Vierter Teil - Zweites Hauptstück - Vom Nutzen des Gebetes.
I. Welches der erste Nutzen sey, den jene Nothwendigheit des Gebetes erzeuget.
Diese Notwendigkeit aber hat einen sehr angenehmen Nutzen, welcher
die reichlichsten Früchte hervorbringt; ihre Menge mögen die Seelsorger aus den
heiligen Schriftstellern entnehmen, wenn es nothwendjg ist, sie dem gläubigen
Volke mitzutheilcn. Wir wollen aus dieser Menge einige auswählen, die wir dieser
Zeit für angemessen hielten. Der erste Nutzen aber; den wir daraus ziehen, ist,
dass wir durch das Gebet Gott ehren; denn das Gebet ist ein Beweis der
Gottesfurcht, und wird in den heiligen Schriften mit einem Rauchwerke
verglichen. Denn der Prophet sagt: Lass mein Gebet wie
Rauchwerk vor dein Angesicht kommen. [Ps. 140,2]
Deshalb bekennen wir durch dieses Gebet, dass wir Gott unterworfen seyen,
den wir als den Urheber aller Güter anerkennen und preisen, auf den allein wir
unser Augenmerk richten, weil er der einzige Schutz und die einzige Zuflucht
unsers Heiles und unserer Rettung ist. An diesen Nutzen werden wir auch durch
Jene Worte erinnert: Rufe zu mir am Tage der Trübsal so will
ich dich erretten, und du wirst mich preisen. [Ps.
49,15]
II. Welches der zweite Nutzen sey, den wir durch das Gebet erlangen.
Es erfolgt der grösste und lieblichste Nutzen, wenn von Gott das
Gebet erhöret wird; denn nach dem Ausspruche des h. Augustin ist es der
Schlüssel zum Himmel. Er sagt: "Das Gebet steigt empor, und Gottes Erbarmung
steigt herab." Wenn auch die Erde tief unten liegt, und der Himmel hoch erhaben:
so hört Gott doch des Menschen Flehen. Diese Beschäftigung des Gebetes hat eine
so grosse Kraft, und so grossen Nutzen, dass wir dadurch die Fülle der
himmlischen Geschenke erlangen. Denn wir erflehen von Gott, dass er uns den
heiligen Geist zum Führer und Helfer gebe, und erlangen Erhaltung und Reinheit
des Glaubens und Vermeidung der Strafen, und den göttlichen Schutz in
Versuchungen, und den Sieg über den Teufel. Ueberhaupt ist im Gebete eine Fülle
besonderer Freuden. Desswegen sprach der Herr: Bittet, so
werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen werde. [Joa. 16,24] III. Immer erhöret die göttliche Majestät frommes Gebet.
Es kann kein Zweifel Statt haben, dass Gottes Güte ein solches
Gebet erhöre und ihm entgegenkomme. Diess beweisen viele Zeugnisse der heiligen
Schrift, von denen wir nur, da sie gerade zu Händen sind, jene bei Isaias als
Beispiele anführen wollen: Dann wirst du rufen, und der Herr
antworten, du wirst schreien, und er sagen: Siehe, da bin ich! [Isai. 58,9] Und wiederum: Und es wird
seyn, ehedem sie rufen, werde ich erhören, und indem sie noch reden, will ich
hören. [Isai. 65,24] Da aber die Beispiele
derer, welche zu Gott geflehet haben, beinahe unzählig sind, und vor Augen
liegen, so übergehen wir sie.
IV. Wie es geschehe, dass wir bisweilen nicht erlangen, um was wir bitten.
Allein es geschieht zuweilen, dass wir von Gott nicht erhalten, um
was wir bitten. Das ist wohl wahr; aber es sieht Gott dann meistens auf unsem
Vortheil; entweder weil er uns andere grössere und vortrefflichere Güter
mittheilet; oder weil das, um was wir bitten, uns nicht nothwendig, noch
nützlich ist, ja sogar überflüssig und schädlich wäre, wenn er es uns geben
würde. Der h. Augustin sagt: "Einiges versagt der gnädige Gott, was er, wenn er
erzürnt ist, verleihet." Manchmal geschieht es auch, dass wir so nachlässig und
andachtslos beten, dass wir nicht einmal darauf merken, was wir sprechen. Da
aber das Gebet eine Erhebung des Geistes zu Gott ist, wie können wir den leeren
Schall solcher Worte ein christliches Gebet nennen, wenn beim Beten der Geist,
der auf Gott gerichtet seyn soll, ausschweifet, und die Worte des Gebetes ohne
Andacht, ohne Eifer, gedankenlos hergesagt werden? Daher ist es keineswegs
wundersam, wenn Gott unserm Willen nicht Gewährung leistet, da wir durch die
Nachlässigkeit und Unaufmerksamkeit auf unser Gebet beweisen, dass wir entweder
selbst nicht wollen, um was wir bitten, oder um Dinge bitten, die uns schädlich
wären.
V. Die, welche recht beten, erlangen mehr, als sie begehren.
Dagegen aber wird denen, die andächtig und fleissig beten, viel
mehr ertheilet, als sie von Gott verlangen; diess bezeugt der Apostel im Briefe
an die Epheser [Ephes. 3,20]
, und es wird auch durch jenes Gleichnis vom verlorenen Sohne erkläret,
welcher sich für ganz glücklich geschätzt hatte, wrenn ihn der Vater statt eines
Taglöhners aufgenommen haben würde. [Luc. 15] Wenn wir auch nur fromme Gedanken haben, und
nichts verlangen so überhäufet uns doch Gott mit seiner Gnade; Nicht nur durch
einen Ueberfluss von Gesehenken, sondern auch durch schnelles Geben. Diess
zeigen die heiligen Schriften, da es heisst: Das Verlangen
der Armen hat erhöret der Herr. [Ps. 2,17]
Denn Gott kommt den innigen und stillen Wünschen der Dürftigen, ohne ihr
Rufen zu erwarten, entgegen."
VI. Welches der dritte Nutzen des Gebeies sey.
Dazu kömmt auch noch jener Nutzen, dass wir durch das Gebet die
Seelenkräfte üben und starken, besonders aber den Glauben. Denn wie jene nicht
recht beten, welche an Gott nicht glauben, da es heisst: Wie
sollen sie nun den anrufen, an den sie nicht glauben? [Röm. 10,14] ebenso haben die Gläubigen, je eifriger sie
beten, einen desto grössern und festern Glauben an die göttliche Vorsehung; und
dieser Glaube fordert von uns vorzüglich, dass wir alles, was uns nöthig ist,
auf ihn beziehen, und von ihm erbitten.
VII. Warum Gott, da er ohnehin weiss, was wir bedürfen wolle, dass wir ihn darum bitten.
Gott könnte uns zwar Alles im Ueberflusse mittheilen, ohne dass wir
bitten, ja ohne dass wir sogar daran denken, so wie er den unvernünftigen Tieren
alle Lebensbedürfnisse darreichet, aber er will, als der gütigste Vater, von
seinen Kindern angerufen werden; er will, dass wir, nach Erlangung dessen, was
wir begehren, von Tag zu Tag mehr seine Güte gegen uns bekennen und preisen.
VIII. Wie unsere Liebe gegen Gott durch das Gebet geübet werde.
Auch die Liebe wird vermehret; denn indem wir Gott als den Urheber
aller unserer Güter und Vortheile anerkennen, so müssen wir ihn mit der
grösstmöglichsten Liebe umfassen; und wie die Liebenden durch Gespräch und
Umgang noch mehr in Liebe entflammt werden; so werden fromme Menschen, je öfter
sie zu Gott beten, und seine Güte anflehen, und gleichsam sich mit ihm
unterreden, bei jedem Gebete mit grösserer Freude erfüllet, und heftiger
angefeuert, ihn zu lieben und zu verehren.
IX. Durch anhaltendes Gebet werden wir der göttlichen Gnade würdig, und erwerben uns Demuth und Waffen gegen den Teufel.
Gott will, dass wir uns desswegen im Gebete üben, damit wir
entzündet vom Eifer, zu erbitten, was wir wünschen, an Fleiss und Verlangen
solche Fortschritte machen, dass wir würdig sind, jene Wohlthaten zu erlangen,
die vorher unser leeres und enges Herz nicht erfassen konnte.
Ferner will er, dass wir einsehen und offen bekennen sollen, wie
wir, wenn uns der Beistand der himmlischen Gnade verlässt, durch unsere Bemühung
nichts erlangen können, und desswegen eifrigst uns auf das Gebet verlegen
sollen. Sehr wirksam sind diese Waffen des Gebetes gegen die erbittertsten
Feinde unserer Natur. Der h. Hilarius sagt: "Gegen den Teufel und seine Waffen
müssen wir streiten durch den Schall unserer Gebete."
X. Welches der vierte Nutzen sey, der den Menschen aus dem Gebete erwächst.
Wir erlangen überdiess jenen herrlichen Nutzen des Gebetes, dass
Gott zulässt, dass wir ihn, die wir so geneigt sind zum Bösen und zu den
verschiedenen Gelüsten der Ausschweifung aus artgeborner Schwachheit mit unsern
Gedanken erfassen, so dass wir, indem wir ihn anbeten, und seine Geschenke zu
verdienen streben, ein Verlangen nach Unschuld bekommen, und von jeder Mackel,
durch Hinwegnahme aller Sünden, gereiniget werden.
XI. Welches der letzte Nutzen des Gebetes sey.
Endlich widersteht nach dem Ausspruche des heil. Hieronymus das
Gebet dem göttlichen Zorne. Daher sprach Gott zu Moses so: Las» mich; [Exod. 32,16] da er
ihn durch sein Gebet abhielt, als er jenes Volk strafen wollte. Denn es gibt
nichts, was den erzürnten Gott so sehr besänftigen, oder ihn auch, wenn er
bereit ist, gottlose Menschen zu züchtigen, so sehr abhalten und seinen Zorn
aussöhnen könnte, als das Gebet frommer Menschen.
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