Dritter Theil - Zehntes Hauptstück
Vom neunten und zehnten Gebote
Du sollst nicht begehren das Haus deines
Nächsten, noch begehren sein Weib, noch seinen Knecht, noch seine Magd, noch
seinen Ochsen, noch seinen Esel, noch alles, was sein ist. [Exod. 20,17]
I. Wie dieses neunte und zehnte Gebot die übrigen acht zu enthalten scheinen.
Die böse Begierlichkeit ist die Quelle und der Same aller Laster.
Man muss vor allem wissen, dass in diesen zwei Geboten, die zuletzt
gegeben worden sind, gleicham die Art und Weise enthalten sey, wie man die
übrigen Gebote halten könne. Denn was mit diesen Worten befohlen wurde, zielt
dahin, dass jeder, wenn er sich befleisset, die vorhergehenden Gebote zu
beobachten, besonders darauf sehe, dass er nicht begehre; weil der, welcher
nicht begehret, mit dem Seinigen zufrieden ist, und nicht nach fremdem Gute
trachtet, sich über die Vortheile anderer freuen wird; er wird den unsterblichen
Gott preisen, ihm innigst danken, den Sabbath heiligen, d. h. einer
immerwährenden Ruhe geniessen, die Oberen ehren, und niemanden, weder durch,
That, noch Wort, noch auf irgend eine andere Weise beleidigen. Die Wurzel und
der Same aller Uebel ist die böse Begierlichkeit; und welche durch diese
entflammt sind, stürzen sich in jede Art von Schandtaten und Lastern. Wenn diess
beachtet
wird, so wird sich der Seelsorger der Behandlung des Folgenden mehr
befleissen, und die Gläubigen werden aufmerksamer beim Zuhören seyn. II. Wie sich diese zwei Gebote von einander unterscheiden.
Durch das neunte Gebot wird die unordentliche Begierde nach Gewinn
verboten. Durch das zehnte aber wird das Verlangen nach unkeuscher Lust
untersagt.
Obwohl wir diese zwei Gebote miteinander verbunden haben,
desswegen, weil sie, bei der Aehnlichkeit ihres Inhaltes, auf dieselbe Weise
vorgetragen werden; so kann sie doch der Seelsorger sowohl beim Ermahnen als
auch beim Belehren gemeinsam oder abgesondert behandeln, wie es ihm bequemer
dünkt. Will er aber den Dekalog auslegen, so soll er zeigen, worin die
Unähnlichkeit dieser beiden Gebote bestehe, und wie sich eine Begierlichkcit von
der andern unterscheide; diesen Unterschied erkläret der h. Augustin in seinen
Abhandlungen über den Exodus . Die eine von ihnen zielt nur dahin ab, was
nützlich ist, was Vortheil bringt; die andere nimmt Rücksicht auf Sinnlichkeit
und Wollust. Wenn also Jemand den Grund oder ein Haus begehret, so strebt er
mehr dem Gewinne und Nutzen nach, als der Wollust; begehrt er aber das Weib
eines Andern, so brennt er nicht von Begierlichkeit nach Vortheil, sondern nach
Wollust.
III. Ob durch das sechste und siebente Gebot hinlänglich ausgedrückt worden sey, was in diesen letzten beiden enthalten ist.
1) Das neunte und zehnte Gebot beleuchten das sechste und siebente. 2)
Im neunten und zehnten Gebote wirld einiges ausdrücklich verboten, was im
sechsten und siebenten nicht ausdrücklich verboten wurde.
I. Die Nothwendigkeit dieser zwei Gebote war eine doppelte; eine,
um den Inhalt des sechsten und siebenten Gebotes zu erklären. Denn obwohl man
durch ein gewisses natürliches Licht erkannte, dass das Verlangen, sich des
Weihes eines andern zu bemächtigen, verboten sey, weil der Ehebruch untersagt
war (wäre es erlaubt, zu begehren, so müsste es auch erlaubt seyn sich zu
bemächtigen): so konnten doch die meisten Juden, verblendet durch die Sünde,
nicht vermocht werden, zu glauben, dass diess von Gott verboten sey; ja sogar,
nachdem dieses Gesetz Gottes gegeben und bekannt gemacht war, verharrten noch
viele, welche sich für Ausleger des Gesetzes ausgaben, in diesem Irrwahne. Diess
kann man entnehmen aus jener Rede des Herrn beim h. Matthäus: Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst
nicht ehebrechen! Ich aber sage euch, dass ein Jeder, der ein Weib mit Begierde
nach ihr ansieht, schon die Ehe mit ihr gebrochen hat in seinem Herzen.
[Matth. 5,27.28]
II. Die andere Notwendigkeit dieser Gebote besteht darin, dass sie
einiges deutlich und ausdrücklich verbieten, was durch das sechste nnd siebente
nicht ausdrücklich verboten wurde. Z. B. das siebente Gebot hat verboten, dass
Niemand widerrechtlich nach fremdem Gute trachte oder es zu entfremden wage;
diess aber verbietet, dass jemand auf irgend eine Art darnach begehre, obwohl er
es rechtlich und gesetzlich erlangen könnte, sobald er sieht, dass durch dessen
Erlangung dem Nächsten ein Schaden zugefügt werde.
IV. Wie beschaffen und wie gross die Wohlthat Gottes sey, die uns durch das Gebot dieses Gesetzes ertheilet wurde.
Ehvor wir zur Erklärung des Gebotes kommen, sollen die Gläubigen
vor Allem belehret werden, dass wir durch dieses Gesetz nicht nur darin
unterwiesen werden, unsere Begierden zu bezähmen, sondern dass wir auch die
Liebe Gottes gegen uns kennen lernen, die unermesslich ist.
Denn da er uns durch die vorhergehenden Gebote gleichsam mit
Schutzwehren umgeben hat, damit Niemand weder uns selbst, noch das Unsrige
verletzen sollte; so wollte er durch Beifügung dieses Gebotes vorzüglich dafür
sorgen, dass wir uns durch unsere Begierden nicht selbst beschädigen sollten ,
was leicht geschehen könnte, wenn es uns erlaubt und gestattet wäre, nach Allem
zu begehren, und alles zu wünschen.
Durch die Vorschrift dieses Gesetzes also, nicht zu begehren, hat
Gott dafür Vorsorge getroffen, dass die Stacheln der Begierden, wodurch wir zu
was immer für verderblichen Dingen gereitzt zu werden pflegen, durch die Kraft
dieses Gesetzes einigermassen ausgerottet, uns weniger quälen; und wir desswegen
mehr Zeit gewinnen, befreit von jener lästigen Anreizung der Begierden, jene
Pflichten der Frömmigkeit und Religion zu erfüllen, die wir Gott vielfach und
besonders schuldig seyen.
V. Welchen Unterschied zwischen den göttlichen und menschlichen Gesetzen diese zwei Gebote darlegen.
1) Dass das Gesetz Gottes geistig sey. 2) Das göttliche Gesetz Ist ein
Spiegel sowohl der guten als auch der bösen Handlungen.
I. Dieses Gesetz lehret nicht blos dieses, sondern es zeiget auch,
das Gesetz Gottes sey der Art, dass es nicht blos bei äusserlichen
Dienstverrichtungen, sondern auch im Innersten des Herzens beobachtet werden
müsse. Und diess ist der Unterschied zwischen den göttlichen und menschlichen
Gesetzen, dass diese auch mit blos äusserlichen Dingen zufrieden sind, jene
aber, weil Gott auf den Geist sieht, eine reine und ungetrübte Keuschheit und
Unbescholtenheit der Seele selbst erfordern. Das göttliche Gesetz ist also
gleichsam ein Spiegel, in dem wir die Gebrechen unserer Natur beschauen.
Desshalb sprach der Apostel: Ich hätte nichts
von der Lust gewusst, wenn das Gesetz nicht sagte: Du sollst nicht gelüsten.
[Röm. 7,7] Denn da die Begierlichkeit, das
ist, der Zunder der Sünde, welche aus der Sünde entsprang, immer in uns haften
bleibt, so erkennen wir aus ihr, dass wir aus der Sünde geboren sind; daher
flüchten wir uns fussfallig bittend zu dem, der allein die Flecken der Sünde
auslöschen kann.
VI. Welche Begierlichkeit hier nicht verboten werde, und was Begierlichkeit sey.
1) Nicht jede Begierde ist böse. 2) Das ordentliche Begehrungsvermögen
ist uns von Gott eingepflanzt, und durch die Erbsünde verdorben worden.
I. Jedes dieser Gebote hat mit den übrigen das gemein, dass sie
theils etwas verbieten, theils befehlen. Was nun das Begehrungsvermögen
betrifft, so soll Niemand dafürhalten, jenes Gelüsten, welches keine Sünde an
sich hat, sey doch auf irgend eine Weise Sünde, wie z. B. dass der Geist gegen
das Fleisch gelüstet, oder dass wir zu jeder Zeit nach den Rechtfertigungen
Gottes verlangen, wornach David so sehr gelüstete. [Gal. 5,17] [Ps. 118.20] Der Seelsorger
soll darlegen, welche Begierlichkeit wir nach der Vorschrift dieses Gesetzes
meiden müssen.
II. Daher muss man wissen, die Begierlichkeit oder das Gelüsten sey
eine gewisse Bewegung und Kraft des Gemüthes, wodurch die Menschen angetrieben
werden, nach angenehmen Dingen, die sie nicht haben, zu verlangen. Und gleichwie
unsere übrigen Gemütsbewegungen nicht allemal böse sind, so muss man auch dieses
Begehrungsvermögen nicht immer unter die Sünden rechnen. Desswegen also ist es
nicht böse, wenn wir nach Speise oder Trank verlangen; oder wenn wir frieren,
nach Erwärmung; oder im Gegentheile, wenn wir, da wir warm haben, nach Kühlung
verlangen. Dieses ordentliche Begehrungsvermögen hat Gott uns von Natur aus
eingepflanzt; aber durch die Sünden unserer Stammeltern geschah, dass es, indem
es die Schranken der Natur durchbrach, so verschlechtert wurde, dass wir gar oft
zum Gelüsten nach dem, was dem Geiste und der Vernunft widerstreitet, angereizt
werden.
VII. Welche Vortheile vorzüglich eine, der gesunden Vernunft gleichförmige, Begierde dem Menschen verschaffe.
Wenn dieses Vermögen gemässigt ist, und in seinen Schranken bleibt,
so verschafft es sogar manchmal nicht mitlelmässige Vortheile; denn die Begierde
bewirkt erstens, dass wir Gott immerdar bitten, und fussfällig anflehen um das,
wornach wir besonders verlangen; das Gebet drückt also unser Verlangen aus. Wenn
dieses gordnete Begehrungsvermögen nicht da wäre, so gäbe es in der Kirche nicht
so vieles Gebet zu Gott. Ferner bewirkt diese Begierde, dass uns die Geschenke
Gottes theurer sind; denn je heftiger wir uns nach einer Sache sehnen, desto
theurer und angenehmer ist sie uns, wenn wir sie erlangt haben. Alsdann aber
bewirkt das Vergnügen selbst, das wir an der ersehnten Sache empfinden, dass wir
Gott mit grösstem Liebeseifer Dank sagen. Wenn es daher manchmal nach etwas zu
begehren erlaubt ist, so müssen wir gestehen, dass nicht jede Begierde verboten
sey.
VIII. Wie der Apostel die Begierlichkeit nennet.
Obschon aber der Apostel sagte, die Begierlichkeit sey eine Sünde
[Röm. 7,20] , so muss man
diess doch in der Bedeutung nehmen, in welcher Moses gesprochen hat [Exod. 20,17] , dessen
Zeugniss der Apostel anführt, was auch die Worte desselben selbst erklären. Denn
er nennet im Briefe an die Galater jene Begierlichkeit des Fleisches, da er
sagt: Wandelt im Geiste, so werdet ihr die Gelüste des
Fleisches nicht vollbringen. [Gal. 5,16]
IX. Welche Begierde hier nicht verboten werde, und durchaus nicht das Wesen der Sünde an sich habe.
Jene natürliche und gemässigte Begierlichkeit also, die ihre
Schranken nicht überschreitet, wird nicht verboten; und viel weniger noch jenes
Begehren einer frommen Seele, wodurch wir zum Gelüsten nach dem angeregt werden,
was dem Fleische widerstreitet. Zu diesem ermahnen uns selbst die heiligen
Schriften: Seyd begierig nach meinen Reden, und habet sie
lieb, so werdet ihr Zucht gewinnen; [Sap. 6,12]
und: Kommet her zu mir alle, die ihr mich begehret,
[Eccles. 24,26]
X. Welches die hier verbotene Begierlichkeit sey.
1} Die böse Begierde, nicht jede Wirkung des Begehrungsvermögens ist
verboten. 2) Deutlicher Schluss, was hier verboten wurde.
I. Daher ist durch dieses Gebot nicht das Begehrungsvermögen
selbst, dessen man sich sowohl zum Guten, als auch zum Bösen bedienen kann;
sondern der Gebrauch der bösen Begierde, welche Begierlichkeit des FIeisches,
und Zunder der Sünde genannt wird, und sie, wenn sie mit der Einwilligung des
Gemüthes verbunden ist, immer unter die Sünden gerechnet werden muss, durchaus
verboten.
II. Folglich ist nur jene ausschweifende Begierlichkeit verboten,
die der Apostel Begierlichkeit des Fleisches nennet, nämlich jene Regungen des
Gelüstens, welche kein vernünftiges Maass halten, und sich nicht auf die von
Gott bestimmten Grenzen beschränken.
IX. Aus welchen Gründen man erkenne, dass die Begierlichkeit eine Sünde sey.
1) Die Begierlichkeit ist Sünde, erstlich wegen der Gegenstände, welche
man verlangt. Zweitens, weil sie unter die verbotenen Dinge gehört. 2) Drittens,
weil sie fremdem Gute nachstrebt.
I. Die Begierde ist verdammet, entweder weil sie etwas Böses
begehret, wie Ehebrüche, Trunkenheit, Mord und andere solche
verabscheuungswürdige Laster, von denen der Apostel so sagt: Dass wir uns des Bösen nicht gelüsten lassen, gleichwie jene sich
gelüsten liessen; [I. Cor. 10,6] oder weil,
wenn auch die Dinge an sich nicht böse sind, es doch aus einem andern Grunde
unrecht ist, sie zu begehren; hieher gehören jene Dinge, die uns Gott und die
Kirche zu besitzen verbieten. Denn es ist uns nicht erlaubt, nach dem zu
gelüsten, was zu besitzen unrecht ist; dergleichen war im alten Gesetze Gold und
Silber, aus welchen Götzenbilder gegossen waren, wornach der Herr im
Deuteronomium [Deut. 7,25]
zu begehren verboten hat.
II. Ferner wird auch desswegen diese sündhafte Begierde verboten,
weil das, wornach man begehret, fremdes Gut ist, wie ein Haus, Sklave, Magd,
Acker, Weib, Ochs, Esel und vieles andere; da diess fremdes Eigenthum ist, so
verbietet das Gesetz, darnach zu begehren; und das Gelüsten nach solchen Dingen
ist unrecht, und gehört zu den schwersten Sünden, wenn in das Gelüsten darnach
die Seele einwilliget.
XII. Worin die Sünde der Begierlichkeit vorzüglich bestehe.
Eine Sünde wird die Begierde dann, wenn sich das Gemüth nach dem
Antriebe böser Begierden an bösen Dingen ergötzet, und diesen entweder
beistimmt, oder auch nicht widerstehet. Diess lehret der h. Jakobus, da er den
Ursprung und das Fortschreiten der Sünde zeigt: Jeder wird
versucht, indem er von seiner eigenen Lust gereizet und gelockt wird: dann, wenn
die Lust empfangen hat, gebiert sie die Sünde, die Sünde aber, wenn sie
vollbracht ist, gebiert den Tod. [Jak. 1,13.14]
XIII. Welches der Inhalt der letzten zwei Gebote sey.
Wenn also im Gesetze verboten wird: Du sollst nicht begehren, so
haben diese Worte den Sinn, dass wir unsere Begierden von fremden Dingen
zurückhalten sollen; denn der Durst der Begierde nach fremdem Eigenthume ist
unersättlich und grenzenlos, und wird nimmermehr gestillt, wie geschrieben
steht: Der Geizige wird des Geldes nicht satt; [Eccles. 5,9] hierüber lesen wir auch beim Isaias: Weh euch, die ihr Haus an Haus reihet, und Acker mit Acker
verbindet. [Isai. 5,8] Jedoch aus der
Erklärung der einzelnen Wörter wird man deutlicher die Schändlichkeit und Grösse
dieser Sünde kennen lernen.
XIV. Was unter dem Worte Haus in der Formel dieses Gebotes verstanden werden müsse.
Der Seelsorger soll lehren, unter dem Worte Haus verstehe man hier
nicht einen Ort, den wir bewohnen, sondern es bedeute das ganze Besitzthum, wie
man aus dem Gebrauche und der Gewohnheit der heiligen Schriften inne wird. Im
Exodus ist geschrieben, dass vom Herrn den Wehemüttern Häuser gebauet worden
seyen. [Exod. 1,21]
Dieser Ausdruck weiset dahin, dass wir es auslegen sollen, ihr Vermögen
sey von ihm vermehrt und erweitert worden. Aus dieser Erklärung entnehmen wir
daher, durch dieses Gesetz sey uns verboten, begierig nach Reichthümem zu
verlangen, und nicht fremdes Vermögen, Macht und Adel zu beneiden, sondern in
unserm Stande, mag er seyn welcher immer, niedrig oder hoch, zufrieden zu seyn.
Darunter müssen wir auch verstehen, dass das Begehren nach fremdem Ruhme
unerlaubt sey, denn auch dieser gehöret zum Hause.
XV. Was unter den Worten Ochs und Esel begriffen sey.
Das folgende, noch seinen Ochsen, noch seinen Esel, zeiget, dass
uns nicht blos werthvolle Dinge, als ein Haus, Adel und Ruhm, wenn sie fremdes
Eigenthum sind, zu begehren verboten sey; sondern auch kleinere, welche sie nur
immer sind, mögen sie lebendig oder leblos seyn.
XVI. Von welchen Knechten in diesem Gebote die Rede sey.
Hierauf folgt: Noch seinen Knecht, noch seine Magd, was sowohl von
den Leibeigenen, als auch von jeder andern Gattung von Dienstboten zu verstehen
ist, die wir, wie alle übrigen Güter eines Andern, nicht begehren dürfen. Freie
Menschen aber, die freiwillig dienen, entweder um Lohn gedungen, oder aus Liebe
und Anhänglichkeit, darf Niemand auf keine Weise, weder durch Worte, noch durch
Hoffnung, noch durch Versprechungen, noch durch Belohnungen bestechen und
anreizen, diejenigen zu verlassen, denen sie freiwillig dienen; ja sogar, wenn
sie ihre Herren vor der Zeit, die sie in ihrem Dienste zu bleiben versprochen
hatten, verlassen, so sollen sie vermöge dieses Gebotes ermahnet werden, wieder
zu ihnen zurückzukehren.
XVII. Warum auch in diesem Gebote des Nächsten Erwähnung geschehe.
Die Erwähnung des Nächsten aber in diesem Gebote zielt dahin ab,
das Vergehen der Menschen deutlich zu zeigen, welche nach benachbarten Aeckern,
oder angrenzenden Häusern, oder nach einer andern solchen Sache, die mit ihrem
Eigenthume zusammenstosst, zu begehren pflegen. Denn die Nachbarschaft, welche
man zur Freundschaft rechnet, wird durch die Sünde der Begierde aus Liebe in
Hass verkehret.
XVIII. Gegen dieses Gesetz versündigen sich nicht jene, die verkäufliche Sachen des Nächsten um einen billigen Preis zu kaufen verlangen.
Dieses Gebot aber verletzen jene durchaus nicht, welche Sachen, die
die Nächsten feil haben, von ihnen zu kaufen wünschen, oder um einen billigen
Preis kaufen; denn diese beschädigen nicht nur den Nächsten nicht, sondern sie
unterstützen ihn sehr, da ihm das Geld bequemer und nützlicher seyn wird, als
die Sachen, die er verkaufet.
XIX. Wie das zehnte Gebot, das Weib des Nächsten nicht zu begehren, verstanden werden müsse.
1) Es ist nicht erlaubt, auch ein von einem andern geschiedenes Weib zu
begehren oder zu ehelichen. 2) Es ist nicht erlaubt, ein einem andern verlobtes
Mädchen zu begehren. Es ist unrecht, eine Gottgeweihte Jungfrau zu begehren.
I. Diesem Gesetze, fremdes Eigenthum nicht zu begehren, folgt das
andere, welches verbietet, ein fremdes Weib zu begehren: und es ist dafür zu
halten, dass dadurch nicht nur Lüsternheit verboten sey, mit der ein Ehebrecher
nach dem Weibe eines andern trachtet, sondern auch die Begierde, die Frau eines
andern zu ehelichen. Denn es konnte sich damals, da der Scheidebrief noch
erlaubt war, leicht ereignen, dass ein anderer das Weib, welches einer
Verstossen hatte, zur Ehe nahm. Allein diess hat der Herr verboten, damit nicht
theils die Männer angereizt wurden, ihre Frauen zu verlassen, theils sich die
Weiber gegen ihre Männer so unverträglich und widerlich zeigten, dass desswegen
die Männer gleichsam gezwungen waren, sie zu Verstössen. Jetzt aber ist es eine
schwerere Sünde, da es nicht erlaubt ist, ein Weib , wenn es auch vom Manne
Verstossen ist, zur Ehe zu nehmen, ausser es ist denn der Mann gestorben.
II. Wer also nach dem Weibe eines andern begehret, verfällt leicht
von einem Gelüsten in das andere; denn er wird entweder wünschen, dass ihr Mann
sterbe, oder er wünscht einen Ehebruch zu begehen. Das Nämliche gilt auch von
jenen Weibern, die einem andern verlobt sind; es ist ebenfalls unerlaubt, siezu
begehren, da jene, die solche Verträge zu zerreissen sich bemühen, das heiligste
Bündniss versprochener Treue verletzen. Und gleichwie es durchaus ein grosses
Unrecht ist, nach einem Weibe zu begehren, die mit einem andern verheirathet
ist; ebenso ist es auf keine Weise erlaubt, nach einem solchen Weibe, die dein
Dienste Gottes in einem Kloster geweihet ist, zu gelüsten.
XX. Gegen dieses Gesetz sündiget nicht, wer ein Weib, deren Mann er todt glaubt, zur Ehe begehret.
Wenn aber Jemand ein Weib, welches verheurathet ist, indem er sie
für unverheurathet hält, zur Ehe begehret, aber sie nicht, wenn er wüsste, dass
sie mit einem andern ehlich verbunden wäre, zur Ehe verlangen würde, was wir vom
Pharao und Abimelech lesen [Gen.
12,20] , welche die Sara zur Frau haben wollten, da sie dieselbe nicht
für verheurathet, und für die Schwester des Abraham, nicht aber für seine
Gemahlin hielten; so versündigt sich jener, der so gesinnt ist, gewiss nicht
gegen das Gesetz dieses Gebotes.
XXI. Was dieses Gebot, ausserdem, was verboten wird, zu thun befehle.
I) Heilmittel gegen die sündhaften Begierden. Die Armuth soll man
willig ertragen. 2) Unster Wille muss dem göttlichen Willen untergeordnet
werden.
I. Damit aber der Seelsorger die Heilmittel bekannt mache, die zur
Ausrottung dieser Sünde der Begierlichheit geeignet sind, muss er die zweite
Vorschrift dieses Gebotes erklären, welche darin besteht, dass wir, wenn wir
Reichthümer in Ueberfluss haben, das Herz nicht daran hängen , und bereit seyn
sollen, dieselben aus Liebe zur Frömmigkeit und göttlichen Dingen hinzugeben,
und zur Erleichterung des Elends der Armen gerne das Geld auszutheilen; wenn wir
aber kein Vermögen haben, so sollen wir die Armuth gleichmütlhig und fröhlich
ertragen. Wenn wir dann freigebig sind mit unserm Vermögen, werden wir die
Begierde nach fremdem Eigenthume bezähmen. Ueber das Lob der Armuth aber, und
die Geringschätzung des Reichthums kann der Seelsorger in den heiligen Schriften
und bei den heiligen Vätern leicht vieles sammeln, und dem gläubigen Volke
vortragen.
II. Durch dieses Gesetz wird auch vorgeschrieben, dass wir eifrigst
und sehnlichst wünschen, es möge geschehen, nicht was wir verlangen, sondern was
Gott will [Matth. 6,10] ,
wie im Gebete des Herrn gezeigt wird. Der Wille Gottes aber besteht vorzüglich
darin, dass wir auf eine ganz besondere Art heilig werden, unser Gemüth
unbefleckt, und von jeder Mackel rein und schuldlos erhalten, und uns üben in
jenen Pflichten des Gemüthes und des Geistes, die der Sinnlichkeit
widerstreiten; und wenn wir diese Begierden bezähmet haben, so sollen wir, unter
der Leitung der Vernunft und des Geistes, ein rechtschaffenes Leben führen, und
überdiess den Andrang jener Gefühle vorzüglich unterdrücken, die uns zu
Begierden und Gelüsten Anlass geben.
XXII. Was die Christen vorzüglich betrachten sollen, um die Gewalt der Begierlichkeit zu bezähmen.
Um dieses Feuer der Begierde zu dämpfen, trägt sehr viel bei, wenn
wir uns die Nachtheile vor Augen stellen, welche aus ihnen hervorgehen. Der
erste Nachtheil ist jener, dass in unserer Seele, wenn wir dergleichen Begierden
nachgeben, die Sünde mit höchster Macht und Gewalt herrschet. Desshalb ermahnte
der Apostel: Lasset die Sünde nicht herrschen in eurem
sterblichen Leibe, so dass ihr seinen Gelüsten gehorchet. [Röm. 6,12] Denn gleichwie, wenn wir den Gelüsten
widerstehen, die Kraft der Sünde schwindet, so vertrieben wir, wenn wir
denselben unterliegen, den Herrn aus seinem Reiche, und setzen an seiner Statt
die Sünde ein. Der zweite Nachtheil besteht darin, dass aus diesen Gelüsten,
gleichwie aus einer Quelle, alle Sünden entströmen, wie der h. Jakobus lehret
[Jak. 1,14] [Marc. 4,18.19] . Auch der h.
Johannes sagt: Alles, was in der Welt ist, das ist die
Begierlichkeit des Fleisches, die Begierlichkeit der Augen und die Hoffart des
Lebens. [1. Joa. 2,16] Der dritte Nachtheil
ist der, dass durch diese Gelüste das richtige Urtheil der Seele verdunkelt
wird. Denn die Menschen, verblendet durch diese Finsterniss der Begierden,
halten alles für ehrbar und vortrefflich, nach was sie immer gelüstet.
Ueberdiess wird durch die Gewalt der Begierden das Wort Gottes unterdrückt,
welches von Gott, jenem grossen Säemanne, in unsere Herzen gesäet worden ist.
Denn beim h. Markus steht so geschrieben: Die andern, die unter üürner gesäet
sind, das sind die, welche zwar das Wort hören; aber die weltlichen Sorgen, der
Trug des Reichthums und die Lüste zu den übrigen Dingen schleichen sich ein, und
ersticken das Wort, dass es ohne Frucht bleibt.
XXIII. Welche besonders in die Fallstriche der Begierden sich verwickeln.
Die aber am meisten an diesem Laster der Begierden leiden, und die
desswegen der Seelsorger zur Beobachtung dieses Gebotes sorgfälliger ermahnen
soll, das sind die, welche an unehrbaren Spielereien Wohlgefallen haben, oder
dem Spiele leidenschaftlich sich ergeben, ebenso die Kaufleute, welche Theurung
und Brodmangel wünschen, und es ungerne sehen, dass es ausser ihnen noch andere
gibt, die verkaufen oder kaufen, damit sie selbst theurer verkaufen oder
wohlfeiler einkaufen könnten. Hierin sündigen gleichfalls, welche wünschen, dass
andere Mangel leiden, damit sie entweder durch Verkauf oder Kauf gewinnen
möchten. Es sündigen auch die Soldaten, welche Krieg wünschen, damit sie
plündern können, ebenso die Aerzte, welche Krankheiten herbeiwünschen;
Rechtsgelehrte, welche sich nach häufigen Prozessen und Streitigkeiten sehnen;
Handwerker, welche geldsüchtig sind, und eine Theurung alles dessen, was zur
Nahrung und zum Lebensunterhalte gehöret, wünschen, um daraus einen grossen
Gewinn zu ziehen. Ferner versündigen sich hierin schwer diejenigen, welche nach
fremdem Ruhme und Lobe begierig und lüstern sind, nicht ohne Herabsetzung des
guten Rufes eines andern; und diess ist eine besonders schwere Sünde, wenn jene
Menschen, die darnach begehren, träge und nichtswürdig sind; denn guter Ruf und
Ruhm ist der Preis der Tugend, und des Fleisses, nicht der Trägheit und
Faulheit.
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