Dritter Theil - Sechstes Hauptstück
Vom fünften Gebote. - Du sollst nicht tödten.
I. Welches die Frucht und der Nutzen der Lehre sey, die in diesem Gebote enthalten ist.
Jene grosse Glückseligkeit, welche den friedfertigen Menschen
bestimmt ist, .. . denn sie werden Kinder Gottes genannt
werden, [Matth. 9,5] soll die Seelsorger
vorzüglich aneifern, den Unterricht über dieses Gebot den Gläubigen sorgfältig
und genau vorzutragen; denn es gibt keinen bessern Weg, die Hertzen der Menschen
zu versöhnen, als wenn der Inhalt dieses Gebotes, richtig dargestellt, und
daselbe von Allen so, wie es sich gehört, gewissenhaft beobachtet wird; weil man
dann hoffen kann, dass die Menschen von gleicher Gesinnung des Herzens
vereinigt, Eintracht und Friede eifrigst bewahren. Wie nothwendig es aber sey,
dieses Gebot zu erklären, ersieht man daraus, dass nach jener allgemeinen
Ueberschwemmung der Erde Gott den Menschen diess Eine verboten hat: Das Blut eurer Seelen will ich von der Hand aller Thiere fordern,
und von der Hand des Menschen. [Gen. 9,5]
Auch im Evangelium ist das erste von den alten Gesetzen, die der Herr
erkläret hat, dieses, worüber beim h. Matthäus so geschrieben seht: Den Alten ist gesagt worden: du sollst nicht tödten; [Matth. 5,21] und das übrige, was hierüber an jener Stelle
und nachher erwähnet wird, Ueberdiess sollen die Glaubigen dieses Gebot
aufmerksam und gerne vernehmen, denn wenn man seine Wirkung betrachtet, trägt es
sehr viel zum Schutze des Lebens eines Jeden bei, weil durch die Worte, Du
sollst nicht tödten, der Menschenmord durchaus verboten ist. Desshalb sollen es
alle Menschen mit eben,solcher Seelenfreude aufnehmen, als wenn mit Androhung
des Zornes Gottes und anderer sehr schwerer Strafen, namentlich verboten würde,
dass keiner von ihnen verletzt werden soll. Wie daher dieses Gebot schon
angenehm zu hören ist, so muss auch die Verhütung jener Sünde, die dadurch
verboten wird, angenehm seyn.
II. Was dieses Gebot verbiete und gebiete.
Als der Herr den Inhalt dieses Gebotes erklärte, zeigte er, es
seyen zwei Gebote darin enthalten, das eine, dass wir nicht tödten sollen, was
uns zu thun verboten, ist; das andere, was uns zu thun geboten ist, dass wir die
Feinde mit einträchtiger Freundschaft und Liebe umfassen sollen; dass wir Friede
halten mit Allen; endlich alle Unbequemlichkeiten geduldig ertragen.
III. Es ist erlaubt, die Thiere zu essen und zu schlachten.
Beim Verbote des Todschlages ist vor Allem zu lehren, was für
Tödtungen durch dieses Gesetz verboten werden. Thiere zu tödten, ist nicht
verboten; denn wenn der Herr den Menschen erlaubt hat, sie zu essen, so muss es
ihnen auch erlaubt seyn, sie zu tödten. Hierüber schrieb der heilige Augustin
so:
Wenn wir sagen hören: Du sollst nicht tödten, so verstehen wir diess nicht
Von Gesträuchen, denn sie haben ja keine Empfindung; noch auch von den
unvernünftigen Thieren, weil sie mit uns in keiner Verbindung stehen.IV. Es ist erlaubt, die Menschen gerichtlich zum Tode zu verurtheilen, oder zu tödten.
Eine andere Art von Tödtung ist erlaubt, die jenen Obrigkeiten
zusteht, welche die peinliche Gerichtsbarkeit ausüben, wenn sie nach der
Vorschrift und dem Urtheile der Gesetze lasterhafte Menschen bestrafen, und die
Unschuldigen in Schutz nehmen. Wenn sie dieses Amt gerecht verwalten, sind sie
nicht nur nicht des Todschlages schuldig, sondern sie vollziehen das göttliche
Gesetz, wodurch der Mord verboten wird. Denn da diess Gesetz zur Absicht hat,
für das Leben und die Wohlfahrt der Menschen zu sorgen, so zielen die Strafen
der Obrigkeiten, welche die rechtmässigen Rächer der Verbrechen sind,
gleichfalls dahin ab, dass Verwegenheit und Gewalttätigkeit durch schwere
Strafen unterdrückt, und das Leben der Menschen sicher sey. Daher sprach David:
Frühe will ich tödten alle Sünder des Landes, damit ich
ausrotte aus der Stadt des Herrn alle Uebelthäter. [Ps. 100,8]
V. Wie auch die, welche in einem gerechten Kriege tödten, nicht des Mordes schuldig seyen.
In dieser Hinsicht sündigen nicht einmal jene, welche in einem
gerechten Kriege, nicht von Leidenschaft und Grausamkeit getrieben, sondern
allein des öffentlichen Nutzens wegen, den Feinden das Leben nehmen. Solche
erlaubte Tödtungen sind ferner die, welche namentlich auf Befehl Gottes
geschehen. Die Söhne Levi sündigten nicht, als sie an einem Tage so viele
tausend Menschen tödteten. Nach dieser Schlacht redete sie Moses so an: Ihr habt heute eure Hände dem Herrn geweiht. [Exod. 32,29]
VI. Dieses Gebotes ist der nicht schuldig, welcher einen Menschen aus Zufall tödtet.
Auch ist dieses Gebotes der nicht schuldig, welcher nicht
freiwillig, nicht mit Bedacht, sondern zufällig, einen Menschen tödtet; hierüber
steht im Deuteronomium geschrieben: Wer seinen Nächsten
erschlagen hat ohne Wissen, und, wie zu erweisen, keinen Hass gegen ihn gehabt
hat, weder gestern nach ehegestern: sondern arglos mit ihm in den Wald ging,
Holz zu hauen, und das Holz hieb, dass die Axt seiner Hand entfuhr, und das
Eisen aus dem Stiele fiel, und seinen Freund traf, und ihn tödtete. [Deut. 19,4.5.] Solche Tödtungen werden, da sie nicht mit
Willen, und nicht vorsätzlich zugefügt werden, desswegen auch nicht unter die
Sünden gerechnet. Auch der Ausspruch des h. Augustin beweiset diess; er sagt:
Ferne sey es, jenes, was wir wegen etwas Guten oder Erlaubten thun, wenn dabei
wider unsern Willen etwas Böses sich ereignet, uns zuzurechnen.
VII. Wer des Mordes schuldig ist, welcher aus Zufall einen Todschlag begangen hat.
Hierin kann man jedoch aus zweierlei Ursachen sündigen; erstens,
wenn Jemand sich mit etwas Unrechtem beschäftigt, und dabei einen Menschen
tödtet; z. B. Wenn Jemand eine schwangere Frau mit der Faust oder dem Fusse
stösst, und hieraus eine zu frühe Geburt erfolgte, so läge diess zwar ausser dem
Willen des Thäters, aber nicht ausser seiner Schuld, da es ihm nicht erlaubt
ist, eine schwangere Frau zu schlagen. Zweitens wenn Jemand nicht genau Acht
gibt, und einen Menschen aus Unachtsamkeit und Unvorsichtigkeit tödtet.
VIII. Es ist auch erlaubt, um seiner eigenen Rettung willen einen andern zu tödten.
Wenn Jemand, um sein eigenes Leben zu vertheidigen, mit Anwendung
aller möglichen Vorsicht, einen andern getödtet hat, so erhellt aus der
nämlichen Ursache, dass er sich dieses Verbotes nicht schuldig mache. Diese so
eben angeführten Tödtungen nun sind die, welche nicht unter diesem Gebote des
Gesetzes begriffen sind; mit Ausnahme dieser sind alle übriges verboten, man mag
nun auf den Todschläger oder auf den der getödtet wird, oder auf die Arten der
Tödtung Rücksicht nehmen.
IX. Niemanden ist es erlaubt aus eigner Macht einen zu begehen
Was die betrifft, welche einen Mord begehen, so ist Niemand
ausgenommen, nicht Reiche, nicht mächtige Menschen, nicht Herren, nicht Eltern,
sondern Allen, ohne jede Ausnahme und ohne Unterschied ist es verboten zu
tödten.
X. Es gibt Niemanden welcher durch dieses Gesetz nicht geschützt wird
Wenn man auf die sieht, welche getödtet werden so umfasst dieses
Gesetz Alle: und Niemand ist eines so niedrigen und verachteten Standes, dem
nicht der Schutz dieses Gesetzes zu Theil werden sollte. Auch ist es Niemandem
erlaubt sich selbst zu tödten; da Niemand so über sein Leben Herr ist, dass es
ihm erlaubt wäre sich nach eigener Willkühr den Tod zu geben; desswegen lautet
das Gesetz nicht: Du sollst keinen andern tödten, sondern einfachhin: Du sollst
nicht tödten.
XI. Auf wievielfache Weise diess Gesetz übertreten werden könne
Mögen wir nun die vielfache Art einen Todschlag zu begehen,
betrachten, so ist auch hier Niemand ausgenommen. Denn es ist nicht nur nicht
erlaubt, einen Menschen mit eigenen Händen, oder mit einem Schwerte, oder
Steine, oder Stocke, oder Stricke, oder Gift das Lebeqn zu rauben, sondern es
ist auch verboten durch Rath, oder Beistand, oder Hilfieistung, oder auf was
immer für eine andere Weise daran Theil zu nehmen. Und es war die grösste
Ungeschicklichkeit und Thorheit der Juden, dass sie glaubten dieses Gebot zu
halten, wenn sie nur nicht mit eigenen Händen mordeten. Allein für einen
Christen, welcher nach der Auslegung Christi, dieses Gesetz, als ein geistiges
erkannt hat, nämlich als ein solches, das befiehlt, nicht nur seine Hände rein
zuhalten, sondern auch die Seele schuldlos und unbefleckt zu bewahren, ist diess
noch nicht hinlänglich, was jene für überflüssig genug hielten; denn es ist
nicht einmal erlaubt, Jemandem zu zürnen, wie im Evangelium gelehret wird, da
der Herr spricht: Ich aber sage euch, dass ein Jeder, der
über seinen Bruder zürnt, des Gerichtes schuldig seyn wird. Wer aber zu seinem
Bruder sagt: Raca! wird des Rathes schuldig seyn: und wer sagt: Du Narr! wird
des höllischen Feuers schuldig seyn. [Matth. 5,22]
XII. Wie Jemand durch Zürnen sündigen oder nicht sündigen kann.
Aus den vorhergehenden Worten ist klar, dass der nicht von Schuld
frei sey, welcher seinem Bruder zürnet, wenn er auch den Zorn nicht ausbrechen
lässt; derjenige aber, welcher ein Zeichen seines Zornes von sich gibt, schwer
sündige; aber noch viel schwerer sündiget der, welcher sich nicht scheut, seinen
Bruder hart anzufahren, und ihm einen Vorwurf zu machen, besonders dann, wenn er
keine Ursache zum Zorne hat. Eine Ursache aber zum Zorne, welche von Gott und
den Gesetzen erlaubt ist, besteht darin, wenn wir gegen jene strafend auftreten,
die unserer Herrschaft und Gewalt untergeben sind, wenn sie etwas Unrechtes
begangen haben. Denn der Zorn des Christen muss nicht aus Leidenschaft, sondern
aus dem heiligen Geiste seinen Ursprung haben, da wir Tempel
des heiligen Geistes, [1. Cor. 6,19] in
welchen Jesus Christus wohnet, seyn sollen. .
XIII. Wie die Menschen dieses Gesetz vollkommen erfüllen, und wie viele sieh gegen dasselbe versündigen.
Es ist überdiess von Gott vieles gelehret worden was zur
vollkommnnen Erfüllung dieses Gesetzes gehört: dergleichen ist: Wenn man dem
Uebel nicht widersteht, sondern: Wenn dich Jemand auf deinen
rechten Backen schlägt, so reiche ihm auch den andern dar: und will Jemand mit
dir vor Gerickt streiten, und dir deinen Rock nehmen, so lass ihm auch den
Mantel; und wenn dich Jemand eine Meile zu gehen nöthiget, so gehe noch zwei
Meilen mit ihm. [Matth. 5,39] Aus dem bereits
Erwähnten kann man entnehmen, wie geneigt die Menschen zu jenen Sünden seyen,
die durch dieses Gebot Verboten sind, und wie viele es gebe, welche, wo nicht
mit der Hand, doch wenigstens im Herzen, das Verbrechen des Todschlages
begehen.
XIV. Wie sehr in den heiligen Schriften Gott den Mord verabscheue.
Da für diese so gefahrvolle Krankheit in den heiligen Schriften
Heilmittel verordnet sind, so ist es Pflicht des Seelsorgers, dieselben den
Gläubigen sorgfältig vorzutragen; besonders aber soll er sie einsehen lehren,
welche furchtbare Sünde der Mord eines Menschen sey. Diess kann man aus sehr
vielen und gewichtigen Zeugnissen der heiligen Schrift ersehen. Denn Gott
verabscheuet in den heiligen Schriften den Mord eines Menschen so sehr, dass er
sagt, er werde Ermordungen von Menschen an den Thieren bestrafen und befiehlt,
das Thier, welches einen Menschen verletzt hat, todt zu schlagen; [Gen. 5,9] und er wollte auch
aus keiner andern Ursache, dass der Mensch Abscheu vor dem Blute haben sollte,
ausser um auf alle mögliche Weise die Seele und Hände vor dem grässlichen Morde
eines Measchen zu bewahren.
XV. Beweis aus der Vernunft, wie gross das Verbrechen des Mordes sey.
Die Mörder sind die ärgsten Feinde des menschlichen Geschlechtes
und der Natur selbst, da sie, so viel an ihnen liegt, das ganze Werk Gottes
zerstören, indem sie den Menschen aus dem Wege räumen, dessenwegen er alles, was
erschaffen ist, gemacht zu haben bezeugt; ja da im Buche Genesis verboten ist
[Gent. 9,6] , einen
Menschen zu tödten, weil ihn Gott nach seinem Ebenbilde und Ihm ähnlich
erschaffen hat; so fügt derjenige Gott eine schreiende Unbild zu, und scheint
gleichsam an Ihn selbst gewalthätige Hand zu legen, der sein Ebenbild
vernichtet. Als diess David in göttlicher Beschauung der Seele betrachtete,
klagte er bitterlich über blutdürstige Menschen mit den Worten: Schnell sind ihre Füsse zum Blutvergiessen. [Ps. 13,3] Er sprach nicht schlechthin, sie tödten,
sondern sie vergiessen Blut; und er sprach diese Worte aus, um die Grösse jenes
verabscheuungswürdigen Verbrechens und ihre unmenschliche Grausamkeit
darzustellen. Um nun deutlich zu zeigen, wie schnell sie gleichsam auf Antrieb
des Teufels zu dieser Lasterthat hingerissen werden, sagte er: Ihre Füsse sind
schnell.
XVI. Was in diesem Gebole Gott zu thun gebietet.
Was Christus der Herr in diesem Gebote zu beobachten befiehlt,
zielt dahin ab, dass wir mit allen Menschen Friede halten sollen. Denn er sagt
bei Erklärung dieser Stelle: Wenn du deine Gabe zu dem
Altare bringest, und dich daselbst erinnerst, dass dein Bruder etwas wider dich
habe, so lass deine Gabe allda vor dem Altare, und gehe zuvor hin, und versöhne
dich mit deinem Bruder, und dann komme, und opfere deine Gabe, [Matth. 5,23.24.] und das folgende. Diess soll der
Seelsorger so erklären, dass er lehret, man müsse Alle ohne Ausnahme in Liebe
umfassen; und zu dieser Liebe soll er die Gläubigen durch die Darstellung dieses
Gebotes, so viel es ihm möglich ist, aneifern, weil hierin die Tugend der
Nächstenliebe am meisten sich bewähret.
Da also durch dieses Gebot der Hass offenbar verboten ist, weil
der, welcher seinen Bruder hasst, [1. Joh. 3,13] ein Menschenmörder ist, so folgt gewiss,
dass dadurch die Liebe anbefohlen werde.
XVII. Welches die Liebespflichten seyen, die in diesem Gebote enthalten sind.
Da durch dieses Gesetz die Liebe geboten wird, so werden dadurch
auch alle jene Pliüchten und Handlungen befohlen, welche die Liebe zu begleiten
pflegen. Der heilige Paulus sagt: Die Liebe ist geduldig,
[I. Cor. 13,4]
Daher wird uns die Geduld geboten, in welcher wir, nach dem
Ausspruche des Heilandes, unsere Seelen besitzen werden [Luc. 21, 19.] . Eine
Begleiterin und Gefährtin der Liebe ist die Wohlthätigkeit, weil die Liebe [I. Cor. 13,14] gütig ist. Die
"Tugend der Güte und Wohllhätigkeit aber, hat einen grossen Umfang, und ihre
Pflicht besteht vorzüglich darin, den Armen das Nothwendige reichen, Speise den
Hungrigen, Trank den Durstigen, und Kleider den Nackten; und je mehr einer
unserer Hilfe bedarf, desto freigebiger sollen wir gegen ihn seyn.
XVIII. Wie die vollkommenste aller Liebespflichten die Liebe der Feinde sei.
Diese Pflichten der Wohlthätigkeit und Güte, welche schon an sich
gar herrlich sind, werden noch glänzender, wenn wir sie gegen die Feinde üben.
Denn der Heiland sagt: Liebet eure Feinde, thut Gutes denen,
die euch hassen; [Matth. 5,44] und der
Apostel ermahnet dazu mit den Worten: Wenn dein Feind Hunger
hat, so speise ihn; wenn er Durst hat, so tränke ihn; denn thust du diess, so
wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich nicht vom Bösen
überwinden, sondern überwinde du das Böse. [Röm.
12,20. 21.]
Wenn wir endlich das Gesetz der Liebe betrachten, wie sie gütig
ist; so werden wir einsehen, dass dadurch alle Pflichten, welche Sanftmuth,
Milde und andere dergleichen Tugenden betreffen, zu üben vorgeschrieben
werden.
XIX. Wodurch vorzüglich die Nächstenliebe, die hier befohlen wird, sich zu erkennen gebe.
Die bei weitem vortrefflichste Pflicht, die ganz mit Liebe erfüllt
ist, in welcher wir uns besonders üben sollen, ist jene, dass wir Beleidigungen,
die uns zugefügt worden sind, gelassen verzeihen und nachsehen. Um diess
vollends zu bewirken, ermahnen uns oft die heiligen Schriften, wie oben
angegeben wurde, indem sie diejenigen, welche diess thun, nicht nur
seligpreisen, sondern auch behaupten, dass ihnen von Gott ihre Vergehungen
verziehen seyen; die aber diess zu thun vernachlässigen, oder sich gar weigern,
erlangen keine Verzeihung. Allein weil die Begierde nach Rache der menschlichen
Seele fast angeboren ist, so muss der Seelsorger die grösste Mühe darauf
verwenden, nicht nur zu lehren, es gezieme sich für einen Christen,
Beleidigungen zu vergessen, und sie zu verzeihen, sondern er soll die Gläubigen
auch hiezu bereden. Da hierüber bei den heiligen Schriftstellern oftmals
Erwähnung geschieht, so soll er sie zu Rathe ziehen, um die Hartnäckigkeit jener
zu besiegen, welche starrsinnig und unbeugsam auf ihrer Rachgierde beharren. Er
soll die Beweise bereit haben, welche die Väter hiebei als die gewichtigsten und
dieser Sache angemessensten mit frommem Sinne anwendeten.
XX. Aus welchen Gründen vorzüglich der Hass soll unterdrückt, und die Gläubigen zum Vergessen der Beleidigungen bewogen werden sollen.
Es sollen vorzüglich diese drei Punkte erkläret werden. Erstens
soll man den, der sich für beleidigt hält, vor allem zu überzeugen suchen, dass
der, an dem er sich rächen will, nicht die Hauptursache des Schadens und der
Kränkung sey. So machte es jener bewunderungswürdige Hiob, der von sabäischen
Männern, von Chaldäern und vom Teufel schwer beschädigt, doch keine Rücksicht
auf sie nahm, und als ein rechtschaffener und frommer Mann sich in seinem
geraden und frommen Sinne jener Worte bediente: Der Herr
hat's gegeben, der Herr hat's genommen. [Job. 1,21]
Nach dem Beispiele und der Rede also jenes so geduldigen Mannes
sollen die Christen der Ueberzeugung seyn, die auch gewiss ganz wahr ist, alles,
was wir in diesem Leben leiden, komme vom Herrn, dem Vater und der Quelle aller
Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.
XXI. Die Menschen, welche uns verfolgen, sind Diener und Knechte Gottes, wenn sie es auch aus bösem Willen thun.
Gott, dessen Güte unermesslich ist, straft uns nicht als Feinde,
sondern er bessert und züchtiget uns als Kinder. Und wahrlich, wenn wir es genau
betrachten, sind hiebei die Menschen gar nichts anderes, als Diener und Knechte
Gottes, und obschon der Mensch einen andern hassen, und ihm das Schlimmste
wünschen kann, so vermag er doch nicht, ohne Zulassung Gottes ihm auf irgend
eine Weise zu schaden. Aus diesem Grunde wurde Joseph bewogen [Gen. 45,5] , die ruchlosen
Rathschläge seiner Brüder, und David [3. Regg. 16,10] die ihm von Semei zugefügten Unbilden
gelassen zu ertragen. Hiezu trägt auch jene Beweisart bei, welche der h.
Chrysostomus gründlich und gelehrt dargestellt hat ; nämlich jedermann werde nur
durch sich selbst verletzt; denn die sich für übel behandelt halten, werden,
wenn sie die Sache bei sich recht erwägen, wahrlich inne werden, dass ihnen von
andern keine Unbild und kein Schaden zugefügt worden sey; denn obschon das,
wodurch sie beleidigt werden, von aussen kommt, so beleidigen sie sich doch
selbst am meisten, da sie ihre Seele mit Hass, Leidenschaft und Neid unerlaubter
Weise beflecken.
XXII. Welche Vortheile jene erlangen, die Unrecht gerne verzeihen.
Zweitens erlangen diejenigen zwei besondere Vortheile, welche aus
frommer Liebe zu Gott Beleidigungen gerne verzeihen. Der erste besteht darin,
weil denen, die fremde Schulden nachlassen, Gott versprochen hat, dass auch sie
Verzeihung der Sünden erlangen werden; aus welchem Versprechen man sieht, wie
angenehm ihm dieser Liebesdienst sey. Der Zweite Vortheil ist der, dass wir eine
gewisse Würde und Vollkommenheit erlangen, weil wir durch Verzeihung von
Beleidigungen einigermassen Gott ähnlich werden, der seine
Sonne über die Guten und Bösen aufgehen, und über die Gerechten und Ungerechten
regnen lässt. [Matth. 5,45]
XXIII. Welche und wie viele Nachtheile aus dem Hasse der Feinde entspringen.
Endlich sollen jene Nachtheile dargestellt werden, in welche wir
uns dann stürzen, wenn wir die uns zugefügten Beleidigungen nicht verzeihen
wollen. Daher soll der Seelsorger jenen, die nicht dahingebracht werden können,
ihren Feinden zu verzeihen, vorstellen, der Hass sey, nicht nur eine schwere
Sünde, sondern er wurzle auch durch die Andauer des sündhaften Zustandes tiefer
ein; denn da derjenige, in dessen Seele diese Leidenschaft Platz genommen hat,
nach dem Blute seines Feindes dürstet, so befindet er sich, erfüllt mit der
Hoffnung, sich an jenem zu rächen, Tag und Nacht in einer bestündigen üblen
Gemüthsunruhe, sodass er nie vom Gedanken an Mord oder an eine andere verwegene
Handlung abzustehen scheint. Dadurch geschieht, dass er entweder nie, oder doch
nur durch die äusserste Mühe bewogen wird, entweder gänzlich zu verzeihen, oder
doch wenigstens zum Theile die Beleidigung zu vergeben; daher wird er ganz
richtig mit einer Wunde verglichen, in welcher der Pfeil noch steckt.
XXIV. Es wird gezeigt, dass aus dem Hasse viele Sünden entstehen.
Es gibt ausserdem noch viele Nachtheile und Sünden, die mit dieser
Einen Sünde des Hasses, gleich einem Bande, verbunden sind. Desswegen sprach
hierüber der h. Johannes so: Wer seinen Bruder hasst, der
ist in der Finsterniss, und wandelt in der Finsterniss, wohin er geht, weil die
Finsterniss seine Augen verblendet. [1. Joa. 2,11]
Er muss also öfters fallen. Wie kann es auch geschehen, dessen Reden oder
Handlunlungen zu loben, den man hasset? Daher entstehen die verwegenen und
ungerechten Urtheile, Zorn, Hass, Verkleinerungen, und anderes dergleichen,
worein auch jene verwickelt werden, die entweder durch Verwandtschaft oder
Freundschaft mit ihnen in Verbindung stellen. So ereignet es sich oft, dass aus
einer Sünde viele hervorgehen, und nicht mit Unrecht nennt man diese Sünde des
Teufels Sünde, weil er ein Mörder war von Anfang an. Desshalb sagte auch der
Sohn Gottes, unser Herr, Jesus Christus , als ihm die Pharisäer nach dem Leben
strebten, sie hätten den Teufel zum Vater. [Joa. 8,44]
XXV. Heilmittel gegen die Sünde des Hasses.
Ausser dem Vorgetragenen, woher die Gründe zur Verabscheuung dieses
Lasters genommen werden können, sind uns auch noch andere Gegenmittel, und zwar
sehr passende, von den heiligen Schriften an die Hand gegeben. Das erste und
wirksamste Gegenmittel ist das Beispiel unsers Heilandes, das wir uns zur
Nachahmung vorstellen müssen. Denn er, obschon nicht der geringste Verdacht
eines Vergehens auf ihn fallen konnte, ist mit Ruthen gehauen, mit Dornen
gekrönt, und zuletzt an's Kreuz geheftet worden, und da sprach er die
liebevollen Worte: Vater, verzeih ihnen; denn sie wissen
nicht, was sie thun. [Luc. 23,34] Sein
vergossenes Blut sagt der Apostel, redet besser als
Abel. [Hebr. 12,34]
Als zweites Heilmittel gab der Ecclesiastikus an, die Erinnerung an
den Tod, und an jenen Tag des Gerichtes. In allen deinen
Werken, sagt er, gedenke an deine letzten Dinge, und du wirst in Ewigkeit nicht
sündigen. [Eccl. 7,40] Diess heisst so viel,
als wenn er sagte: Denke oft und vielmal daran, dass du einst sterben wirst;
besonders weil es dir dann sehr erwünscht seyn wird, und äusserst nothwendig,
die unendliche Barmherzigkeit Gottes zu erlangen, so musst du sie dir jetzt
schon beständig vor Augen stellen. Dadurch wird geschehen, dass jene
unmenschliche Rachgierde aus dir entweicht, da du, um Gottes Barmherzigkeit
anzuflehen, kein tauglicheres und wirksameres Mittel finden wirst, als das
angethane Unrecht zu vergessen, und die zu lieben, welche dich oder die Deinigen
in der That oder mit Worten beleidiget haben.
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