Freitag, 7. Juni 2013

Predigt vom hl. Thomas v. Aquin Auf das Fest des Heiligen Erzengels Michael

(Aus dem Buch Des heiligen Thomas von Aquin, des englischen Lehrers, Predigten auf das ganze Kirchenjahr)

Auf das Fest des Heiligen Erzengels Michael

Erste Rede

"An jeden Orte sehen die Augen des Herrn die Guten und Bösen" Sprüchw. 15,3.

Diese Worte enthalten drei Punkte, zuerst Gottes Vorsehung, zweitens seine Güte, drittens seine Gerechtigkeit. In Bezug auf den ersten Punkt ist zu bemerken, das der Herr in einem dreifachen Orte sieht, weil in einem dreifachen Orte die vernünftige Kreatur ist, nämlich im Orte des Lichtes, im Orte der Finsterniß und in beiden zugleich. Der Ort des Lichtes ist der geistige Himmel, wo das Licht ohne Finsterniß ist; der Ort der Finsterniß ist die Hölle, wo die Finsterniß ohne Licht ist; der Ort der Finsterniß und des Lichtes ist diese Welt, wo Licht und Finsterniß ist. Der erste Ort ist innerlich, der zweite Äußerlich und der dritte in der Mitte.

Im ersten Orte sieht er nur Gute, im zweiten nur Böse, im dritten Gute und Böse. Hinsichtlich des ersten Punktes sagt die Schrift (Gen. 2): "Eine Quelle ging vom Orte des
Vergnügens (dem Paradiese) aus;" hinsichtlich des zweiten (Luc. 17): "Damit sie nicht in den Ort der Qualen kommen," und (Deut. 32.): "Er fand ihn im öden Orte des Schauer und der wüsten Einöde;" hinsichtlich des dritten (Job. 34.): "Gott gab ihnen einen Ort der Buße." Denn dazu ist der Mensch in dieser Welt, daß er Buße thue. Es heißt (Richt. 2.): "Es wird der Engel des Herrn von Galgala an den Ort der Weinenden kommen."

Die Anschauung Gottes soll man aber vorzüglich aus drei Gründen fürchten; zuerst weil sie richtet; zweitens weil sie das Verborgene sieht; drittens weil sich Niemand davor verbergen kann. Sie sieht das Versteckte, das Niemand wissen kann, und das Verborgene, nämlich die Gedanken des Herzens. Sirach (34.) sagt: "Seine Augen sind leuchtender als die Sonne."

Es liegt also Gottes Vorsehung in diesen Worten; sodann zweitens Gottes Güte, weil er die Guten, d.h. zum Guten ausersieht. Er sieht sie aber erstens, um sie von jedem Übel zu befreien; zweitens, um ihr Gebet zu erhören; drittens, um Barmherzigkeit zu üben; viertens, dass er ihnen die Gnade verleihe; fünftens, dass er sie in allem beschütze; sechstens, dass er ihnen die ewige Herrlichkeit verleihe. Hinsichtlich des erstens heisst es in der Schrift (Ps.32.): "Die Augen des Herrn sind auf die gerichtet, welche ihn fürchten." Hinsichtlich des zweiten (Ps. 33.): "Die Augen des Herrn sind auf die Gerechten und ihre Ohren gerichtet." Hinsichtlich des dritten (Jerem. 24.): "Und ich will über sie meine Augen zur Trauer wenden." Hinsichtlich des vierten (Sirach. 11.): "das Auge des Herrn sah ihn," d.h. zum Guten aus. Hinsichtlich des fünften (Ps. 32.): "Die Augen des Herrn gehen auf die, so ihn fürchten, und auf die, welche auf seine Erbarmung hoffen, daß er ihre Seelen vom Tode befreie und sie im Hunger ernähre." Hinsichtlich des sechsten (Isai. 49.): "Er wurde in den Augen des Herrn verherrlicht."

Er sieht also die Guten aus seiner Erbarmung; aber drittens die Bösen aus seiner Gerechtigkeit, und zwar auf fünffache Weise; zuerst indem er ihre Werke betrachtet, zweitens indem er über ihre Missetaten zürnt; drittens indem er sie verdammt; viertens indem er sie nicht verschont; fünftens indem er sie sogleich straft. Hinsichtlich des ersten Punktes heißt es (Sirach. 29.): "Die Werke von jedem Fleische, d.h. der Fleischlichgesinnten, sind vor Ihm, und es ist nichts vor seinen Augen verborgen." Hinsichtlich des zweiten (Isai. 59.) "Und es sah es der Herr, und das Böse erschien vor seinen Augen." Hinsichtlich des dritten (Amos 9.): "Die Augen des Herrn sind auf die Herrschaft des Sünders gewendet, um sie zu zerstören." Hinsichtlich des vierten (Ezech. 21.): "Und er schonte nicht." Hinsichtlich des fünften (Jerem. 51.): "Plötzlich fällt Babylon und wird zerschmettert."

Diess sind die zwei Augen, die Erbarmung, womit er die Guten, und die Gerechtigkeit, womit er die Bösen sieht. Sonach erhalten diese Worte Gottes Vorsehung, Erbarmung und Gerechtigkeit. Die Vorsehung muss man verehren, die Erbarmung lieben, die Gerechtigkeit fürchten.


Zweite Rede.

"Ihre Engel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters, der im Himmel ist." Matth. 18, 10.

Diese Worte sagen von den Engeln drei Dinge, zuerst die Güte der Engel, zweitens die Freude, drittens die ewige Freude der Engel. Die große Güte der Engel ist in den Worten: "Ihre Engel," ausgedrückt, oder dass sie unser Engel heißen. Sie heißen mit Recht unser Engel; denn sowie die Seele geschaffen wird, erhält sie einen Engel, und es ist wohl etwas sehr Großes, das ein so vortfreffliches Geschöpf dem sündhaften und häufig undankbaren Menschen dient.

Sie dienen uns aber auf dreifache Weise, nämlich reinigend, erleuchtend und vollendend. Dieses tun alle Chöre der Engel, wie Dionysius sagt. Das erste gehört zur Entfernung des Bösen; das zweite zu Erleuchtung des Verstandes; das dritte zur Vollkommenheit des Willens. Wir werden gereinigt durch die Entfernung der Bosheit und Unählichkeit; wir werden erleuchtet durch die Aufnahme des göttlichen Lichtes; wir werden vollended durch die Entflammung der göttlichen Liebe. Hinzu des erstens heisst es bei Dionysius: "Die da gereinigt werden, müssen rein und von jeder Makel der Unähnlichkeit befreit werden." Hinsichtlich des zweiten: "Die da erleuchtet werden, müssen vom göttlichen Lichte erfüllt und zur Betrachtung der ruhigsten Macht mit den reinsten Augen des Geistes geführt werden." Hinsichtlich des dritten: "Die da wieder hergestellt werden sollen, müssen der Geheimnisse der vollendeten Wissenschaft theilhaft werden." Weil die Engel an uns dies thun, heißen sie unsere Engel; denn sie leisten uns acht Dienste (siehe die Rede auf den achten Fastensonntag).

Ihre Glückseligkeit ist in den Worten ausgedrückt: "Sie sehen das Angesicht meines Vaters." Denn sein Angesicht ist wunderbar, erfreulich, liebevoll und begehrenswerth. Wunderbar ist es wegen der unendlichen Majestät; erfreulich wegen der vielheit der Gnaden; liebevoll wegen des Glanzes der unaussprechlichen Schönheit; begehrenswert wegen der ewigen Herrlichkeit. Hinsichtlich des ersten und zweiten Punktes heisst es (Esth. 9.): "Sehr wunderbar bist du, o Herr, und dein Angesicht ist voller Gnaden." Hinsichtlich des dritten sagt der heilige Augustin: "So groß ist die Wonne des göttlichen Anblickes, dass man sein Angesicht nie ohne Liebe sehen kann." Hinsichtlich des vierten (I. Petr. 1.): "Auf den hinzuschauen es die Engel gelüstet." Und der heilige Augustin sagt: "Es ist erfreulich, dein wunderbares, so wonnevolles Angesicht zu sehen."

Drittens wird ihre ewige Freude in dem Worte: Immer merkt, was dreierlei enthält, dass ihre Freude ohne Unterbrechung, ohne Ende und zugleich ist. Obwohl daher die Engel äußere Dienste versehen, so verlassen sie doch nie die innere Anschauung.

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