Vierter Teil - Elftes Hauptstück - Von der zweiten Bitte.
Zukomme uns dein Reich.
I. Wie oft die Verkündigung des Reiches Gottes in den heiligen Schriften anempfohlen sey.
Das himmlische Reich, nach welchem wir durch diese zweite Bitte
verlangen, ist die Art, dass sich darauf die ganze Verkündigung des Evangeliums
beziehet, und dadurch begränzt wird. Denn von da begann der heilige Johannes zur
Busse zu ermahnen, in dem er sprach: Thut Busse, denn das
Himmelreich ist nahe! [Matth. 3,2] Eben damit
fing der Heiland des Menschengeschlechtes sein Predigtamt an; und bei jener
heilbringenden Rede, in welcher er auf dem Berge den Schülern die Wege der
Seligkeit zeigte, machte er, gleichsam als dem Hauptinhalte seiner Rede, den
Anfang mit dem Himmelreiche. Er sprach: Selig sind die Armen
im Geiste; denn ihrer ist das Himmelreich. [Matth.
5,3] Ja, als ihn einige zurückhalten wollten, gab erfolgenden Grund
seiner nothwendigen Abreise an: Ich muss auch andern Städten
das Evangelium vom Reiche Gottes verkünden, denn dazu bin ich gesandt worden.
[Luc. 4,43] Diess nämliche Reich befahl er
nachher den Aposteln zu verkündigen, und jenem, der gesagt hatte, er wolle
gehen, um seinen Vater zu begraben, antwortete er: Du aber
geh hin, und verkündige das Reich Gottes. [Luc.
9,60] Nachdem er von Todten auferstanden war, sprach er jene vierzig Tage
lang, an welchen er den Aposteln erschien, vom Reiche Gottes. Desshalb sollen
die Seelsorger diese Stelle der zweiten Bitte sehr sorgfaltig abhandeln auf dass
die gläubigen Zuhörer einsehen, wie wichtig der Inhalt und die NothwendigUeit
dieser Bitte sey.
II. Was diese zweite Bitte enthalte.
Eine wichtige Veranlassung zur bedachtsamen und genauen Erklärung
dieses Gegenstandes wird den Seelsorgern erstens der Gedanke geben, dass der
Herr diese Bitte, obgleich sie mit allen übrigen verbunden ist, doch auch
abgesondert von den übrigen vorzubringen befohlen hat, damit wir mit dem
grössten Eifer zu erlangen suchen, um was wir bitten, denn er sprach: Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, so wird
euch dieses alles zugegeben werden. [Matth. 6,33]
Es ist in dieser Bitte eine so bedeutende Menge himmlischer Geschenke
enthalten, dass sie alles in sich schliesst, was zum Schutze
des geistigen und
körperlichen Lebens nothwendig ist. Wie sollten wir aber den des königlichen
Namens für würdig erachten, der sich um das nicht bekümmert, was die Wohlfahrt
des Reiches betrifft? Wenn aber Menschen für die Wohlfahrt ihres Reiches besorgt
sind, mit welch grosser Sorgfalt und Vorsehung müssen wir glauben, dass der
König der Könige das Leben und Heil der Menschen beschütze? In dieser Bitte also
um das Reich Gottes ist alles begriffen, was wir immer auf dieser Waonderschaft
oder vielmehr in dieser Verbannung bedürfen; alles dieses verheisst Gott
liebevoll uns geben zu wollen; denn er fügte sogleich bei: So wird euch dieses
alles zugegeben werden. Dadurch erklärte er ein für allemal, er sey der König,
der dem Menschengeschlechte alles im Ueberflusse und reichlich darreichet.
Dieses Andenken an Gottes unendliche Güte betrachtend, sang David: >Der Herr regiert mich, und nichts wird mir mangeln.
[Ps. 22,1] III. Was jene thun müssen, welche die Frucht dieser Bitte zu erlangen wünschen.
Allein es genüget keineswegs, inständig um das Reich Gottes zu
bitten, wenn wir nicht zu unserer Bitte alle Hilfsmittel anwenden, wodurch man
es suchen und finden kann. Denn auch jene fünf thörichten Jungfrauen beteten
zwar eifrig auf diese Weise: Herr, Herr, thu uns auf!
[Matth. 25,11] jedoch weil sie die
Hilfsmittel jener Bitte nicht hatten, sind sie ausgeschlossen worden; und nicht
mit Unrecht, denn Gott hat den Ausspruch gethan: Nicht ein
jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr! [Matth. 7,21]
wird in das Himmelreich eingehen.
IV. Durch welche Gründe soll bei den Mensehen das Verlangen nach dem Himmelreiche rege gemacht werden?
Wie jammervoll der Zustand des gegenwärtigen Lebens sey.
Desswegen sollen die Seelsorger und Priester aus den
überströmmenden Quellen der heiligen Schriften das schöpfen, was bei den
Gläubigen den Eifer und das Verlangen nach dem Himmelreiche rege macht, was
ihnen den jammervollen Zustand unsers Erdenlebens Tor Augen stellt, was sie so
rühret, dass sie aufblicken und sich sammeln, und an die höchste Glückseligkeit
und die unaussprechlichen Güter zurückdenken, woran das ewige Haus Gottes des
Vaters Ueberfluss hat. Denn wir sind Verbannte, und wirklich Bewohner desjenigen
Ortes, wo die bösen Geister wohnen, deren Hass gegen uns auf keine Weise
gemildert werden kann, da sie äusserst feindselig und unversöhnlich sind gegen
das Menschengeschlecht. Und dann die häuslichen und innerlichen Kämpfe, welche
Leib und Seele, Fleisch und Geist beständig gegen einander führen? Bei welchen
man immerdar in Furcht schweben muss, zu unterliegen; nur in Furcht schweben? ja
wir würden sogleich unterliegen, wenn wir nicht durch den Schutz der Rechten
Gottes vertheidiget würden. Als der Apostel die Grösse dieses Elendes fühlte,
sprach er: ich unglücklicher Mensch! wer wird mich von dem
Leibe dieses Todes, befreien? [Röm. 7,24]
V. Wie gross das Elend des Menschen sey, wird durch Vergleichung anderer Dinge mit dem Menschen bewiesen.
Obgleich diese Unglückseligkeit unseres Geschlechtes durch sich
schon erkannt wird, so kann man sie doch deutlicher einsehen, wenn man sie mit
den übrigen Wesen und Geschöpfen zusammenhält. Bei jenen, sie mögen nun
vernünftig oder unvernünftig seyn, sehen wir selten, dass ein Wesen von seinen
eigentümlichen Verrichtungen, von dem Gefühle, oder von der angebornen Art und
Weise so sehr abweichet, dass es das vorgesetzte und bestimmte Ziel verfehlet.
Dieses sieht man an den Thieren des Feldes, an Fischen und Vögeln, so dass
dieser Umstand gar keiner Erklärung bedarf. Wenn du zum Himmel emporblickest,
erkennest du nicht die volle Wahrheit des Ausspruches Davids: In Ewigheit, o Herr! bleibet dein Wort im Himmel. [Ps. 118,20] Nämlich der Himmel beweget sich in
anhaltenden und fortdauernden Kreisen, so dass er nicht im mindesten von der von
Gott vorgezeichneten Bahn abweichet. Betrachtest du die Erde und das übrige
Wellall, so siehst du leicht, dass sie gar nicht, oder doch nur wenig sich
ändern. Allein das unglückselige Menschengeschlecht fällt sehr oft, selten
vollbringt es, was es recht gedacht hat, und meistens verwirft und verachtet es
seine guten Entwürfe; ein guter Vorsatz, der so eben gefiel, missfällt
plötzlich, und wird verworfen, und man verfällt in schändliche und schädliche
Entschlüsse.
VI. Was die vorzüglichste Ursache unsers Elendes sey.
Was ist nun die Ursache dieser Unbeständigkeit und dieses Elendes?
Sicherlich die Verachtung der göttlichen Eingebung. Wir verschliessen die Ohren
gegen Gottes Anmahnungen; wir wollen die Augen nicht zu dem erheben, was uns als
göttliches Licht vorleuchtet; wir wollen nicht hören den himmlischen Vater, der
uns heilsame Lehren gibt. Desshalb sollen sich die Seelsorger bemühen, dem
gläubigen Volke dieses Elend vor Augen zu stellen, die Ursachen des Unglückes
anzuführen, und die wirksamen Heilmittel zu zeigen. Stoff hiezu geben ihnen die
heiligen Männer, Johannes, Chrysostomus und Augustin, vorzüglich zweckdienlich
aber wird das seyn, was wir bei der Erklärung des Symbolum angeführt haben. Wenn
dieses alles bekannt gemacht wird, kann es dann noch einen so lasterhaften
Menschen geben der nicht, mit der ihm zuvorkommenden Gnade Gottes, nach dem
Beispiele jenes verlornen Sohnes im Evangelium [Luc. 15,20] , aufzustehen und sich aufzurichten, und vor
das Angesicht des himmlischen Königs und Vaters hinzutreten versuchen sollte?
VII.Was das Reich Gottes in den heiligen Schriften bedeute.
Das Reich Gottes bedeutet erstens die Gewalt und Vorsehung über alle
Dinge.
Nach der Erklärung, wie nützlich diese Bitte den Gläubigen sey,
soll vorgetragen werden, was wir von Gott mit diesen Worten verlangen; besonders
da das Wort, Reich Gottes, vieles bedeutet, dessen Erklärung sowohl zum
Verstehen der übrigen Schrift nicht unzweckdienlich, als auch zur Kenntniss
dieser Stelle notwendig ist. Eine allgemeine Bedeutung des Reiches Gottes also,
die in den heiligen Schriften häufig vorkommt, bezieht sich nicht nur auf jene
Gewalt, die er über alle Menschen und alle Dinge hat, sondern auch auf die
Vorsehung, durchwelche er alles lenket und regieret.Der Prophet sagt: In seiner Hand sind alle Gränzen der Erde. [Ps. 94,4] Unter diesen Gränzen versteht man alles, was
verborgen ist und entlegen im Innersten der Erde und aller Dinge. Diess drückte
Mardochäus mit folgenden Worten aus: Herr, Herr,
allmächtiger König, denn in deine Gewalt ist alles gelegt, und es ist niemand,
der deinem Willen widerstehen kann, wenn du Israel zu erlösen beschlossen hast.
Du bist der Herr von allen, und es ist keiner, der deiner Herrlichkeit
widerstehet. [Ester. 13,9.11]
VIII. Wie das Reich Christi über die Frommen beschaffen sey
Ferner wird durch das Reich Gottes jene vorzügliche und besondere
Art der Vorsehung angedeutet, womit Gott fromme und heilige Mensehen schützet
und für sie Sorge trägt; über diese eigentümliche und ausgezeichnete Sorgfalt
Gottes sprach David: der Herr regieret mich, und nichts
wird, mir mangeln; [Ps. 22,1] dann Isaias:
Der Herr unser König: errette uns. [Isaias. 33,22] Obgleich unter dieser königlichen Gewalt
Gottes in diesem Lehen besonders jene stehen, welche, wie wir sagten, fromm und
heilig sind: so hat doch Christus der Herr selbst den Pilatus erinnert, sein
Reich sey nicht von dieser Welt, [Joa. 18,36] d. h. es entspringe ganz und gar nicht von
dieser Welt, die erschaffen ist, und zu Grunde gehen werde; denn auf die besagte
Art herrschen die Kaiser, Könige, Republiken, Herzoge, und alle, die von den
Menschen begehret oder gewählet, Städten und Provinzen vorstehen, oder durch
Gewaltthat und Unrecht sich der Herrschaft bemächtiget haben [Ps. 2,6] . Christus der Herr
aber ist von Gott als Konig eingesetzt, wie der Prophet sagt, dessen Reich nach
dem Ausspruche des Apostels Gerechtigkeit ist; denn er sagt: Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede, und Freude im
heiligen Geiste. [Röm. 14,17]
IX. Wie Christus in seinen Gläubigen herrsche.
Christus der Herr aber herrschet in uns durch innerliche Tugenden,
durch Glaube, Hoffnung, Liebe; und durch diese Tugenden werden wir auf gewisse
Weise Theile des Reiches; wir werden Gott in gewisser Hinsicht unterworfen, und
zu seinem Dienste und zu seiner Verehrung geweihet, dass wir, gleich dem
Apostel, der sprach: Ich lebe aber, doch nicht ich, sondern
Christus in mir; [Galat. 2,20] sagen können:
ich herrsche, aber doch nicht ich, sondern Christus herrscht in mir.
Dieses Reich aber heisst Gerechtigkeit, weil es durch die
Gerechtigkeit Christi des Herrn gegründet wurde. Und von diesem Reiche spricht
der Herr so beim heil. Lukas: Das Reich Gottes ist innerhalb
euch. [Luc. 17,21] Denn obschon Christus
durch den Glauben in allen herrscht, welche sich im Schoosse und Busen der
heiligsten Mutter Kirche befinden; so regiert er doch auf besondere Weise jene,
die sich durch vorzüglichen Glauben, Hoffnung und Liebe als reine und lebendige
Glieder Gott gewidmet haben; und in diesen, sagt man, besteht das Reich der
Gnade Gottes.
X. Von dem Reiche der Herrlichkeit Christi, unsers Herrn.
Es ist aber auch jenes Reich der Herrlichkeit Gottes, von dem
Christus der Herr beim heil. Matthäus spricht: Kommet, ihr
Gesegneten meines Vaters, besitzet das Reich, welches seit Grundlegung der Welt
euch bereitet ist. [Matth. 26,34] Um eben
dieses Reich bat ihn beim heil. Lukas der Räuber, der wunderbar seine Verbrechen
erkannte: Herr, gedenke meiner, wenn du in dein Reich
kommst. [Luc. 23,42] Auch der heil, Johannes
gedenket dieses Reiches: Wenn Jemand nicht wiedergeboren
wird aus dem Wasser und heiligen Geiste, so kann er in das Reich Gottes nicht
eingehen. [Joa. 3,5] Gleichfalls erwähnet es
der Apostel an die Epheser: >Kein Hurer, oder Unzüchtiger
oder Geiziger, der ein Götzendiener ist, hat Erbtheil an dem Reiche Christi und
Gottes. [Ephes. 5,5] Hieher gehören einige
Gleichnisse Christi, worin er vom Himmelreiche spricht. [Matth. 13]
XI. Von der Beschaffenheit und Verschiedenheit des Reiches der Herrlichkeit und Gnade Christi.
Man muss aber das Reich der Gnade zuvor festsetzen; denn es ist
nicht möglich, dass in Jemandem die Herrlichkeit Gottes herrsche, wenn nicht
seine Gnade schon in ihm herrschend ist. Die Gnade aber ist nach dem Ausspruche
des Heilandes selbst die Wasserquelle, die ins ewige Leben
quillt. [Joa. 4,14] Was anderes sollen wir
aber von der Herrlichkeit sagen, als dass sie eine vollkommene und vollständige
Gnade sey? Solange wir nämlich mit diesem gebrechlichen und sterblichen Körper
bekleidet sind, solange wir in dieser blinden Wanderschaft und Verbannung
herumschweifend und schwach von Gott ferne sind, gleiten wir oft aus und fallen,
wenn wir die Hilfe des Reiches der Gnade, worauf wir uns stützten, weggeworfen
haben. Wenn uns aber das Licht des Reiches der Herrlichkeit, das vollkommen ist,
leuchtet, so werden wir fest und standhaft immerdar stehen; denn jede Sünde und
jedes Ungemach wird hinweggenommen werden, jede Schwäche wird gestärkt
erstarken; und Gott selbst wird in unserer Seele und im Leibe herrschen. Diess
ist im Glaubensbekenntnisse weitläufiger behandelt worden, als von der
Auferstehung des Fleisches die Rede war.
XII. Um was wir also in dieser Bitte Gott vorzüglich bitten.
Nachdem nun erklärt ist, was man gemeiniglich unter dem Reiche
Gottes verstehe, so soll jetzt davon geredet werden, was diese Bitte eigentlich
sagen wolle. Wir bitten aber Gott, dass das Reich Christi, welches die Kirche
ist, ausgebreitet werde; dass sich die Ungläubigen und Juden zum Glauben Christi
des Herrn, und zur Annahme der Erkenntniss des wahren Gottes bekehren; und die
Abtrünnigen und Ketzer zur Wahrheit, und in die Gemeinschaft der Kirche Gottes,
von der sie abgefallen sind, zurückkehren möchten; dass erfüllt und vollendet
werden möchte, was der Herr durch den Mund des Isaias gesprochen hat: Erweitere den Raum deiner Hütte, und deiner Zelte Felle dehne aus,
... mach lang deine Seile, und deine Pfähle stecke fest! denn zur Rechten und
zur Linken wirst du durchbrechen, ... denn dein Schöpfer wird dein Gebieter.
[Is. 54,2.3.5] Und wiederum: Es wandeln die Völker in deinem Lichte, und die Könige im Glanze,
der dir aufgegangen. Erhebe ringsum deine Augen, und siehe, sie alle versammeln
sich, und kommen zu dir. Deine Söhne kommen von ferne und deine Töchter erheben
sich von allen Seiten. [Isai. 60,2.3.]
XIII. Wornach wir hier zweitens begehren.
Weil es aber in der Kirche Menschen gibt, die mit Worten Gott
bekennen, mit den Werken aber ihn läugnen , und einen verunstalteten Glauben
haben, in welchen wegen der Sünde der Teufel wohnet, und herrscht, wie in seiner
eigenen Wohnung: so bitten wir auch, dass das Reich Gottes zu ihnen kommen möge,
wodurch sie, nachdem die Finsternisse zerstreut, und sie durch die Strahlen des
göttlichen Lichtes erleuchtet sind, in ihre vorige Würde der Kindschaft Gottes
zurückversetzt werden, damit der himmlische Vater, nachdem alle Ketzer und
Abtrünnigen aus seinem Reiche entfernt, und alle Sünden und Veranlassungen zu
Lastern weggeräumt sind, die Tenne der Kirche reinige, und diese, indem sie Gott
fromm und heilig verehret, eines ruhigen und ungetrübten Friedens geniesse.
XIV. Was wir drittens durch eben diese Bitte begehren.
Endlich bitten wir, dass Gott allein in uns leben, allein herrschen
möge; auf dass fernerhin für den Tod kein Platz mehr sey, sondern dass er
verschlungen werde im Siege Christi unsers Herrn, welcher, nach dem Sturze und
der Zerstreuung aller Herrschaft der Feinde, durch seine Macht und Kraft alles
seinem Reiche unterwerfen möge.
XV. Was den Christen durch diese Bitte vorzüglich zu thun und zu betrachten dargeboten werde.
Um das Reich Christi zu erlangen, muss man alles Irdische
verachten. Die Seelsorger sollen sich es angelegen seyn lassen, das gläubige
Volk in Allem zu unterrichten, was der Inhalt dieser Bitte fordert, damit es mit
solchen Gedanken und Betrachtungen ausgerüstet, diese Bitte Gott mit frommem
Sinne vortrage. Zuerst sollen sie aufmerksam machen, dass die Christen den Sinn
und die Bedeutung jenes vom Heilande angeführten Gleichnisses betrachten: Das Himmelreich ist gleich einem Schatze, der im Acker verborgen
ist: wenn diesen ein Mensch findet, hält er ihn geheim, und geht in seiner
Freude hin, und verkauft alles, was er hat, und kauft desselben Acker.
[Matth. 13,44] Denn wer die Schätze Christi
des Herrn kennet, der verachtet alles vor ihnen, dem werden Vermögen,
Reichthümer, Macht verächtlich seyn; es kann ja nichts mit diesem Höchsten Gute
verglichen werden, ja nicht einmal vor seinem Angesichte bestehen. Desshalb
werden die, denen diese Kenntniss zu Theil geworden ist, mit dem Apostel
ausrufen: Ja, ich halte auch Alles für Schaden wegen der
Alles übertreffenden Erkenntniss Jesu Christi, meines Herrn, und erachte es für
Koth, damit ich Christum gewinne. [Philipp. 3,8]
[Matth. 13,46]
Das ist jene vortreffliche Perle im Evangelium; und wer um sie alles, aus
dem Verkaufe aller seiner Güter gelöste, Gold hingibt, der geniesset die ewiee
Seligkeit.
XVI. Wie wünschenswerth das Reich Christi hier durch die Gnade, und jenseits durch die Herrlichkeit sey.
O wie glückselig wären wir, wenn uns Jesus Christus so viel Licht
ertheilen würde, dass wir jene Perle der göttlichen Gnade sehen könnten, wodurch
er in den Seinigen herrschet. Denn wir würden all das Unsrige, ja uns selbst
verkaufen, um sie zu kaufen und zu unserm Eigenthume zu machen; denn alsdann
dürften wir ohne Bedenken sagen: Wer wird uns scheiden von
der Liebe Christi? [Röm. 8,35] Wenn wir aber
die wunderbare Vorzüglichkeit des Reiches der Herrlichkeit erkennen, wie sie
ist, so lasset uns abermal den Ausspruch des Propheten und Apostels darüber
vernehmen: Kein Auge hat es gesehen, kein Ohr gehört; und in
keines Menschen Herz ist es gekommen, was Gott denen bereitet hat, die ihn
lieben. [1. Cor. 2,9]
XVII. Von der Demuthi, die wir bei dieser und den andern Bitten zeigen müssen.
Um aber das zu erlangen, um was wir bitten, wird es von grossem
Vortheile seyn, wenn wir bei uns selbst überdenken, wer wir sind, nämlich
Nachkömmlinge des Adam, mit Recht aus dem Paradiese verstossen und verbannt;
deren Unwürdigkeit und Verkehrtheit den grössten Hass Gottes, und ewige Strafen
verdiente. Daher müssen wir niedergebeugt und demuhsvoll seyn. Auch unser Gebet
soll voll christlicher Demuth seyn; und voll Misstrauen auf uns selbst sollen
wir, gleich jenem Zöllner, zur Barmherzigkeit Gottes unsere Zuflucht nehmen
[Luc. 18,3] ; und indem
wir Alles seiner Güte beimessen, sollen wir ihm unsterblichen Dank abstatten, da
er uns seinen Geist verliehen hat, auf den gestüzt,wir zu rufen wagen: Abba,
Vater. [Röm. 8,15]
XVIII. Mit welchem Eifer wir uns bestreben müssen, dereinst das Himmelreich zu besitzen.
Wir sollen auch sorgfältig bedenken, was wir thun, was wir dagegen
meiden müssen, dass wir in das Himmelreich eingehen können; denn wir sind, von
Gott nicht zum Müssiggange und zur Trägheit berufen; vielmehr sagt er: Das Himmelreich leidet Gewalt, und die Gewalt brauchen, reissen es
an sich; [Matth. 11,12] und: Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote. [Matth. 19,17] Es ist demnach nicht hinlänglich, um das
Reich Gottes zu bitten, wenn nicht die Menschen auch ihr Streben und ihre
Bemühung darauf verwenden; sie müssen Gehilfen und Diener der Gnade Gottes seyn,
und auf dem Wege verharren, der zum Himmel führe. Gott verlässt uns niemals, da
er uns versprochen hat, beständig mit uns seyn zu wollen, so dass wir nur auf
das Eine sehen dürfen, dass wir Gott und uns selbst nicht verlassen. In diesem
Reiche der Kirche gehöret alles Gott, die Menge der unsichtbaren Engel, und
dieses sichtbare von himmlischer Kraft übervolle Geschenk der Sakramente wodurch
er sowohl das Leben der Menschen schützet, als auch das ewige Heil bewirkt, in
diesen ist uns von Gott ein so kräftiges Schutzmittel verliehen, dass wir nicht
nur vor der Herrschaft der heftigsten Feinde sicher seyn, sondern auch den
Tyrannen selbst und seine boshaften Trabanten niederstrecken und zertreten
können.
XIX. Schluss dieser Bitte und fernere kurze Erklärung derselben.
Desswegen sollen wir endlich den Geist Gottes inbrünstig bitten,
dass er uns alles nach seinem Willen thun heisse; dass er zerstöre das Reich des
Satan, damit er an jenem grossen Tage keine Gewalt über uns habe; dass Christus
siege und triumphire; dass seine Gesetze geachtet werden von der ganzen Welt:
dass seine Gebote beobachtet werden; dass es keinen gebe, der ihn verräth oder
verlässt; sondern dass sich alle als solche bewähren mögen, die ohne Bedenken
vor das Angesicht des Königs und Gottes kommen, und den ihnen von Ewigkeit her
bereiteten Besitz des himmlischen Reiches antreten, wo sie selig mit Christus
immerdar herrschen mögen.
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