will ich mit dir fahren und das Bild dem Kaiser zeigen und darnach wieder heimkehren in mein Land". Also kam Volusianus mit Veronica gen Rom zum Kaiser Tiberius und sprach zu ihm "Jesum, den du so lange begehrt hast, den hat Pilatus mit den Juden wider das Recht aus Haß in den Tod verdammt an das Kreuz. Doch ist mit mir gefahrten diese Frau und bringet sein Bild: willst du das mit Andacht anschauen, so giebt es dir Gesundheit deines Leibes". Da hieß der Kaiser seidene Tucher ausbreiten und das Bild ihm entgegen tragen; und alsbald er es angeschaut hatte, ward er gesund.

Hienach ward Pontius Pilatus auf des Kaisers Gebot gelangen und gen Rom geführt. Als der Kaiser vernahm, daß Pilatus gekommen sei, hieß er ihn in großem Zorne vor sich führen; Pilatus aber hatte den ungenähten Roch Christi mit sich geführt trat darin gekleidet vor den Kaiser. Alsbald der Kaiser ihn in dem Rock sah, da vergaß er seines Zornes, und stund gegen ihn auf und mochte ihm nichts Hartes erzeigen; und so grimmig er in seiner Abwesenheit hatte getobt, so mild und gütig war er in seiner Gegenwart. Alsbald er ihm aber Urlaub hatte gegeben, entbrannte sein Zorn von neuem; und schalt sich einen Toren, daß er ihm seinen Zorn nicht hatte erzeiget. Er hieß ihn zustund wieder rufen und schwur; er sei ein Sohn des Todes und habe am längsten auf Erden gelebt. Als er ihn aber wieder sah, grüßte er ihn alsbald freundlich und war all sein Grimm verschwunden. Darob verwunderten sich alle, und er verwunderte sich selbst, daß er gegen Pilatum, so er nicht da wäre, voll Zorns sei, und so er vor ihm stünde, nichts Hartes wider ihn möchte sagen. Da geschah es von Gottes Verhängnis, oder weil etwan ein Christ es dem Kaiser hatte geraten, daß Tiberius dem Pilatus den Rock ließ ausziehen; alsbald war er wieder in seinem vorigen Zorn. Da er sich darob verwunderte, ward ihm gesagt, daß dies der Rock Christi sei. Er gebot, daß man Pilatum wieder ins Gefängnis lege, bis der Rat der Weisen beschlossen hätte, was mit ihm sollte geschehen. Also ward ein Urteil gegeben, daß er des schimpflichsten Todes sollte sterben. Da dies Pilatus vernahm, da tötete er sich mit seinem eigenen Messer und endete also sein Leben. Als das der Kaiser hörte, sprach er "Wahrlich, er hat den schimpflichsten Tod erlitten, den die eigene Hand umgebracht hat". Darnach ward sein Leichnam an einen großen Mühlstein gebunden, und ward also in den Tiher geworfen. Da freueten die bösen und unreinen Geister sich an dem stinkenden Leichnam dieses Bösen und Unreinen, und warfen ihn auf in die Luft, und wieder ins Wasser, und erregten große Überschwemmung des Wassers, und Blitz und Donner; und fuhren in Sturm und Hagel auf und nieder, daß alles in Angst und Schrecken war. Damm zogen ihn die Römer wieder aus dem Tiber und führten ihn zum Spott gen Vienna, und warfen ihn in den Rhonefluß. Denn Vienna ist gesprochen via Gehennae Weg der Hölle, weil er vor Zeiten ein Ort des Fluches war; man nennt es wol auch Bienna, weil es in zwei Jahren ward erbaut, Aber auch dort waren die Teufel da, und trieben dasselbe Spiel, also daß die von Vienna es nicht ertragen mochten, und dieses Gefäß der Bosheit von sich taten, und gaben es an die Leute von Losanna, daß sie ihn in ihrem Lande begruben. Die mochten das Treiben der bösen Geister auch nicht ertragen und führten ihn von sich und warfen ihn da in einen Abgrund, um den große Berge liegen. Du soll man noch jetzt das Treiben der Hölle spüren wie etliche erzählen, Also sucht: es in jener apokryphen Geschichte zu lesen, Ob das aber zu halten sei, steht bei des Lesers Urteil. Doch sollen wir merken, was man in der Historia Scholastica findet. Da lesen wir, daß Pilatus von den Juden bei Tiberius angeklagt ward, weil er mit Unrecht und Gewalt etliche Unschuldige hatte getötet, und weil er wider der Juden Willen die Bilder heidniseher Abgötter in ihren Tempel hatten gesetzt; auch hatte er Geld aus dem Gotteskasten genommmen und es für sich genützt, und hatte davon einen Wassergang in sein Haus gebaut. Für dieses alles ward er nach Lugdunum in die Verbannung gesandt, daher er gebürtig war, daß er daselbst zur Schmach seines Volkes sein Leben beschließe. Ist nun jene andere Geschichte wahr, so mag es wol sein, daß Pilatus bereits zur Verbannung nach Lugdunum verurteilt und dahin gesandt war, ehe Volusianus zum Kaiser wiederkehrte; darnach aber, als Tiberius vernahm, wie er Christum hatte getötet, ließ er ihn aus der Verbannung nach Rom führen. Eusebius und Beda aber sagen in ihren Chroniken nichts davon, daß er in die Verbannung geschickt ward, sondern nur, daß er in mancherlei Unglück fiel, und sich mit eigener Hand das Leben nahm.

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