Sonntag, 2. Juni 2013

Notwendigkeit eines Mittlers beim Mittler Jesus Christus (Hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort)

aus dem Büchlein Das goldene Buch

4. Vierte Wahrheit: Notwendigkeit eines Mittlers beim Mittler Jesus Christus

Es ist weit demütiger und darum vollkommener, sich Gott nicht unmittelbar, sondern durch einen Vermittler zu nahen. Da unsere Natur, wie ich soeben gezeigt habe, durch die Sünde verderbt ist, wird selbstredend auch alle unsere Gerechtigkeit vor Gott befleckt und nur von geringem Werte sein, wenn wir uns auf unsere eigenen Bemühungen, Arbeiten und Gebete stützen wollten, um Gott zu gefallen und ihn zu bewegen, uns zu erhören und sich mit uns zu vereinigen. Gott sah diese unsere Unwürdigkeit
und Schwäche und hatte Mitleid mit uns. Um uns seiner Erbarmungen fähig zu machen, hat er uns mächtige Fürsprecher gegeben. Diese Vermittler zu übergehen und sich ohne ihre Empfehlung unmittelbar seiner Heiligkeit zu nahen, würde großen Mangel an Demut und Ehrfurcht zeigen gegen einen so erhabenen und heiligen Gott und würde beweisen, dass wir auf die Majestät dieses Königs der Könige weniger Wert legen, als auf die Würde eines irdischen Königs und Fürsten, dem wir uns sicher nicht ohne fürbittenden Freund nahen möchten.

So ist Christus, der Herr, unser Fürsprecher und Mittler bei Gott dem Vater. Durch ihn, unseren Erlöser, müssen wir mit der ganzen triumphierenden und streitenden Kirche unsere Gebete an Gott, den Vater richten; durch ihn haben wir Zutritt zu der Majestät Gottes, vor der wir nur erscheinen dürfen, wenn wir bekleidet sind mit den Verdiensten Christi, wie der junge Jakob mit dem Felle des Ziegenböckleins vor seinem Vater Isaak erschien, um seinen Segen zu empfangen.

Aber haben wir nicht auch einen Mittler notwendig bei diesem Mittler? Ist nicht auch er unser Gott, in allem seinem Vater gleich, und demnach der Heilige der Heiligen, ebenso verehrungswürdig wie sein Vater? Wenn er in seiner unendlichen Liebe unser Bürge und unser Mittler bei Gott, seinem Vater, geworden ist, um ihn zu besänftigen und unsere Schuld zu tilgen, dürfen wir darum weniger Achtung und Furcht vor seiner Majestät und Heiligkeit haben? Ist unsere Reinheit groß genug, um uns unmittelbar mit ihm zu vereinigen?

Gestehen wir es also mit dem hl. Bernhard nur ein, dass wir auch eines Mittlers beim Mittler bedürfen, und dass die allerseligste Jungfrau Maria es ist, welche am besten dieses Amt der Liebe verwalten kann. Durch sie ist Jesus Christus zu uns gekommen, durch sie müssen wir auch zu ihm gehen. Wenn wir uns scheuen, unmittelbar vor Jesus Christus, unseren Gott, hinzutreten aus Furcht vor seiner unendlichen Größe oder wegen unserer Niedrigkeit und unserer Sünden, so rufen wir beherzt die Hilfe und Fürbitte unserer Mutter Maria an! Sie ist gut, sie ist zärtlich; nichts Rauhes, nichts Abstoßendes, aber auch nichts zu Erhabenes und zu Strahlendes ist an ihr. Wenn wir sie sehen, sehen wir unsere Natur in ihrer schönsten Reinheit. Sie ist nicht wie die Sonne, welche durch die Stärke ihrer Strahlen unsere schwachen Augen blenden könnte,
sondern sie ist schön und sanft wie der Mond, der sein Licht von der Sonne empfängt und es mildert, um es unseren schwachen Fähigkeiten anzupassen. Sie ist so liebreich, dass sie niemanden zurückweist, der ihre Fürbitte anruft, er mag ein noch so großer Sünder sein. Denn wie die Heiligen sagen, ist es noch nie erhört worden, seitdem die Welt besteht, dass jemand zur allerseligsten Jungfrau mit Vertrauen und Beharrlichkeit seine Zuflucht genommen hätte und zurückgewiesen worden wäre. Sie ist auch bei Gott so mächtig, dass ihr niemals eine Bitte abgeschlagen wurde. Sie braucht nur vor ihrem Sohn zu erscheinen, um ihn zu bitten, sofort gewährt er es ihr, sofort nimmt er es an; er wird immer aus Liebe besiegt durch die Brüste, den Schoß und die Bitten seiner teuersten Mutter.

Dies alles ist den Aussprüchen des hl. Bernhard und des hl. Johannes Bonaventura entlehnt. Nach ihnen haben wir drei Stufen, um zu Gott emporzusteigen: die erste, die uns am nächsten liegt und am meisten unseren Fähigkeiten entspricht, ist Maria; die zweite ist Jesus Christus, und die dritte ist Gott der Vater. Um zu Jesus zu gelangen, müssen wir zu Maria gehen, sie ist unsere Mittlerin der Fürbitte. Um zum ewigen Vater zu gelangen, müssen wir zu Jesus gehen, er ist unser Mittler der Erlösung. Das ist auch die Ordnung, die bei der Andacht, die ich nachher angeben werde, aufs Vollkommenste beobachtet wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen